Unwetter Unwetter in Wittenberg: Wittenberg räumt auf: Schlosskirche von Sturzfluten beschädigt

Wittenberg - Knapp hundert Liter Wasser pro Quadratmeter in nicht einmal einer Stunde: Diese Sturzfluten ergossen sich am Mittwochnachmittag über Wittenberg. Seit der Aufzeichnung von den Tages-Niederschlägen seit 1937 wurde eine solche Summe laut Wetter-Experten nicht registriert. Das Ausmaß der Schäden, die der extreme Regen angerichtet hat, wurden im Laufe des Donnerstages bekannt. Insgesamt sind Stadt und Kreis halbwegs glimpflich davon gekommen - das ist nicht selbstverständlich bei solchen Sturzfluten.
Ums Leben kam niemand, allerdings berichtet Landkreissprecherin Angelika Vorig von einem verletzten Rottaer Feuerwehrmann. Seine Verletzungen sind aber nicht lebensgefährlich. "Das war eine besondere Lage für alle Beteiligten. Hier in der Leitstelle waren alle Arbeitsplätze belegt und standen mindestens zwei Stunden im Dauerfeuer. Teilweise waren die Notrufleitungen belegt, so dass gar nicht jeder Notruf angenommen werden konnte. Das ging hier im Sekundentakt", schildert Ute Görtler, Fachdienstleiterin für Brand- und Katastrophenschutz und Rettungswesen bei der Kreisverwaltung Wittenberg, die Situation.
Die Ausmaße der Sturzfluten, die vom Himmel kamen, sind historisch. Erst seit 1937 wird in Wittenberg die Tagesmenge der Niederschläge registriert. So viel Wasser wie am Mittwochnachmittag zwischen 14.30 Uhr und kurz nach 15.15 Uhr zur Erde stürzte, gab es in Wittenberg noch nie. 100 Liter pro Quadratmeter (dies entspricht 97,4 Millimeter) stürzten in einer dreiviertel Stunde zu Boden. Das Starkregen-Ereignis war lokal begrenzt. In Wartenburg wurden gerade einmal 10,5 Millimeter registriert, in Dabrun waren es 48 Millimeter.
Feuerwehrmann aus Rotta verletzt
Landkreissprecherin Angelika Vorig berichtet am Donnerstag von einem verletzten Rottaer Feuerwehrmann. Beim Auspumpen eines Kellers in Bergwitz stolperte er, fiel und zog sich eine Prellung an der Schulter zu. Ein zweiter Feuerwehrmann verletzte sich zwar ebenfalls, aber nicht bei dem Sturzregen-Einsatz, er hatte einen Arbeitsunfall. So gut wie alle Feuerwehren, die die Region aufzubieten hat, waren am Nachmittag und Abend im Einsatz - viele halfen dort aus, wo es am schlimmsten war, nämlich in der Kernstadt von Wittenberg.
186 Einsätze zählte laut Fachbereichsleiter Gerd Geier allein die Stadt Wittenberg zwischen 14.38 und 1 Uhr, darunter 168 an privaten Gebäuden - der letzte größere Einsatz galt dem Carat-Park.
In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Keller, in denen das Wasser mehr oder minder hoch stand. Erwischt hat es natürlich auch Tiefgaragen, wie die unweit des Amtsgerichtes. Dort sind die Gruben der Doppelparksysteme vollgelaufen, wie Immobilienverwalter Thomas Popp berichtet.
Immobilienverwalter Thomas Popp hatte am Donnerstag eine Menge zu tun, um rund 100 Häuser kümmert sich sein Unternehmen in Wittenberg. Es galt, die Unwetter-Schäden in Augenschein zu nehmen. „Es sind hauptsächlich Keller, in denen das Wasser stand, zum Teil bis zu 30 Zentimeter hoch. Hier und da war ein Dach nicht ganz dicht. Aber wir haben es im Griff.“ Die Hausmeister sind mit Pumpen und Schläuchen ausgerüstet, um das Wasser nach draußen zu befördern.
Autos kamen nicht zu Schaden, weil sie zum Teil noch herausgefahren werden konnten und weil die Hebebühnen hochgefahren wurden. Bisweilen mussten Bäume von der Straße geräumt werden, Gullydeckel hatten sich gehoben. Und: Nicht alle Autos haben es durch die Fluten geschafft.
Die Polizei meldet einige Verkehrseinschränkungen aufgrund des Starkregens: "Durch den Starkregen kam es zu Überschwemmungen und herausgedrückten Gullydeckeln, wodurch mehrere Straßen unpassierbar wurden und für den Verkehr gesperrt werden mussten", erklärte Reviersprecherin Cornelia Dieke.
Die Dresdener Straße, sowohl in Höhe des Potsdamer Ringes als auch im Bereich des Netto-Einkaufsmarktes waren besonders betroffen. Durch Funkstreifenwagen und Verkehrsleitkegel wurden die Gefahrenstellen abgesperrt.
Pkw in Wasser steckengeblieben, Straßen gesperrt
"In der Dresdener Straße sind zudem zwei Pkw in den Wassermassen stehengeblieben. Sie waren nicht mehr fahrbereit und mussten abgeschleppt werden", erklärte Cornelia Dieke weiter. In der Annendorfer Straße kurz vor der Kreuzung zur B2 wurde ein quer gestellter Gullydeckel gemeldet. Die Kontrolle vor Ort ergab, dass dieser sich nicht angehoben hatte, sondern lediglich das Wasser nach oben herausschoss und für eine kurzzeitige Überschwemmung sorgte.
Auch die Feldstraße musste gesperrt werden, da sie im Bereich der Felder völlig überschwemmt war. In der Stiftung Luthergedenkstätten in der Collegienstraße kam es zweimal zu einem Fehlalarm, offensichtlich durch das Eindringen von Wasser in den Kellerbereich. Aufgesammelt worden sind am Tag danach im Übrigen etliche Nummernschilder, die dem Druck beim Durchfahren der Sturzbäche nicht standhielten. Von rund 30 Kennzeichen spricht Dieke. Sie bittet jene, denen ein Schild fehlt, sich bei der Polizei zu melden.
Insgesamt sind aber auch im Bereich Verkehr keine größeren Schäden zu vermelden. "Es gab keine wetterbedingten Unfälle. Die Autofahrer sind entsprechend der Wetterlage gefahren. Auch auf der Autobahn ging es glimpflich ab", erklärte ein Beamter im Lage- und Führungszentrum der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost in Dessau-Roßlau.
Rischebach läuft über, Faulbach bleibt träge
Mehrere Stunden ohne Strom blieben zahlreiche Haushalte in Pratau. Dort hatte es bei dem Unwetter am Mittwoch eine Freileitung erwischt, teilt Stadtwerkechef Hans-Joachim Herrmann mit. Keine Probleme hingegen gab es nach seinen Worten im Wittenberger Klärwerk. „Wir haben zwei große Regenrückhaltebecken, das hat gut funktioniert“, so der Geschäftsführer. Bei sehr großen Regenmengen werde Wasser überdies in einem Pumpwerk in Richtung Elbe „abgeschlagen“. Auch die Trinkwasserversorgung in Wittenberg habe problemlos funktioniert.
Herrmann kann im Übrigen auch erklären, warum von den beiden Stadtbächen nur der eine so viel Wasser führte, dass er „über die Ufer trat“. Es handelt sich um den Rischebach, der bekanntlich aus dem Fläming kommt. Von dort fließt bei starken Regenfällen eine Menge Wasser Richtung Wittenberg. Der andere, der in der Schloss- und Collegienstraße ist der Faule Bach. Der Name sagt es schon, er kommt aus Richtung „Specke“ und die Fließgeschwindigkeit ist eher niedrig.
Schäden an historischen Gütern
Vielerorts in der Innenstadt ist am Tag danach Aufräumen angesagt. Schlimm erwischt hat es Andreas Metschke in seiner Historischen Druckerstube im Cranach-Hof Schloss-Straße 1. Es ist nicht so, dass er kein Wasser kennen würde in seiner Werkstatt und es ist schon gar nicht so, dass er gern mit Bauklötzchen hantieren würde, aber genau das macht er seit vielen Stunden - ein Ende ist nicht in Sicht: Fast einen halben Meter hoch türmt sich das aufgequollene Würfelparkett. Klötzchen für Klötzchen nimmt Metschke es auf und setzt es neu zusammen. Es mutet an wie Sisyphos.
Schäden am Boden gibt es im gesamten Erdgeschoss des südlichen Cranach-Hofs, und auch das zweite Cranach-Haus, Markt 4, ist nicht ungeschoren davongekommen. Betroffen ist hier der - aber weiterhin zugängliche - Sonderausstellungsraum im Obergeschoss: Hier kam das Wasser durch die Wand.
Dass es die Historische Stadtinformation (Klosterkirche) am Zentralen Besucherempfang erwischt hatte, war bereits am Vortag überdeutlich geworden. Ohne die Feuerwehr, sagt Andreas Wurda mit dem Glück des Davongekommenen, wäre das Ratsarchiv den Wassermassen zum Opfer gefallen. Ohne die Feuerwehr - und ohne den Zwischenboden der Klosterkirche, der 7000 Liter schluckte, die sonst schnurstracks ins benachbarte Archiv geflossen wären.
Die Feuerwehr pumpte und wischte, auf den ersten Blick sieht der Boden schon wieder aus wie sonst, aber das täuscht: Die Historische Stadtinformation bleibt für mindestens eine Woche geschlossen. Vorläufig, möglicherweise auch länger. Zu klären sei nicht nur, wo das Wasser überhaupt genau herkam und wie die Stromleitungen im Zwischenboden die Nässe überstanden haben, sondern auch, ob Wasser in die Gräber von Rudolf II. und seiner Familie eingedrungen ist, so Wurda.
Noch am Vormittag wurde in dieser Angelegenheit der Landesrestaurator aus Halle erwartet, es stellte sich heraus, dass tatsächlich auch die Grablege in Mitleidenschaft gezogen worden ist, hier müssen Spezialtrockner zum Einsatz kommen. Entwarnung kann der Leiter der Städtischen Sammlungen unterdessen für das Depot im alten Gesundheitsamt geben, wo Wasser durch die Fenster kam. Wie auch im Ratsarchiv „ist Kulturgut nicht beschädigt worden“.
Spielplatz am Luthergarten unter Wasser
Ungewöhnlich still ist es trotz allerbester Ferienzeit auf dem beliebten Spielplatz in den Wallanlagen an der Elbstraße. Die Anlage ist komplett mit Flatterband abgesperrt. Schlamm hat sich über den Spielsand gelegt - so der Sand überhaupt noch da ist. Doppelt ärgerlich: Die Stadt hatte den Sand gerade erst gewechselt.
Wo am Mittwoch noch lange nach der Sintflut eine imposante Dreckfontäne sprudelte, klafft jetzt ein kleiner Krater, auch die Wege im Luthergarten sind zum Teil ausgespült, so dass auch diese Anlage vorübergehend gesperrt wurde - woran sich aber natürlich niemand hält. Spielplatz und Luthergarten bleiben wegen der Reparaturen bis auf Weiteres gesperrt, so Fachbereichsleiter Jörg Jordan.
An der Dörffurtstraße würden sich die Kleingärtner wahrscheinlich freuen, wenn es bei ihnen bloß so aussehen würde wie im Luthergarten. Hauptwege und Parzellen der Kolonie „Sonnenschein“ sind nach wie vor geflutet. Hinter Hecken steigen Seufzer auf, in der Ferne waten Frauen in Gummistiefeln durch das schlammgraue Wasser. Am Tor steht Werner Scheibe, ebenfalls in Stiefeln, und steht den Medien Rede und Antwort.
Es sei eben ein „Kessel“, in dem die knapp 50 „Sonnenschein“-Pächter ihre Gärtchen hätten. Vor einigen Jahren hätten sie schon einmal mit einer Überflutung durch den nahen Bach zu tun gehabt. Aber nicht so hoch. „Schade um das Angebaute“, sagt Scheibe traurig. Von der entgehenden Erholung und den Schäden an den Häuschen gar nicht zu reden. „Erdreich raus und abwarten“, das ist seine Devise. Zwei Wochen, schätzt der Kleingärtner, könnte es schon dauern, bis das Dreckwasser weg ist.
Schäden im „mindestens sechsstelligen Bereich“ bilanzierte am Nachmittag auf einer Pressekonferenz im Neuen Rathaus Bürgermeister Jochen Kirchner. Er dankte allen Helfern, insbesondere der Feuerwehr. Angaben zu Zeit und Kosten und was gegebenenfalls grundsätzlich zu verändern wäre, könne man gegenwärtig noch nicht machen. „Wir sind bemüht, die Schäden schnell zu beseitigen“, sagte Kirchner.
Baustelle Schloss betroffen
Frisch sanierte Wittenberger Schlosskirche betroffen
Im „Arsenal“ hielten sich die Unwetter-Schäden in Grenzen, der Betrieb sei nicht beeinträchtigt worden, sagte Nicole Krüger, Center-Managerin, auf MZ-Anfrage. Das Wasser war schon ein Problem: „Wir hatten es aber schnell unter Kontrolle, auch mit dem Abzieher in der Hand.“ Im Carat-Park indes soll es zu erheblicheren Problemen gekommen sein, bestätigt wurde ein Einsatz der Feuerwehr, die musste Wasser abpumpen.
Zu den 23 Objekten der Stadt, die in Mitleidenschaft gezogen worden sind, gehört, wie erst bei der Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag bekannt wurde, auch die berühmte Baustelle Schloss. Trotz Notdach drang Wasser über das Dachgeschoss auch in darunterliegende Etagen. Der für Donnerstag geplante Einbau einer Stahlbetontreppe musste verschoben werden, sagte der stellvertretende Fachbereichsleiter Gebäudemanagement, Andreas Goßmann.
20 Zentimeter hoch habe das Wasser zudem im Heizungskeller gestanden; welchen Schaden das dortige Blockheizkraftwerk genommen habe, werde noch geprüft. Und das ist nicht die letzte schlimme Nachricht vom Schlosskomplex: Auch die frisch sanierte Schlosskirche hat Wasser abbekommen, es drang über das Schloss in die Wand.
Beim Zirkus Probst, der derzeit am Volkspark gastiert, fielen am Mittwochabend die Vorstellungen buchstäblich ins Wasser.
Stärkster Regen seit 1937
Laut Wetter-Experten ist die bisher höchste Niederschlags-Tagessumme im Juli seit den Aufzeichnungen von 1937 (seitdem werden überhaupt erst die Tagessummen erfasst) am Mittwoch heruntergekommen mit 97,4 Litern pro Quadratmeter.
Bis dahin hatte der 11. Juli 1937 den Spitzenplatz gehalten, damals waren 71,9 Liter gemessen worden, gefolgt vom 15. Juli des Jahres 1956 mit 70,8 Litern. Gesamtregenmengen für den Monat Juli um die 100 Liter pro Quadratmeter sind für Wittenberg dagegen so selten nicht.
In den seit 1891 vorliegenden Niederschlagsaufzeichnungen finden sich bis zu diesem Jahr 20 Jahre mit derartigen monatlichen Regenmengen. Die größte bis dato gemessene Monatssumme ist im Juli 1907 mit 205 Liter gemessen worden, das waren 424 Prozent der durchschnittlich für den Monat zu erwartenden Menge. (mz)