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Tierliebe Tierliebe: Fluthilfe besonderer Art

Von UtE OTTO 27.06.2013, 20:46
Kleines (vorn) und Pino haben in Steffi Lehmann eine Ersatzmutter gefunden.
Kleines (vorn) und Pino haben in Steffi Lehmann eine Ersatzmutter gefunden. Thomas Klitzsch Lizenz

Köselitz/MZ - Dass Tiernachwuchs zuweilen menschlichen Mutter-Ersatz braucht, ist Steffi Lehmann nicht neu. „Vor zwei Jahren haben wir einen kleinen Schafbock hochgepäppelt“, erzählt die Köselitzerin. So zögerte die 28-Jährige auch nicht, als am Abend des 6. Juni ihre Freundin aus Coswig mit einer Kiste vor der Tür stand, darin drei etwa einwöchige Rehkitze, die Anwohner in einer dramatischen Aktion vor der anströmenden Flut im Coswiger Luch gerettet hatten.

Nicht alles Gute ist richtig

Ein Tierarzt und der Cobbelsdorfer Revierförster Olaf Thiele waren um Rat gefragt worden. Thiele kennt Lehmanns und weiß um ihre große Tierliebe und Aufzuchterfahrung. Er sah in dem Moment auch keine bessere Lösung, als die Kitze dort unterzubringen und es mit der Handaufzucht zu versuchen.

Im Stall ihrer putzigen Zwerghühner hat Steffi Lehmann den Kitzen einen Bereich abgeteilt, den Boden mit Stroh und Streu gepolstert und eine wärmende Rotlichtlampe aufgehängt. Medikamente hatte der Tierarzt mitgegeben. Nestwärme brauchten die geschwächten Kleinen, am dringendsten aber Fütterung - und zwar die richtige.

Dass Lehmanns schon länger einen Draht zu einem Ziegenhof haben, von dem sie naturbelassene Milch bekommen, war in dieser Situation mehr als glücklich. Seitdem ist der Tag der gelernten Hauswirtschafterin in einen strengen Rhythmus unterteilt. Tag und Nacht, anfangs alle zwei bis drei, jetzt alle vier Stunden wärmt sie Fläschchen, lässt die Kleinen saugen und massiert ihnen die Bäuchlein, damit die Verdauung funktioniert. Die Erde im Futternapf brauchen die kleinen Rehe ebenfalls für die Verdauung. Es ist mehr als ein Vollzeitjob. Dass es so anstrengend wird, hätte sie nicht gedacht, gesteht die junge Frau. „Ich glaube, bei den Kindern war es einfacher“, sagt sie schmunzelnd. Mit zehn und fünf Jahren sind Lehmanns Kinder aus dem Gröbsten raus.

Trotz aller Mühen ist ein Kitz am Samstag nach der Rettungsaktion verendet. Es war ein trauriger Tag für Steffi Lehmann: „Am selben Abend musste ich eine meiner Katzen einschläfern lassen“, erzählt sie. Der Verein Rehkitzrettung ist mit Nottelefon und Internetseite für Steffi Lehmann ein guter Ratgeber. Von Freunden und Nachbarn bekämen sie Unterstützung, aber auch von Fremden. Über die Facebook-Gemeinde ist die Geschichte ins Jump-Radio vorgedrungen.

Hilfe von vielen Seiten

Die Hilfsbereitschaft findet die Köselitzerin „einfach enorm“. Die Fans durften dann Namensvorschläge für die beiden Kitze machen. Offenbar ein „Tote-Hosen-Fan“ hatte Campino für das größere Böckchen vorgeschlagen. Daraus wurde Pino, die Ricke bleibt wohl immer „Kleines“.

Sie entwickeln sich gut. Inzwischen knabbern die beiden auch schon an den Zweigen, die ihnen Lehmanns in ihren Verschlag hängen. Tagsüber sind sie mit Kaninchen in einem Gehege im Garten. Und wenn Steffi Lehmann Zeit findet, setzt sie sich mit einer Tasse Kaffee auf den Hof und genießt es, zuzusehen, wie ihre Zöglinge den Hof erkunden.

Rehkitze säugen bis zu einem Jahr. Vor dem nächsten Frühjahr ist an eine Auswilderung nicht zu denken. Vom Garten aus sollen die Rehe dann freien Auslauf in die Feldflur bekommen. Bei Pino ist sich Steffi Lehmann jetzt schon sicher, dass er immer zurück an die heimische Futterkrippe kommen wird. „Er läuft mir ständig hinterher.“ Kleines ist scheuer. Auf jeden Fall will Steffi Lehmann dann die Tiere mit Halsbändern kennzeichnen und mit den Jägern sprechen: „Ich ziehe sie ja nicht auf, dass sie totgeschossen werden“, sagt sie.

Die Kitze sind übrigens nicht die einzigen tierischen Flutopfer, denen Lehmanns Zuflucht gewähren. Pferde aus Jeßnitz weiden auf ihrem Grund und dürfen auch auf der Wiese des Nachbarn grasen. „Das ist unsere Art von Fluthilfe“, sagt Steffi Lehmann, während ihr Mann bergeweise frisch gemähtes Grün auf den Hof karrt. Richtige Tierliebe ist vor allem Fleißarbeit. „Man muss es wollen“, so die junge Frau.