Streit um Wasserrechnung Streit um Wasserrechnung: Wittenberger soll 1.000.000 Liter Wasser verbraucht haben

Halle (Saale)/Wittenberg - Unter 50 Kubikmetern, immer. „Wir sind nur zu zweit, mehr Wasser haben wir nie verbraucht“, rechnet Werner Landgraf vor. Wobei sich das Nie auf eine Zeit bezieht, die vor knapp fünf Jahren endete: Damals zeigte die Wasseruhr des 79-Jährigen aus Iserbegka bei Wittenberg plötzlich eine andere Zahl: Rund 1 000 Kubikmeter sollten Landgraf und seine Frau Ingeborg, die zusammen in einem Einfamilienhaus leben, nun verbraucht haben. 1.000 Kubikmeter. Eine Million Liter Wasser. „Unser Verbrauch in 25 Jahren“, schimpft Landgraf.
Vorwurf der Manipulation
Der frühere Chemieingenieur steht im langen, kahlen Flur des Verwaltungsgerichtes Halle. Landgraf versucht zu seinem Recht zu kommen, wie er sagt. Er hat einen Anzug an, eine Aktentasche mit den Prozessunterlagen unterm Arm und in einem Beutel steckt eine Wasseruhr. „Selbe Bauart wie unsere“, sagt er. Werner Landgraf hat schon ein bisschen Routine vor Gericht. Es ist das dritte Verfahren das er führt, um seinen Abwasserzweckverband dazu zu bringen, die überhöhte Rechnung für das Jahr 2011 zurückzunehmen. Statt 84 Euro sollten Landgrafs damals fast 2.200 zahlen. „Das ist doch Irrsinn“, schimpft der Mann, der hier heute als Kläger auftritt, um eine Wiederaufnahme des ursprünglichen Verfahrens zu erzwingen.
Das haben die Landgrafs verloren, obwohl die Faktenlage für sie spricht. „Ja, heute“, sagt Werner Landgraf, „heute habe ich ja auch Beweise dafür, dass da manipuliert wurde“. Damals aber war es ein kurzer Prozess: Ein Wasserzähler ist in Deutschland so etwas wie eine Urkunde. Er ist amtlich geeicht und verplombt. Was er zeigt, ist die reine Wahrheit. „Zudem“, beschreibt der Magdeburger Rechtsanwalt Christian Rasch, der den Wasser- und Abwasserverband Elbe-Elster-Jessen vertritt, „hat ein Gutachter bezeugt, dass der Zähler in Ordnung war.“
Zahlreiche Fälle bei Sachverständigen bekannt
Georg Hofmann allerdings kann ein Lied davon singen, wie wenig in Ordnung in Ordnung manchmal ist. „Ich habe zur Zeit 28 Fälle auf dem Tisch“, sagt der Leipziger Ingenieur, der sich mit seiner Consulting-Firma auf Sachverständigen-Gutachten zur Strömungstechnik spezialisiert hat. Das Problem ist immer dasselbe: Durch Erschütterungen bei Bauarbeiten oder durch eingeschlossene Luftblasen kommt es in Wasserzählern zu sogenannten Rollensprüngen. „Dabei bewegt sich eine der Zählrollen unkontrolliert weiter, obwohl sie das nicht dürfte.“ Hofmann hat in der Praxis Fälle erlebt, in denen solche Rollensprünge Rechnungen in fünfstelliger Höhe produzierten. „Ein Pflegeheim in Leipzig musste 14.000 Euro mehr bezahlen, in einem Mehrfamilienhaus zeigte der Zähler nach nur neun Monaten einen Mehrverbrauch von tausend Kubikmetern an.“ Zum Vergleich: Der Jahresverbrauch eines deutschen Zwei-Personen-Haushalts liegt bei etwa 46 Kubikmetern.
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Ingeborg und Werner Landgraf sollen tausend Kubikmeter - etwa 10.000 bis zum Rand gefüllte Badewannen - sogar ganz allein verbraucht haben. So sieht es zumindest der Wasserverband. Und so sah es auch das Verwaltungsgericht, vor dem die Landgrafs gegen den ergangenen Gebührenbescheid klagten. Theoretisch hätte ja, so heißt es im Urteil, in etwa neun Tagen tatsächlich eine Million Liter durch die Leitung fließen können. Werner Landgraf schüttelt den Kopf. „Aber wohin denn, das hätte doch unser ganzes Grundstück überschwemmt“, fragt er Richterin Gabriele Weber, die über eine erneute Wiederaufnahmeklage des Wittenbergers befinden soll. Schließlich, sagt Landgraf, habe er jetzt Beweise dafür, dass niemals so viel Wasser durch seinen Zähler geflossen sein könne. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, das Landeseichamt und die Fachhochschule Schmalkalden haben den Wasserzähler begutachtet, der aus Sicht Landgrafs erfundene Zahlen anzeigt. Nicht nur wie der ursprüngliche Gutachter von außen, sondern auch von innen. „Und es fehlen alle Gebrauchsspuren, die es geben müsste, wäre der Zähler so intensiv gelaufen.“
Anzeige wäre nötig gewesen
Statt Verschleiß, wie er zu erwarten gewesen wäre, fanden die Experten das ganze Gegenteil. Auffallend sei der „ausgesprochen saubere Zustand von Messwerk, Zählwerk und Gehäuse“, heißt es im Gutachten. Zudem sei die angebrachte Bleiplombe „nicht in ordnungsgemäßem Zustand“. Und seltsam: Allen Angaben zufolge ist das Gerät 2008 geeicht und verplombt worden. „Aber schon seit 2006 verwendet die Prüfstelle keine Bleiplomben mehr“, empört sich Werner Landgraf.
Wie das sein kann, ist ungeklärt. Die Prüfstellen mutmaßen, „dass das vorgelegte Mess- und Zählwerk nicht zum ausgebauten Zähler gehören“. Werner Landgraf spricht unverhohlen von Manipulation. Richterin Weber staunt. „Aber warum haben Sie denn nicht Anzeige erstattet?“
Landgraf wusste nicht, dass er das müsste. „Er hat ja nach dem ersten Verfahren auch keine Rechtsmittel eingelegt“, sagt Verbandsanwalt Rasch. Zwar sei bis heute unklar, wo das viele Wasser geblieben sei. Weshalb der Verband Landgrafs aber ja schon die eigentlich zusätzlich fällige Abwassergebühr erlassen hätte. Ob es das Wasser nun wirklich gab oder ein Messfehler vorliege, sei mittlerweile unerheblich. „Der Zähler hat es gezählt, laut Urteil war der Zähler in Ordnung, die Beweislast liegt nun beim Kläger.“ Einmal müsse Rechtsfrieden einkehren, sagt Christian Rasch.
Geht es nach Werner Landgraf, wird das aber so bald nicht sein. Zwar sind die Chancen gering, dass der Wittenberger mit seinem Versuch durchkommt, per Klage noch einmal ein neues Verfahren zu bekommen. Andererseits hat der Rentner inzwischen Strafanzeige erstattet. „Irgendwer hat am Zähler herumgefummelt“, glaubt Landgraf, „und irgendwer hat die Plombe manipuliert“. (mz)
