Stadtmuseum in Wittenberg Stadtmuseum in Wittenberg: Julius Riemers' Welt ist eröffnet
Wittenberg - Dies ist ein Haus für Entdecker. Für Wiederentdecker und Neuentdecker. Ein „wissenschaftliches Schaumagazin“ nennt der Berliner Ethnologe Nils Seethaler das, was der Wittenberger Öffentlichkeit seit Freitagabend direkt unter dem Dach des Zeughauses geboten wird. Seethaler, Mitglied im Freundeskreis Julius-Riemer-Sammlung, hat die zentralen Begleittexte entworfen zu den insgesamt rund 1500 Exponaten von Riemer, welche, wie er zufrieden feststellt, rund „75 Prozent“ des neuen Wittenberger Stadtmuseums ausmachen.
Beziehungsweise eine ganze Etage. Dort traten sich die Neugierigen zur Eröffnung fast auf die Füße - während zeitgleich im Stockwerk darunter noch bis zur letzten Minute Hand an die Stadtgeschichte gelegt wurde. Bis Mitternacht stand das ganze Haus allen Interessierten bei freiem Eintritt offen. Viele Hunderte, gezählt hat sie niemand, nutzten diese Gelegenheit, auch Familien mit Kindern, die zur Feier des Tages ausnahmsweise länger aufbleiben durften.
Schon Zukunft im Blick
Seit rund zehn Jahren, seit dem Auszug des Riemer-Museums aus dem Schloss 2008, hatten die Wittenberger ohne Museum auskommen müssen. Es gab Zank, Umplanungen und Interims, über die jetzt freilich niemand mehr sprechen möchte. Was zählt, ist der Erfolg. Und als Erfolg wird das Museum, wie es sich nun präsentiert, allseits gewertet.
Das gilt für die streitbaren Riemer-Freunde, allen voran der Vorsitzende dieses Fördervereins, Michael Solf, der bereits laut über eine Weiterentwicklung der Ausstellungen nachdenkt, wie auch für den Ministerpräsidenten des Landes, der als Wittenberger am Eröffnungsabend natürlich ebenfalls dabei war, auch um, wie er mit Blick auf die attraktiv gestalteten Primaten-Vitrinen launig sagte, sich erneut „mit meinen Affenfreunden zu verbrüdern“ - auch ein Reiner Haseloff vergleicht das alte und das neue Museum. „643502“ Euro an Fördermitteln habe das Land ins neue Wittenberger Ausstellungshaus gesteckt, ein „würdiger Ort“, wie Haseloff findet, und „Schlussstein der Reformationsdekade“.
Es ist noch nicht alles perfekt zur Eröffnung. Riemers Karussell leuchtet zwar schon, aber es fehlt noch der Baldachin, dito hier und an anderen Orten die fest installierten Medienstationen, die inmitten der Exponatfülle insbesondere im Riemer-Geschoss Orientierung bieten sollen. Beschriftungen finden sich nämlich nicht an den großen wohnzimmerschrankähnlichen Vitrinen, die vor natur- bzw. völkerkundlichen Objekten teils geradezu überquellen.
Ob hier beispielsweise Handzettel Abhilfe schaffen können, wie der Riemer-Verein anregt und wie man es auch aus manchen anderen Museen kennt, oder ob ein Führer herausgegeben wird, anhand dessen man seinen Rundgang absolvieren kann, wie der Leiter der Städtischen Sammlungen Andres Wurda auf MZ-Anfrage in Aussicht stellte, bleibt abzuwarten.
Geschichte zum Anfassen
In der stadtgeschichtlichen Abteilung, also der ersten Etage, ist dies ohnehin kein Thema. In hellem und übersichtlichem Ambiente sind hier die Schaustücke angeordnet, man bewegt sich entlang so genannter Vitrinenbänder, zumeist flache Guckkästen. Hoch über den einzelnen Themenbereichen prangt jeweils dezente Leuchtreklame, es geht um die „Chemiestadt“, die „Churstadt“, die „Preussenstadt“ und um die „Lutherstadt“ natürlich auch. „Meine Stadt“ gibt es hier ebenso, dieser - leere - Bereich lädt freilich nicht zur Meditation über eigene Vorstellungen zu Wittenberg ein sondern soll noch gefüllt werden, insbesondere mit Informationen zur Stadtentwicklung nach 1990. (Wie Stadtentwicklung um 1969 aussah, kann man sich bereits ansehen - und sich durchaus gruseln: In der Altstadt waren Hochhäuser vorgesehen.)
Einige der robusteren Ausstellungsgegenstände, etwa eine ausrangierte Spitze des Lutherdenkmals, stecken übrigens nicht hinter Glas, sondern laden fast zum Anfassen ein. (mz)