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Stadtkirchengemeinde Stadtkirchengemeinde: Kristin Jahn verlässt Wittenberg

Von Corinna Nitz 30.06.2017, 17:34
Im Herbst wechselt Stadtkirchenpfarrerin Kristin Jahn von Wittenberg nach Altenburg: „Ich bin glücklich, dass ich glücklich zurückschauen kann.“
Im Herbst wechselt Stadtkirchenpfarrerin Kristin Jahn von Wittenberg nach Altenburg: „Ich bin glücklich, dass ich glücklich zurückschauen kann.“ Klitzsch

Wittenberg - Kristin Jahn hat einen Traum. „Dass wir aufbrechen und es wagen, Kirche für andre zu sein: luftig, offen, strahlend und weit und ein Ohr haben für das, was Menschen bewegt, egal wer sie sind, egal woher sie kommen, egal ob sie Christen sind. Dass wir es wagen, eine Gemeinschaft derer zu sein, die nach Gott fragen und nicht so tun, als wüssten sie schon wie Glaube funktioniert und wer hier alles an Bord gehört.“

Jahn ist Stadtkirchenpfarrerin in Wittenberg, von diesem, ihrem Traum hat sie im Thüringischen erzählt. Dort hatte sie sich auf die Superintendentenstelle beworben - und den Menschen in einem Vorstellungsgottesdienst am 20. Mai in St. Nicolai in Schmölln erklärt, womit sie rechnen können, wenn sie, Jahn, zu ihnen kommt.

Zum Beispiel damit, dass sie versuchen wird, die Kirche, die ihr manchmal wie ein alter „rostiger Tanker“ vorkomme, ein Schiff, das festliegt im Hafen der Tradition, wieder aufs offene Meer hinauszuführen: „Auf die offene See des Glaubens und der Hoffnung, dort, wo es stürmt und windet und weht, wo es Wellen und kritische Fragen gibt, ein einziges hin und her.“

Kristin Jahn, Jahrgang 1976, studierte Germanistik und Theologie in Jena, das Vikariat absolvierte sie in Wittenberg, dort ist sie seit 2012 an der Stadtkirche tätig. 2005 promovierte sie im Fachbereich germanistische Literaturwissenschaft, 2011 war Jahn in der Kategorie „Beste Osterpredigt“ eine der Preisträgerinnen des Predigtpreises des Verlags der Deutschen Wirtschaft. Im Herbst wechselt sie als Superintendentin des Kirchenkreises Altenburger Land nach Thüringen.

In Wittenberg soll Kristin Jahn am 17. September in der Stadtkirche im Gottesdienst verabschiedet werden. Über eine Wiederbesetzung ihrer Pfarrstelle muss nach Auskunft von Christian Beuchel, Superintendent in Wittenberg, noch entschieden werden. „Die Stellenplansituation ist angespannt“, sagt er gegenüber der MZ. Jährlich verliere der Kirchenkreis um die 800 Mitglieder, davon seien über 90 Prozent Sterbefälle. Daher müsse man jede Stelle „genau anschauen“. 

Ganz offensichtlich haben sie im Kirchenkreis Altenburger Land Lust auf einen solchen Aufbruch: Nachdem sich wie berichtet die Kreissynode bereits Ende Mai für Jahn ausgesprochen hatte, stimmte auch der Landeskirchenrat zu. Nun hat Jahns letzter Sommer in Wittenberg begonnen; am 1. Oktober tritt sie in Altenburg ihre neue Stelle an, Ende September soll der Umzug über die Bühne gehen.

Bis dahin kann Jahn, die in diesem Herbst ihren 41. Geburtstag feiern wird, noch die Aussicht von der Dachterrasse ihrer Wohnung in Wittenberg genießen. Teile des Paul Gerhardt Stifts sieht sie von dort oben und die Rückseite einer Senioreneinrichtung - dazwischen die Grabplatten auf dem Betriebsgelände eines Steinmetzes.

Ja, es mag romantischere Ausblicke geben. Oder die spektakulären, vielleicht aufs Unesco-Welterbe, von dem Wittenberg bekanntlich einiges aufbietet. Für Jahn aber ist dieses Panorama hier genau richtig: weil es einen Teil ihrer Arbeit widerspiegelt, wie sie sagt.

Und dabei weniger das Krankenhaus meint, umso mehr die Gottesdienste in zwei Pflegeheimen der Gegend und eben auch die Trauergottesdienste. Das habe sie immer gern gemacht, „es berührt mich sehr“.

Ein anderes Ankommen

Nach Wittenberg kam Jahn vor fünf Jahren im Rahmen des Entsendungsdienstes der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Sie vergleicht das salopp mit einem Postpaket, das auf die Reise geschickt wird. Und lacht. In Wittenberg jedenfalls war damals die Pfarrstelle III an der Stadtkirche frei. Die gebürtige Thüringerin bekam einen Teil der Innenstadt zugewiesen sowie die Dörfer Mühlanger und Dietrichsdorf. Und zwei Pflegeheime. Und Gesprächskreise...

Es sollte diese Mischung sein aus Gottesdiensten in der großen Stadtkirche mit ihrer historischen Bedeutung, den kleinen Formaten auf dem Land, der Arbeit mit Konfirmanden und der Gemeindepädagogin und im Öffentlichkeitsausschuss oder den von anderen mitgetragenen Projekten, die die Zeit in Wittenberg zu einer interessanten gemacht haben.

Auch wenn 2012 eben vor Ort „schon viel geklärt und es ein anderes Ankommen war, als wenn man sich eine Stelle frei aussucht“.

So wie jetzt. Sie freut sich auf die neuen Aufgaben als Superintendentin, klar. Ihr Predigtauftrag wird an die Bartholomäuskirche in Altenburg angebunden. Zuständig sein wird sie fürs Personal im Kirchenkreis Altenburger Land und „grob“ auch für den inhaltlichen Kurs. Um Bildungsarbeit werde es gehen, um Diakonie und Kirchenmusik.

Von „Draufblick“ ist die Rede und von „Mut“, von Prüfungsaufgaben bei Vikaren und einer „klaren Linie“, die sie auch in dieser Hinsicht fahren will.

„Klugheit auf der Kanzel ist gut und schön, aber am Grab rettet uns das nicht“, sagt sie und betont: „Wir brauchen Pfarrer mit Liebe zum Wort und für die Menschen.“ Und wichtiger als etwa einen Gottesdienst vor drei Leuten zu halten, sei ihr, dass ein Pfarrer, zum Beispiel, bei der Feuerwehr im Ort präsent ist.

Was kommt, was bleibt?

„Wir müssen raus aufs Offene“, wiederholt Jahn an einem dieser heißen Junitage auf der Wittenberger Dachterrasse, was im neuen Kirchenkreis in Thüringen beim ersten Kennenlernen so gut ankam.

Natürlich sei es einfacher, „im Hafen liegen zu bleiben und die alten Geschichten zu erzählen, wie voll früher das Kirchenschiff war und am Ende der Geschichten ist der Pfarrer schuld, der den Aufbau der Gemeinde versäumt hat oder manchmal auch die Demografie, weil die Jugend wegzieht und es bitter ist, dieses leere Land zu sehen“, predigte sie.

Doch ist ein Aufbruch „aufs Offene“ möglich, wenn man weiß, wer man ist und wo die Planken liegen auf dem Boot, sagt Jahn und fordert auch: „Seid nicht mit euch selbst zufrieden, sondern versteht euch als in diese Stadt gestellt. Da ist es egal, ob einer Christ ist oder nicht!“

Das könnte man jetzt auch als Ermutigung für jene verstehen, die Jahn zurücklässt. Mancher in der Gemeinde wird über ihren Weggang betrübt sein. Was nach ihr kommt, ist ungewiss. Kristin Jahn selbst sagt: „Ich bin glücklich, dass ich glücklich zurückschauen kann. Und ich hoffe, dass einige Freundschaften bleiben.“

(mz)