Stadtführungen in Wittenberg Stadtführungen in Wittenberg: Altes Pflaster, neue Wege

Wittenberg - Der Probelauf findet unter sehr realen Bedingungen statt. Kalter Schneeregen setzt sich auf Kopf und Fingern fest, Füße schlittern über Schneematsch, fehlt eigentlich bloß noch ein bisschen eisiger Wind. Wohl dem, der bei so einem Wetter keine Stadtführung gebucht hat! Es sollen aber auch wieder bessere Zeiten kommen in Wittenberg. Und deshalb müssen wir hier jetzt durch. Kleiner Trost: Bald wird der Schneeregen in gewöhnlichen Regen umschlagen.
Die örtliche Touristeninformation hat am zweiten Freitag des neuen Jahres zur Vorstellung ihrer Führungen für 2019 eingeladen, gekommen sind rund ein Dutzend Interessenten, Presse und Hotellerie. Die erste von zwei geplanten derartigen Veranstaltungen bietet einen groben Mix aus gewohnt ferner Historie und zeitgenössischer Kunst.
Die Thesentür, hach ja, der Cranach-Hof und dahinter dann der Luthergarten. Kindgerecht aufbereitet diesmal. Weshalb das Publikum lustigerweise auch mit „Liebe Kinder“ angesprochen wird. Nächste Station: das Alte Rathaus.
15 Führungen hat die Wittenberger Touristen-Info laut Leiterin Kristin Ruske 2019 im Angebot. Unterschieden wird in „öffentliche“ und solche für bestimmte Gruppen. Dies gilt auch für die vorgestellten drei, hier die Daten der entsprechenden ersten öffentlichen Führungen: Den Auftakt macht „Wittenberg vor Martin Luther - Ein Stadtwächter erzählt in der Klosterkirche“ am 9. Februar um 16 Uhr. Die erste öffentliche Radtour zu den Wittenberger Graffiti ist für den 9. März, 10 Uhr geplant. Die auch als „Ausbildung zum Stadtwächter“ firmierende „Schnupperstunde bei der Wittenberger Stadtwache“ soll am 21. April ab 16 Uhr stattfinden. Die Buchung erfolgt jeweils über die Touristen-Information, die Teilnehmerzahlen sind begrenzt und liegen etwa für die Graffiti-Radtour bei 15 Personen, für die genannte Klosterkirchen-Führung bei 25 und für die Kindertour mit dem Anführer der Stadtwache bei maximal 30 Personen. Wie es am Freitag weiter hieß, können Fahrräder bei Bedarf auch ausgeliehen werden. Die Touristen-Info selbst hat vier Leihräder im Angebot, die übrigens auch in Dessau zurückgegeben werden können (und umgekehrt).
Richtig rädern
Aber was hat Jürgen Donde da gerade zum Besten gegeben? Wie man richtig rädert? Und dass man die Susanne Zimmermann besonders fies gerädert hat, weil sie als Gattenmörderin ja auch besonders fies gewesen war?
Also nicht erst, quasi menschenfreundlich, das Genick gebrochen, sondern erst die Gliedmaßen? Der leere Magen rebelliert jetzt ein bisschen. Was mögen da erst die lieben Kinderlein empfinden? Nun, sagt Donde ungerührt, das war jetzt natürlich eher die Erwachsenen-Version...
Die Beschreibung des Marktplatzes als Hinrichtungsort ist zweifellos einer der gruseligen Höhepunkte der Tour „Schnupperstunde bei der Stadtwache“, die sich an den Nachwuchs von Touristen und Einheimischen gleichermaßen richtet und in den Gewölben unter dem Alten Rathaus endet.
Dort, wo die Stadtwache auch ihr Vereinsdomizil hat, wird es noch einmal um Hinrichtungs- und Folterinstrumente gehen, um Hellebarden und Rüstungen, die dort gelagert sind und auch zum Anprobieren einladen, wobei man feststellen wird: Aus Metall sind die dann doch nicht.
Ein Becher Kakao, den es diesmal nicht gibt, wohl aber mannigfache Verweise auf Bier, Bier, Bier, soll die Führung kindgerecht beschließen. Wobei Vereinsvorsitzender Donde keinen Hehl daraus macht, dass die von ihm angebotene Führung nebenbei auch der Nachwuchsgewinnung für die Stadtwache dienen könnte.
Per Rad zur Street Art
Aus ganz anderem Stoff ist eine Tour, die Stadtführer Erhard Grodnick ebenfalls über die Wittenberger Touristen-Information erstmals in diesem Jahr anbietet: per Rad zur Street Art, lässt sich zusammenfassen, was Grodnick mit seinen Gästen, Wittenbergern wie Auswärtigen, ab März vorhat. Erste Station bei der gestrigen Vorstellung ist das über kurz oder lang vom Verschwinden bedrohte Graffito am Nachbarhaus der Brachfläche Collegienstraße 86.
Rund 30 solcher Kunstwerke, dem Verein „WB Motion“ sei Dank, hat der Stadtführer in Wittenberg inzwischen ausgemacht, Stoff genug für eine 15 Kilometer lange Radtour (die den Gästen am Freitag netterweise erspart bleibt).
In der Mittelstraße bleibt das Grüppchen, von erstaunlich viel Autoverkehr umtost, vor der Smartphone-Madonna stehen, der Heiligenschein ist vom Kopf aufs Phone gerutscht, na klar, ein Denk-Mal für den Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln. Grodnick, der bisher schon Radführungen im Angebot hatte, hat ein „ganz großes Interesse an Graffiti“ ausgemacht; „auch Wittenberger wird das interessieren“, zeigt er sich überzeugt.
Die Tour wird auch in die alten Neubaugebiete inklusive Hundertwasserschule führen, wo in den letzten Jahren ebenfalls diverse großformatige Wandbilder entstanden sind. Und es gibt sie auch für Fußgänger: vier Kilometer kurz, mit 16 Stationen.
Die Fußgänger des Tages sind froh, dass Station Nummer drei wieder drinnen ist, wenn auch nicht wärmer. Die Klosterkirche, findet Jürgen Donde, der jetzt erneut übernimmt, hat es verdient, bekannter zu werden. Es geht, natürlich, um die Askanier, ohne die, sagt er, Wittenberg nicht wäre, was es heute ist: Lutherstadt. (mz)
