Serie Schlosskirche Serie Schlosskirche: Die zwei Seiten einer Tür

Wittenberg - Bevor diese Tür ein Kunstwerk wurde, war sie ein Politikum. Gestritten wurde über den Durchgang als solchen. Und über den künftigen Hauptzugang über den Hof. Da konnte man als Unbeteiligter schon mal den - falschen - Eindruck gewinnen, es handelte sich um einen Dienstboteneingang...
Mit der Entscheidung für ein Besucherzentrum für die Schlosskirche war die Verlegung des touristischen Haupteingangs freilich nur logisch und damit auch ein Durchgang zwischen Schloss und Kirche, den die Nutzer selbst, allen voran das Predigerseminar, ohnehin nie in Frage gestellt hatten, im Gegenteil. Die Entscheidung, gerade diese Tür - für die Kirche vielleicht die zweitwichtigste gleich nach der Thesentür - besonders zu gestalten, lag also nahe.
Dank Unterstützung des „Freundeskreises Luther“, eines finanzstarken Zusammenschlusses von 2009, der noch andere Teile der Sanierung befördert hat, konnte diese Tür durch einen Künstler gestaltet werden. Die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt lobte 2014 einen Wettbewerb aus, die Jury entschied sich im September 2015 für Marco Flierl, Bildhauer und Kunstgießer aus Berlin.
Mit Metall „beplankt“ wurde eine schnöde Brandschutztür - aber wie! Zweiflügelig und in Bronze versucht sie gar nicht erst, mit der historischen Pracht des Gotteshauses - hier: der zurückgewonnenen Vorhangmalerei - zu konkurrieren. Ein zartes Geflecht in einem leicht erhabenen Kreis, knapp einen Meter im Durchmesser, hält in der oberen Hälfte optisch beide Flügel zusammen. Die Oberfläche schimmert in unregelmäßigem Glanz, hier heller, dort etwas dunkler. Das ist der „Lebensbaum“ der Reformation, ein neues Kleinod inmitten der alten Kirchenschätze.
Ortswechsel. Ein weißes Haus, sachlich kantig, in Weißensee. Berliner Osten, Gentrifizierungserwartungsgebiet, wie verbale Auseinandersetzungen an Bauzaunschildern zeigen. Die Kunsthochschule ist nicht weit. Der Hausherr führt durchs Wohnzimmer, vorbei an seinen beiden hübschen Töchtern, und über den Hof ins Atelier. Da steht sie also. Die andere Seite der Medaille, die Rückseite der Tür. Ein kleiner Schock: Die Tür zwischen Besucherzentrum und Kirche, sie zeigt gar nicht den friedlichen Lebensbaum, hier galoppieren die Apokalyptischen Reiter!
Flierl
Kunstwerk und Brandschutztür in einem mit dem Lebensbaum der „Reformation 2017“ auf der einen Seite.
Was haben Sie denn erwartet, fragt Flierl wortlos. Das war doch genau die Vorgabe: „Es sollte was Aktuelles sein“, bitte sehr, Krieg, Not, Hunger, Vertreibung, sucht euch was aus im heutigen Weltgeschehen und die Apokalypse ist perfekt! Heute wie damals, oder vielleicht noch schlimmer?
Als der kleine Schock sich legt, beginnt die Tür zu glänzen. Es sind vier Reiter, zwei auf jedem Flügel, und es sind ja gar nicht alle bewaffnet! Der links außen steht und streckt den anderen den Arm entgegen, als wollte er sie stoppen. „Wir brauchen ja auch noch Hoffnung“, kommentiert Flierl versöhnlich. Das also werden die Leute im Besucherzentrum sehen, kurz bevor sie die Schlosskirche betreten. Die Apokalypse und darüber die Worte, in Versalien, nicht zu übersehen, bestimmt nicht: Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, in unsern Zeiten.
Der Künstler zündet sich die nächste Selbstgedrehte an. Ja, es gab einiges auszuhandeln mit den Auftraggebern. Er persönlich hätte zum Beispiel diesen Spruch über den Reitern noch besser gefunden: Wenn wir täten, was wir sollten, und nicht machten, was wir wollten, hätten wir auch, was wir haben sollten. Auch von Luther. Ein moralischer Imperativ, fast schon Kant.
Die meisten Änderungen und Auflagen, sagt Flierl, hätten freilich technische Fragen betroffen. Kunst und gleichzeitig „T 90“ (der Terminus bezeichne die Minuten, die so eine Brandschutztür im Zweifel standhalten muss), zweiflügelig und dabei mehrere Hundert Kilogramm schwer - um ein Haar hätte der Tür noch ein Oberteil hinzugefügt werden müssen, was die Wirkung der Zweiflügeligkeit natürlich verändert hätte. Im Kern Holz, wird die gleichwohl sehr schwere Tür übrigens durch einen Motor betrieben.
Bei der Realisierung arbeitete Marco Flierl „Hand in Hand“ mit der ebenfalls in Weißensee ansässigen Metallfirma Fittkau zusammen, deren Referenzliste sich wie ein Who’s who der Berliner Museumslandschaft liest. Seine Bronzekunst stellt Flierl allerdings selbst her, was nicht selbstverständlich ist, Künstler lassen heute meist fertigen: Der 52-Jährige aber gründete 1992 seine eigene Kunstgießerei.
Auch wenn er die Geschäftsführung vor einiger Zeit abgegeben hat, um sich auf seine Arbeit als Bildhauer und Galerist zu konzentrieren, trägt der Betrieb doch weiter seinen Namen und es ist dort eben auch Platz zum Gießen für den künstlerischen Eigenbedarf. Humorvolle Miniaturen, die gern mal um das Thema Bürokratie kreisen (gegossen für die Ewigkeit: der „Nichtzuständige Beamte“), und große kraftvolle Plastiken, wie seine „Panthera“, die das Wappenraubtier der Kunstgießerei werden sollte, sind hier entstanden.
Kaum ein Laie glaubt wohl, dass es bei Bronzen damit getan ist, flüssiges Metall mal eben in eine Form zu gießen, aber man staunt dann doch, wie viele Arbeitsschritte vom Urmodell über das Wachsmodell bis zum fertigen Kunstwerk nötig sind, bis eine Plastik erschaffen ist - oder eben eine neue, zuvor so nicht dagewesene Tür für die Schlosskirche zu Wittenberg. Künstlich patiniert, um das Altern vorwegzunehmen, wird das gute Stück am Ende noch mit einer Wachsschicht überzogen, um es zu schützen gegen Umwelteinflüsse, gegen das bei einer Tür naheliegende Angrapschen etwa.
Nein, er sei kein Spezialist für Türen, auch keiner für Kirchenkunst, sagt Marco Flierl - und er würde seinen Auftrag zum 500. der Reformation auch gar nicht unbedingt als „sakrales Thema“ auffassen wollen. Da schwingt wieder mit, dass es nach 500 Jahren mal an der Zeit wäre für eine Erneuerung. Womit wir dann zurück bei den Geißeln unserer Zeit wären. Bei den Apokalyptischen Reitern, die von Weißensee aus Wittenberg erreichen. (mz)

