Schuldnerberatung in Wittenberg Schuldnerberatung in Wittenberg: Die letzte Hoffnung

WITTENBERG/MZ - Michael Harmuth sortiert das Leben. Das Leben anderer Menschen, die vor seiner Tür stehen und Rat suchen, denen Probleme derart über den Kopf wachsen, dass sie alleine nicht mehr zu meistern sind. Es geht um Geld. Mal sind es 2 000, es waren aber auch schon mal drei Millionen Euro – Schulden, bei denen es nicht gelingt, sie aus eigener Kraft abzubauen. Harmuth und seine Kollegen in der Wittenberger Bürgermeisterstraße 12 sind dann oft die letzte Hoffnung. Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle der Caritas kann Licht ins Dunkel längst nicht mehr nachvollziehbarer Bestellvorgänge und Verträge bringen. Sie gibt Anleitung zur Selbsthilfe, wenn sich ungeöffnete Briefe stapeln oder gleich im Altpapier landen, wenn Inkassobüros Forderungen stellen oder der Gerichtsvollzieher sich angekündigt hat.
Zahlen steigen
„Wer zu uns kommt, möchte seine Schulden abbauen“, sagt Michael Harmuth. Und den Wunsch, nicht länger mit einer solchen Last leben zu wollen, haben viele im Landkreis Wittenberg. Der Schuldnerberater schaut in die Statistik. 2013 wurden 685 Personen von der Caritas kostenlos beraten, zum 31. Juli des Vorjahres gab es insgesamt 168 Neuberatungen, aktuell sind es bereits 191. „Die Zahlen steigen kontinuierlich“, weiß Harmuth. „Das geht quer durch die Gesellschaft, was den beruflichen Hintergrund betrifft.“
Genossenschaftler sind bereits seit Mitte 2013 geschützt. Dem Insolvenzverwalter ist es verboten, den Genossenschaftsanteil zu kündigen und zur Insolvenzmasse hinzuzurechnen. Bislang bedeutete das oft den Verlust der Wohnung. Das Geschäftsguthaben des Mitglieds darf jedoch höchstens das Vierfache der monatlichen Nettomiete oder höchstens 2 000 Euro betragen.
Die neue Regelung vom 1. Juli 2014 verkürzt zudem nicht nur das Restschuldbefreiungsverfahren sondern stärkt auch die Gläubigerrechte. So können künftig Versagungsanträge für die Restschuldbefreiung schriftlich gestellt werden, bislang mussten die Gläubiger dafür extra zum Schlusstermin vor Gericht anreisen. Versagungsgründe, die erst nach dem Schlusstermin bekannt werden, können jetzt nachträglich geltend gemacht werden.
Die Schuldnerberatung der Caritas befindet sich in der Wittenberger Bürgermeisterstraße 12, über dem Katholischen Kindergarten. Eine Außenstelle gibt es in Gräfenhainichen, Kirchplatz 1. Zweimal im Monat sind offene Sprechzeiten zur Einzelberatung oder Anbahnung der längerfristigen Betreuung: jeden ersten Dienstag im Monat 15 bis 18 Uhr sowie jeden dritten Donnerstag im Monat 9 bis 12 und 15 bis 18 Uhr. Beratung in Gräfenhainichen ist montags, 13 bis 18 Uhr. (ihi)
Auch wenn hinter jedem Fall ein Einzelschicksal steckt, so sind die Ursachen, die zu einer Überschuldung führen, doch ähnlich. Ehekrisen, Scheidung, Trennung und damit verbunden Engpässe bei der Immobilienfinanzierung zählt Michael Harmuth auf, Erkrankungen und Berufsunfähigkeit nennt er ebenso wie mangelnde Kalkulation beim Eingehen von Verträgen, beispielsweise für den Autokauf oder für den Kauf technischer Güter. „Gerade bei Finanzierungsverträgen von Konsumgütern wird es dem Verbraucher aber auch oft sehr leicht gemacht“, findet Harmuth.
Insolvenz der letzte Ausweg
Ist es dann irgendwann nicht mehr möglich, die Raten zu zahlen, setzt sich schnell eine Kette von Mahnungen und Forderungen in Bewegung, an deren Ende nicht selten die Privatinsolvenz steht. Zum 31. Juli 2013 wurden nach Beratungen durch die Caritas im Landkreis Wittenberg 139 Anträge auf die Einleitung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Jetzt, ein Jahr später sind es 98. Für Harmuth und seine Mitberater ist die Insolvenz jedoch der letzte Ausweg. Erste Wahl seien stets die außergerichtlichen Einigungen mit den Gläubigern.
Wenn sich dieser Tage indes der Beratungsbedarf zur Privatinsolvenz erhöht hat, dann liegt das vor allem an dem am 1. Juli in Kraft getretenen Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens. Dieses ergänzt die Insolvenzverordnung vom 1. Januar 1999. Sie führte damals die Restschuldbefreiung ein, die jedem redlichem Schuldner nach einer sechsjährigen Verfahrensdauer die Befreiung von den restlichen Verbindlichkeiten eröffnet. Die neue Regelung kann dieses Verfahren auf drei oder fünf Jahre verkürzen, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt ist.
Neue Regeln für Ausnahmefälle
Diese aber sieht Michael Harmuth in der Praxis als hohe Hürde. Es gebe ein großes „Aber“ und das ist die Mindestbefriedigungsquote. Denn nach drei Jahren ist man nur schuldenfrei, wenn ein Betrag in Höhe von 35 Prozent der Schulden an den Insolvenzverwalter abgeführt und die gesamten Verfahrenskosten vom Schuldner bezahlt wurden. Die verkürzte Verfahrenszeit von fünf Jahren kann man beantragen, wenn lediglich die Verfahrenskosten bezahlt wurden. „Da bewegt man sich zwischen 2 000 und 2 500 Euro“, erklärt Harmuth.
„Viele der Menschen, die zu uns kommen, sind jedoch nicht in der Lage, diese Bedingungen zu erfüllen“, glaubt der Schuldnerberater der Caritas. „Für die Restschuldbefreiung nach drei Jahren werden Größenordnungen gefordert, die aus unserer Sicht nur in Einzelfällen mal zutreffen.“ Warum nur wenige in den Genuss dieser neuen Verfahrensverkürzung kommen können, liegt für Harmuth auf der Hand. 70 Prozent der Ratsuchenden beziehen Leistungen nach SGB II und erhalten Arbeitslosengeld II. Rentner und Geringverdiener gehören außerdem zur Klientel. In den seltensten Fällen könnten diese Menschen die Mindestbefriedigungsquote erreichen, denn alles Vermögen sei schließlich Bestandteil der Insolvenzmasse bis hin zur schuldenfreien Immobilie.
Zahlreiche Verpflichtungen
„Mit einem Insolvenzverfahren sind viele Verpflichtungen verbunden“, erklärt Harmuth. Aber auch mit außergerichtlichen Einigungen oder dem gerichtlichen Schuldenbeseitigungsplanverfahren seien Auflagen verbunden. „Die Menschen müssen sich bei uns bewusst entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen“, beschreibt er die Beratungstätigkeit. „Wir werden auch künftig jedenfalls viel zu tun haben.“ Zwar seien die meisten Ratsuchenden zwischen 25 und 45 Jahre alt, aber die Zahl der unter 25-Jährigen mit Hilfebedarf steige rasant. „Dabei sind Schulden alles andere als ein Kavaliersdelikt“, sagt Harmuth.
Eine detaillierte Erläuterung der neuen gesetzlichen Regelung findet sich unter dem Punkt „Publikationen“ (veröffentlicht am 1. Juli 2014) auf der Internetseite des Bundesjustizministeriums unterwww.bmjv.de zum Herunterladen.