Schmäh-Relief "Judensau" Schmäh-Relief "Judensau": Der Sündenfall kommt vor Gericht

Wittenberg - Die „Judensau“ an der Stadtkirche - das Schmährelief aus dem 13. Jahrhundert - beschäftigt die Justiz. „Wir sind im schriftlichen Vorverfahren“, erklärt Amtsgerichts-Direktor Johannes Nolte am Dienstag.
Und der Schlagabtausch der Juristen läuft schon auf Hochtouren. Michael Dietrich Düllmann, Mitglied der Synagoge Sukkat Schalom der Jüdischen Gemeinde Berlin, hat den Streit ausgelöst. Er hat die Stadtkirchengemeinde zivilrechtlich verklagt und fordert die Abnahme des Sandsteinreliefs. Sein Anwalt Hubertus Benecke spricht vom „objektiven und subjektiven Tatbestand der Beleidigung“.
Dieser Vorwurf ist ein Straftatbestand. Eine derartige Anzeige gibt es aber nicht, so Polizeisprecherin Cornelia Dieke. Aber auch der Theologe Richard Harvey fordert das Abhängen der „Judensau“ - das Wort wurde einst von den Nazis geprägt. Die Petition des Briten läuft noch.
Dagegen hat das Zivilverfahren schon Fahrt aufgenommen. Die Stadtkirche hat eine Erwiderung verfassen lassen, die es in sich hat: Die Stadtkirche behauptet, dass sie gar nicht beklagt werden könne, da sie – aus formalen Gründen - „nicht deliktsfähig“ sei.
Die Klage sei deshalb unzulässig und auch unbegründet, so der Jurist Jörg Ellermann, der „offen und ehrlich“ gegenüber der MZ betont: Die Stadtkirche habe Menschen jüdischen Glaubens nicht beleidigt!
Diese Nicht-Zuständigkeit wird vom Anwalt in Hof, der Düllman vertritt, geschickt gekontert. „Das ist wahrhaft eine erstaunliche Argumentation“, so Benecke. Sie erinnere an die „Taktik von Adam und Eva im Sündenfall. Ich war es nicht, die Frau war es. Und Eva schiebt alles auf die Schlange“, so Benecke, der fragt: Will sich Wittenberg so verhalten?
In der Lutherstadt bemüht sich dagegen Ellermann, den geschichtlichen Kontext zu erklären. Dabei wird auf Friedrich Schorlemmer verwiesen. Der Pfarrer hat einen Artikel verfasst mit dem Titel „Die Judenverspottung - ein Skandal an der Fassade der Stadtkirche Wittenberg“.
Der Autor beginnt seine Ausführung mit der rhetorischen Frage, welche laut Ellermann „den Kern dieses Zivilverfahrens“ gut zusammenfasst: „Wieso diese Schmähplastik, diese gräuliche Judenverspottung an der Stadtkirche, nicht endlich abhaken, zu Staub zermalmen?“
Die Antwort auf diese Frage, betont Ellermann, liegt für den Autor auf der Hand: „Nein. Weil auch schwierige Geschichte erinnerungsbedürftig bleibt, zumal Martin Luther mit seinem antijüdischen Furor - zusammen mit den meisten seiner Zeitgenossen - zur erschütternden Wirkungsgeschichte gehört: Juden in Deutschland und Europa als stets Gejagte, Kopfschütteln, Wut, Entsetzen, Scham - das alles ist nur zu berechtigt“.
„Das ist nicht justiziabel“, so Schorlemmer. An einer „solchen Form der Auseinandersetzung“ beteilige er sich nicht. Er stehe für den Rechtsstreit nicht zur Verfügung. Ein Skandal müsse nicht auch noch skandalisiert werden, begründet er. Den Korb sieht Ellermann nicht als Problem.
Das Zitat sei ein öffentliches Statement. „Es ist inhaltlich sehr gut“, so der Jurist. Wer sich für das Abhängen des Reliefs einsetzt, müsse auch fordern, dass die ehemaligen Konzentrationslager als Stätte der Mahnung geschlossen werden, so der Anwalt.
Und es gibt einen weiteren Aufreger. „Die ’Judensau’ wird in den einschlägigen Touristenshops in Wittenberg, insbesondere auch von der Stadtkirche, als Schwarz-Weiß-Postkarte von allergrößter Schärfe veräußert“, so Benecke. Der Vorwurf trifft nicht auf die Stadt-Info zu. Auch in den „einschlägigen Shops“ werden Interessenten vergeblich suchen.
Fündig wird der Käufer aber in der Stadtkirche. Für 2,10 Euro gibt es die „Judensau“ auf zwei Karten zum Mitnehmen. Für die geschichtliche Einordnung sorgt der Flyer „Stätte der Mahnung“ von Schorlemmer. Übrigens wurde in Deutschland erst eine „Judensau“ entfernt. Das war 1945 von einer Apotheke in Kelheim. Ein US-Offizier gab den Befehl. (mz)