Schlossbaustelle in Wittenberg Schlossbaustelle in Wittenberg: Ambitioniert und sportlich

Wittenberg - Des einen Freud’ ist des anderen Leid. Jene Kinder, die am Donnerstagmorgen letzter Woche ihre Schlitten hinter sich her in Richtung Stadtpark ziehen, sind erkennbar begeistert von der doch noch aufgetauchten weißen Pracht. Nicht weit entfernt, am Schloss, hält sich die Freude jedoch in Grenzen. Dabei ist weniger der Schnee das Problem auf der Wittenberger Großbaustelle des Reformationsjubiläums, umso mehr der Kälteeinbruch. Bei Minusgraden lässt sich nun mal nicht mit Beton arbeiten, auch Außenputzarbeiten sind unmöglich. Nicht weniger als 4 200 Quadratmeter Fassade müssen noch verputzt werden, hinzu kommen weitere 600 Quadratmeter für den Sockel, wird Ingo Bunk von der Firma DGI Bauwerk aus Berlin später sagen.
Ein Rundgang über die Baustelle
Jetzt aber geht’s erst einmal hinein. Erneut öffnet Martin Stein von der Sachsen-Anhaltinischen Landesentwicklungsgesellschaft (Saleg) nach einer ersten Visite 2013 für die MZ die Baustelle. Über Leitern geht es hinauf ins erste Obergeschoss des Schlosses. Insgesamt 3 800 Quadratmeter Fläche waren ehedem eingerüstet worden. 171 Tonnen Material wurden dafür in zwölf Sattelschleppern herangefahren. Mit weiteren 60 Tonnen schlug das Wetterschutzdach zu Buche, das inzwischen abgenommen ist. Der jüngste Rundgang führt zunächst durch Teile des ersten Obergeschosses. Ziemlich aufgeräumt sieht es da schon aus, Deckenbalken, über denen sich bald die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek befinden soll, wurden statisch und brandschutztechnisch ertüchtigt. Die Wände sind „weitgehend“ zum ersten Mal verputzt worden.
Über den Oberputz wird wohl diesen Dienstag entschieden. Dann kommt Stein zufolge Architekt Josè Gutierrez Marquez vom Berliner Büro Bruno Fioretti Marquez, das die Pläne für den Umbau verantwortet, nach Wittenberg. Marquez war es auch, der das Wittenberger Schloss einmal einen Prinzen nannte, der in einen Frosch verwandelt worden sei. Nun ist die Rückverwandlung trotz mancher Überraschung (etwa waren im Keller, in dem sich inzwischen jede Menge Haustechnik befindet, Riesenfindlinge aufgetaucht) schon weit vorangeschritten. Das bleibt auch dem Laien nicht verborgen, wiewohl es nicht schaden kann, seine Fantasie anzustrengen, beispielsweise wenn Stein den neuen Besucherempfang für die Schlosskirche beschreibt. Zugänglich wird er über das westliche Treppenhaus, dort ist auch der Durchbruch vom Schloss zur Kirche geschaffen worden. Ein nicht ganz unproblematisches Unterfangen, schließlich handelt es sich bei dem Sakralbau um ein Weltkulturerbe der Unesco. Noch in Arbeit ist eine Tür für diesen Durchgang, für die 2014 ein Wettbewerb durch die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt ausgelobt worden war. Die Tür soll, ebenso wie der Besucherempfang, bis 30. April 2016 fertiggestellt sein. Dann wird auch die Schlosskirche für den Besucherverkehr wieder zugänglich.
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Wie Hanna Kasparick in diesem Zusammenhang auf eine Nachfrage der MZ erklärt, ist die Wiedereröffnungsfeier für den 2. Oktober geplant. Kasparick ist Direktorin des Evangelischen Predigerseminars, das bekanntlich zu den Hauptnutzern des Schlosses gehören wird. Im Dachgeschoss, wo sich einst die Jugendherberge befand, entstehen Unterrichtsräume, kleine Höfe, Kreuzgänge. Doch auch dort braucht man momentan viel Vorstellungskraft: Baustellen-Utensilien türmen sich, neu errichtete Wände werden gestützt, das Dach fehlt noch ganz.
Der Unterricht wird dann wohl weiter in Räumen der Jugendherberge und im Neubau (an der Stelle des einstigen Südflügels) stattfinden. Dies wird nach dem Interim Cranach-Herberge, aus der man im August rausgehen will, eine weitere Zwischenlösung, aber Kasparick sagt: „Wir sehen das sportlich.“
Zurück zu Ingo Bunk und zur DGI. Seit März 2015 ist man im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft „Umbau und Sanierung Schloss“ vor Ort, seit November als Oberbauleitung. Bunk sitzt hinter dem Schloss in einem Baucontainer, er sagt, er habe schon viele alte, auch denkmalgeschützte Bauwerke saniert, „aber so ein Gebäude noch nicht“. Dies sei auch einer der „Hauptgründe“ gewesen, „sich dieser Aufgabe zu stellen“. Die gesetzten Termine (Eröffnung Besucherempfang nebst Übergang zur Schlosskirche am 30. April, Schloss und Südflügel im August, Dachgeschoss Ende Oktober) bezeichnen Bunk und Stein als „ambitioniert“. Aber sie wirken zuversichtlich. Wichtig sei u. a., dass bald mit den Außenputzarbeiten begonnen werden kann.
Ausgeführt werden die von einer Coswiger Firma, insgesamt sind laut Stein etwa 40 Firmen auf der Baustelle aktiv, von denen viele aus Sachsen-Anhalt kommen.
Freundeskreis dabei
1490 begann Kurfürst Friedrich der Weise aus der ernestinischen Linie der Wettiner in Wittenberg mit der Errichtung seines Residenzschlosses und der Stiftskirche Allerheiligen. Er ließ das Schloss auf den Grundmauern der abgebrochenen Askanierburg bauen. Im Siebenjährigen Krieg geriet es unter Beschuss. In seiner spätbarocken Form wurde es 1770 neu eingeweiht. 1815 fiel Wittenberg an die Preußen, die das Schloss zur Kaserne umbauten. Kaserne blieb es bis zur Auflösung der Garnison in den 1920er Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog der Berliner Handschuhfabrikant Julius Riemer mit seiner natur- und völkerkundlichen Sammlung ein. Später folgten Stadtgeschichtliches Zentrum und eine Jugendherberge.
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Das Schloss hat eine Bruttogeschossfläche von rund 10 000 Quadratmetern, etwa die Hälfte davon ist nutzbare Raumfläche. Am Beginn der Baumaßnahme Ende 2013 standen zunächst umfangreiche Rückbauarbeiten im Innern des Schlosses. Allein bis Ende November 2013 waren u. a. 450 Quadratmeter Bodenbeläge, 1 156 Quadratmeter Deckenverkleidung, 1 400 Meter Fuß- und Schutzleisten und 335 Quadratmeter „nicht tragende“ Wände ausgebaut worden. Inzwischen ist das im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum 2017 stehende Sanierungs- und Bauvorhaben gut vorangekommen. Dazu gehört auch, dass im Keller eine Vielzahl von Versorgungsleitungen sowie -einrichtungen untergebracht wurde, sogar ein kleines Blockheizkraftwerk.
Verbindung steht
Hergestellt ist die Verbindung vom Schloss zur Schlosskirche. Etliche Meter mussten in die Tiefe gegraben werden, um auf das Niveau des Unesco-Welterbes zu kommen. Sowohl das Landesamt für Denkmalpflege als auch Icomos, der internationale Rat für Denkmalpflege, waren im Vorfeld eingebunden worden. Noch nicht vorhanden, aber in Aussicht ist eine Tür, die für diese Verbindung geschaffen wird.
Nach Auskunft von Saleg-Mann Martin Stein hatte die Kunststiftung Sachsen-Anhalt 2014 einen Wettbewerb ausgelobt. Von fünf Teilnehmern kamen nach einer Jurysitzung im Mai 2015 zwei in die engere Wahl. Im September 2015 tagte die Jury erneut. Umgesetzt wird nun der Entwurf des Bildhauers und Kunstgießers Marco Flierl aus Berlin. Geplante Fertigstellung: Ende April 2016. Stein zufolge trägt der 2009 in Wittenberg gegründete Verein „Freundeskreis Luther“ die Kosten für die Tür, die zweiflügelig und in Bronze ausgeführt werden soll.
Weit fortgeschritten ist am Schlossplatz der Neubau an der Stelle des einstigen Südflügels. Dort wird bekanntlich das Predigerseminar einziehen, das auch zu den Nutzern im Schloss gehört, wo es in der oberen Etage Studienräume bekommt. Die darunter liegenden Etagen werden die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek beherbergen. Im Erdgeschoss befindet sich demnächst das Besucherzentrum der Schlosskirche. Diese wird nach Abschluss der Sanierung von der EKD übernommen.
Die Gesamtkosten für Schloss, Südflügel und Hof belaufen sich auf 32,8 Millionen Euro, die von Land, Bund und Europäischer Union kommen. Im Herbst 2015 hatte ein Zwischenbericht des Magdeburger Kultusministeriums wegen baulicher Mehrkosten u. a. beim Schloss für einigen Wirbel gesorgt. Wie sich herausstellte, handelte es sich vor allem um ausgefallene EU-Mittel, für die das Land in die Bresche springen musste. (mz)





