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Ruhestörung in Piesteritz Ruhestörung in Piesteritz: Mysteriöses Vibrieren raubt den Schlaf

Von Julius Jasper Topp 25.07.2019, 09:35
Christa und Manfred Abert in ihrem Wohnzimmer in Piesteritz
Christa und Manfred Abert in ihrem Wohnzimmer in Piesteritz Topp

Piesteritz - Manfred Abert kann nicht schlafen. Es raubt ihm die Ruhe, zerrt an den Nerven. Es ist noch Winter, der Zeiger der Uhr steht schon in den Morgenstunden. Seiner Frau geht es genauso. „Wir erstatten jetzt Anzeige bei der Polizei wegen Lärmbelästigung“, sagt er. Sie steigen ins Auto, fahren von ihrem Haus in Piesteritz zum Wittenberger Polizeirevier.

Doch so spät finden sie dort niemanden. Also parken sie ihren Wagen vor der Sparkasse, mit laufendem Motor, eingeschalteten Scheinwerfern. „Irgendwann wird die Polizei vorbeikommen und schauen, ob wir hier die Bank überfallen wollen“, sagt Manfred zu seiner Frau Christa.

„Dann geben wir unsere Anzeige auf“. Doch es kommt niemand. Weil sie nicht nach Hause wollen - da ist das, was ihnen den Schlaf raubt - stellen sie das Auto auf den Marktplatz und versuchen zu schlafen.

Erst leicht, dann stärker

„Manchmal träume ich davon, unser Haus zu verkaufen, einen Wohnwagen zu besorgen und einfach wegzufahren“, sagt Manfred Abert. Der 79-Jährige hat sein ganzes Leben in diesem Haus in Piesteritz verbracht, jetzt raubt es ihm den Schlaf, die Gesundheit, die Nerven.

Was ihn umtreibt, ist eine Vibration in den Wänden, im Fußboden. Er und seine Frau spüren sie, manche Besucher ebenfalls. Seit Oktober 2018 tritt sie auf. Das Ehepaar spürt die leichten Schwingungen immer, stärker wird es ab dem Nachmittag, gegen 17 Uhr, wie sie sagen. In der Nacht dann, sei die Vibration im ganzen Körper spürbar, sogar, wenn sie auf einer dicken Matratze liegen. Ein klares Schema gebe es nicht. Es vibriert an den Wochenenden. An Feiertagen. An manchem Dienstag oder Mittwoch dann mal nicht.

„Das ist wie bei einem Konzert, wenn man neben der Bassbox steht. Als wenn jemand mit einer Rüttelplatte in unserem Haus arbeiten würde“, sagt Manfred Abert. Die Schwingungen übertragen sich auf den Körper, zuerst in die Beine, dann in die Brust. Zuerst hatte seine Frau die Schwingungen bemerkt. Sie glaubte zunächst, den Verstand zu verlieren und besuchte einen Neurologen.

„Der hat aber gesagt, dass bei mir alles in Ordnung ist“, sagt die 77-Jährige. Wenig später fühlte auch ihr Mann die Vibrationen, die in der Nacht, wenn sie stärker würden, auch zu hören sein sollen. Ein leichtes Brummen, sie hören es auch jetzt, in ihrem Wohnzimmer. Der Reporter jedoch hört nichts, er fühlt auch die leichten Vibrationen nicht, von denen die beiden sprechen. Es ist Vormittag. Am Abend, sagen die beiden, wird es schlimmer.

Im Mittelalter gab es eine beliebte Foltertechnik. Man fixierte einen Menschen und ließ stetig Wassertropfen auf die Stirn der armen Seele tropfen. Ein Wassertropfen bereitet keine Schmerzen, Tausende jedoch rauben irgendwann den Verstand. So muss das Gefühl sein, das die beiden in ihrem Haus haben.

Eine stete Unannehmlichkeit, die durch ihre Frequenz zur Qual wird. Aber: sind die beiden nur hypersensibel? Eine Handy-App zeigt halbwegs zuverlässig Vibrationen an. Legt man das Telefon auf den Wohnzimmertisch der beiden und bewegt sich nicht, zeigt es kaum Schwingungen an. „Felt by extremly sensitive people only“, steht neben der Skala - „nur von extrem sensiblen Menschen fühlbar“. Der niedrigste Wert, den die Skala kennt.

Ähnliche Fälle

Nur machen die beiden nicht den Eindruck, als würden sie von etwas sprechen, das gar nicht da ist. Manfred Abert will beweisen, dass sie sich die Vibrationen nicht einbilden. Er recherchiert, widmet seine gesamte Zeit der mysteriösen Vibration, findet ähnliche Fälle in den Medien. Einen in Jessen, über den die Mitteldeutschen Zeitung vor einigen Monaten berichtete.

Einen weiteren im nordrhein-westfälischen Herne, wo ein Ehepaar der Sache auf den Grund gehen konnte. Dort war ein neu gebautes Pumpenhaus schuld am Dilemma. Am Anfang hatte auch diesen Menschen niemand geglaubt.

Abert will, wie er selbst sagt, zeigen, dass sie nicht verrückt sind, bestellt sogar ein Messgerät, lässt einen Nachbarn mit einem Richtmikrofon das Haus untersuchen. Ein Freund wollte ihm erst nicht glauben. Nachdem er länger im Wohnzimmer des Ehepaars saß, spürte er es dann aber auch. Auch der Reporter glaubt nach einer Stunde im Wohnzimmer ein leichtes Kribbeln in den Beinen zu fühlen, wenn er die Fußsohlen glatt auf den Boden stellt. Ist das Einbildung?

Dass die beiden sich ihr Problem nicht bloß einbilden, glauben auch Behörden. Rolf Häuser, Bauordnungsamt-Chef beim Landkreis, war mit mehreren Kollegen mehrfach vor Ort. Vereinzelte Nachbarn hätten die Vibrationen ebenfalls bemerkt, sagt er. Diejenigen, deren Häuser neuer sind, nicht. Die Keller in den teils 100 Jahre alten Häusern seien sehr tief gebaut.

Liegen sie vielleicht an einer Gesteinsschicht an, die Schwingungen von einem großen Industriegerät, einer durchfahrenden Bahn über hunderte Meter überträgt? Andere Vibrationsquellen wie elektrische Geräte oder Leitungen im Haus selbst hat Abert bereits ausgeschlossen. Als es einmal besonders schlimm war, trennte der gelernte Uhrmacher und spätere Elektriker das gesamte Haus vom Strom. Die Vibration aber blieb. So stark, dass er sie auf dem Innenhof des ehemaligen Stalls noch spüren konnte.

SKW winkt ab

Der größte Industriebetrieb mit durchgehendem Betrieb in der Nähe ist das Stickstoffwerk. Ist dort im Oktober 2018 etwas Neues hinzugekommen?

„Es gibt in der SKW Piesteritz keine Ausrüstung, die solche Vibrationen auf diese Entfernung auslösen könnten. Seit Oktober vergangenen Jahres hat es diesbezüglich keine grundlegenden Änderungen an den Anlagen gegeben. Sie unterliegen der emissionsrechtlichen Aufsicht. Schon im Genehmigungsverfahren muss nachgewiesen werden, dass sie solche Beeinträchtigungen nicht auslösen“, heißt es in einer Antwort auf eine MZ-Anfrage von SKW.

Häuser empfiehlt eine wissenschaftliche Herangehensweise: Vibrationen messen, schauen, ob sie aus einer bestimmten Richtung stärker oder schwächer sind und dann der Spur folgen. Und: vergleichen, ob die Messergebnisse zu den persönlichen Empfindungen passen. „Erklären kann ich mir das ganze überhaupt nicht, aber wir bleiben dran.“ (mz)