Raubüberfall auf Wittenberger Juwelier Raubüberfall auf Wittenberger Juwelier: Geständnis ohne Erinnern

Dessau/Wittenberg - „Schwerer Raub in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung“, so lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft. Seit Dienstag muss sich ein 48-jähriger Mann vor der zweiten Strafkammer des Dessauer Landgerichts für einen brutalen Raubüberfall verantworten. Der Tathergang liest sich zunächst wie ein Filmbeitrag aus der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“.
Am 5. Oktober 2012 betreten zwei Männer gegen 16 Uhr ein Juweliergeschäft in der Collegienstraße. Der mutmaßliche Täter gibt vor, sich für eine Damenuhr aus der Schaufensterauslage zu interessieren. Der andere begutachtet Goldketten in einer der Vitrinen.
Während die Verkäuferin die Uhr präsentiert, versucht sie auch den zweiten Mann im Auge zu behalten. „Ich hatte das Gefühl, dass er sich sehr für den hinteren Aufenthaltsraum interessiert“, erinnert sich die Zeugin, die als Geschädigte im Verfahren auch als Nebenklägerin auftritt, vor Gericht.
Mulmiges Gefühl
Sie habe sich mit dem Interessenten irgendwie in schwachem Englisch verständigt. „Osteuropäer“, sei damals ihr erster Gedanke gewesen. „Warum?“, die Zeugin schüttelt den Kopf und drückt das Taschentuch in ihrer rechten Faust noch etwas mehr zusammen.
Sie kann es nicht erklären. Er habe ihr klar gemacht, dass er Geld holen müsse und in fünf Minuten zurück sei. „Five minutes, habe er gesagt“, berichtet sie. Doch niemand kam zurück. Die Begebenheit war für sie merkwürdig genug, um wenige Minuten später ihrer Chefin am Telefon davon zu berichten.
Um 17.30 passiert es dann. Der mutmaßliche Täter betritt erneut das Ladengeschäft und fragt nach der Damenuhr. Der zweite Mann bleibt vor dem Schaufenster stehen. An viel mehr kann sich die Zeugin nicht erinnern. Sie habe gerade noch die Verpackung holen wollen, als sie ein mit brachialer Gewalt ausgeführter Fausthieb in der linken Gesichtshälfte traf und sie sofort bewusstlos zu Boden ging.
Die nunmehr 56-jährige Zeugin erleidet neben Kiefer- und Nasenbeinbruch auch eine schwere Mittelgesichtsfraktur. Der Täter nimmt, was er kriegen kann. Neben 50 Armbanduhren fehlen unzählige Goldringe und über 100 Goldketten verschiedener Art im Gesamteinkaufswert von etwa 49.000 Euro. Die leeren Vitrinen und dass die Polizei schon da war, seien nach dem Schlag die ersten Erinnerungen, die sie habe.
Leben hat sich verändert
Das Leben der ehemaligen Verkäuferin hat sich nicht nur wegen der notwendigen Operation schlagartig geändert. Sie befindet sich nach wie vor in psychologischer Betreuung. Sie ist schwer traumatisiert und erwerbsunfähig.
Sowohl Richterin Uda Schmidt als auch Staatsanwältin Angelika Laurin hatten sich vor der Verhandlung in einem persönlichen Gespräch ein Bild von ihrer Vernehmungsfähigkeit gemacht. Einem Antrag der Anklage zur audio-visuellen Vernehmung der Zeugin hatte die Kammer stattgegeben.
Insbesondere die Begegnung mit dem mutmaßlichen Täter empfanden Richterin und Schöffen als zu riskant. „Es besteht die dringende Gefahr für einen schwerwiegenden Nachteil der Zeugin“, begründet Schmidt ihre Anordnung.
Der Angeklagte trägt Jeans, ein weißes, grau abgesetztes Sweatshirt, eine dunkel gerahmte Brille und hat nur noch wenig sehr kurzes Haar. Während der Videovernehmung des Opfers bewegt er sich kaum. Mit geneigtem Kopf und den Händen auf dem Schoß lauscht er seiner Dolmetscherin.
Der Mann aus dem polnischen Stettin hatte sich zu Beginn der Verhandlung umfänglich eingelassen. „Ich war das, aber ich kann nicht sagen, warum eigentlich“, so das Geständnis des 48-Jährigen. Er erzählt eine unfassbare Geschichte. Er sei eigentlich ein ganz normaler, gut verdienender Ehemann gewesen und ist als Matrose zur See gefahren.
Sein ganzes Leben sei plötzlich zerstört gewesen, als er von einer Affäre seiner Ehefrau mit seinem eigenen Vater erfährt. „Meine Frau hat mir einen Bruder geboren“, sagt er, „daran bin ich zerbrochen.“
Aus der Bahn geworfen
Er griff zur Flasche und verlor darüber schnell den Arbeitsplatz und später andere Jobs. Er trank jahrelang. „Ich habe immer getrunken. Ohne Alkohol konnte ich nicht funktionieren. Ich hatte Angst davor, nüchtern zu sein.“ Er berichtet von zeitweiser Obdachlosigkeit, einem Selbstmordversuch und auch von zwei Männern, die ihm immer wieder mal Gelegenheits- und Tagesjobs verschafft hatten.
Sie ließen ihn bei der Arbeit trinken, so viel er wollte, so dass er sich zumeist im komplett volltrunkenen Zustand befand. Zumindest an eine Situation, bei der diese Männer ihm eine Tablette gaben, so dass es ihm besser ginge, kann er sich erinnern und dass er so auch an einem Diebstahl in Stralsund beteiligt wurde.
Nur in Bruchstücken
Doch es seien immer nur Bruchstücke, an die er sich aufgrund des Alkoholdeliriums erinnern kann. Und so ist es auch mit dem 5. Oktober 2012. Der Angeklagte weiß weder wie er in die Lutherstadt gekommen ist, noch dass er überhaupt in Wittenberg war und wie er wieder nach Polen kam.
Er könne sich wohl an das Juweliergeschäft erinnern, an den Überfall allerdings kaum. „Ich bin mir sicher, dass ich das war“, so der Angeklagte. „Ich kann mich aber nicht erinnern, was ich mit der Frau gemacht habe.“ Er sei einen Tag später in einem Stettiner Park aufgewacht und hatte einen großen Plastikbeutel voller Alkohol und eine kleine gelbe Tablette bei sich.
„Meine Hand war blutig und ein Finger gebrochen. Da wusste ich, dass etwas passiert war.“ Mehrmals betont er, dass er sein Handeln nicht mit Alkohol entschuldigen möchte. „Jeder muss für seine Taten gerade stehen“, sagt er.
Die Verhandlung wird am Freitag, 1. Juni fortgesetzt. (mz)