Radler-Stammtisch Radler-Stammtisch: Freunde des internationalen Radwegs R 1 treffen sich in Wittenberg

Wittenberg - Seit 40 Jahren fährt Wilko Verweij Fahrrad. In der Regel schwingt er sich für die 20 Kilometer, die seine Wohnung im niederländischen Amersfoort vom Arbeitsplatz trennt, in den Sattel.
Doch seit etwa zehn Jahren hat ihn das Fernweh gepackt. „2008 bin ich zum ersten Mal mit dem Fahrrad von Berlin nach Amersfoort gefahren“, erzählt der heute 53-Jährige. Fünf Jahre später wagte er sich von den Niederlanden aus bis nach St. Petersburg, viereinhalb Wochen war er da unterwegs.
Verweij ist einer der R 1-Freunde, die sich am Wochenende in Wittenberg getroffen haben. Neben Vorträgen mit Erfahrungsberichten und Tipps hat der Wittenberger Organisator Wilfried Gärtner gemeinsam mit Detlef Kaden vom IS.Radweg-Verlag einen Radlerstammtisch angeboten, inzwischen der sechste seiner Art.
Der erste Teilabschnitt des Europaradwegs R 1 wurde zwischen 1984 bis 1988 zwischen Höxter an der Weser und Zwillbrock an der niederländischen Grenze gebaut, weiß Wikipedia. Bis 1989 wurde der Weg bis Boulogne-sur-Mer in Frankreich erweitert. Mit dem Fall der Mauer und der Öffnung Osteuropas war ab 1990 auch eine Weiterführung in östliche Richtung möglich, sie führt über Polen, Kaliningrad und die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland bis ins russische Sankt Petersburg. Inzwischen ist das nächste Teilstück von Calais nach London ausgeschildert. Der R 1 führt damit insgesamt durch zehn Länder und drei Zeitzonen über 4.000 Kilometer. Natürlich kann man auch Abstecher machen, Städte und Gegenden abseits der Hauptroute erkunden. Und man kann sich die gesamte Strecke in mehrere Jahresetappen aufteilen.
Etwa 20 Interessierte aus Wittenberg, Braunschweig, Cloppenburg und auch den Niederlanden plaudern am Freitagabend im Restaurant „Zur Elbe“ über ihre Erlebnisse und Pläne. Es geht in den gemütlichen Stunden gedanklich vor allem in die östliche Richtung und Themen wie zum Beispiel, ob die EC-Karte an polnischen, russischen und baltischen Automaten funktioniert.
Dass Menschen freiwillig über 2.000 Kilometer und mehr mit dem Fahrrad unterwegs sind, ist den Bewohnern mancher osteuropäischer Staaten ein Rätsel. „Das Auto ist dort ein Statussymbol“, weiß Manfred Hillert, der zwar schon viele Radtouren etwa am Elberadweg unternommen, den R 1 aber noch nicht erkundet hat.
„Ich hatte von dem Treffen heute in der Zeitung gelesen und dachte, da gehst du mal hin“, erzählt der Wittenberger, der jetzt im Ruhestand über die eine oder andere Unternehmung mit dem Fahrrad nachdenkt.
Einen Radfahrer-Stammtisch wie diesen gebe es in seiner Heimat nicht, sagt Wilko Verweij fast ein bisschen bedauernd. „Es gibt auch in Deutschland viel mehr Menschen, die den R 1 kennen und eine Tour darauf machen.“ In Wittenberg sei er das dritte Mal, berichtet der Niederländer. „2006 hatte ich das erste Mal vom R 1 gehört, 2007 wollte ich nach Berlin fahren mit einem Freund. Doch es gab ein paar Probleme, wir sind nur bis Dessau gekommen.“
Ein Jahr später habe er es wieder versucht, und weil er die Strecke zwischen Wittenberg und Berlin nicht kannte, startete er kurzerhand in Berlin und fuhr in Richtung Westen. „Das war keine so gute Idee. Ich habe acht Tage am Stück nur Gegenwind gehabt“, erinnert er sich.
Die Fahrt nach St. Petersburg hat Wilko Verweij größtenteils allein bewältigt, ein Freund habe ihn ab Riga begleitet. „Normalerweise fahre ich nicht allein. Es ist zu kompliziert, alles allein zu organisieren“, findet er. Obwohl die moderne Technik vieles erleichtert, etwa das Navigieren mit GPS-Track und das Buchen der Hotels zum Übernachten.
Im Durchschnitt sei er hundert Kilometer am Tag unterwegs, manche Tage fahre er aber auch gar nicht, erzählt er. „Mir gefällt das Baltikum. Dort gibt es nicht so viele Leute.“
Schwärmen kann auch Wilfried Gärtner vom R 1, den er in mehreren Jahresabschnitten komplett befahren hat. Gesundheitlich kann er seit drei Jahren zwar nicht mit dem Rad unterwegs sein, aber so ein Stammtisch beflügelt natürlich den Willen, wieder etwas zu erleben.
Radfahren kann sehr emotional sein, weiß er. „Als ich 70 wurde, sind wir mit dem Rad die 650 Kilometer abgefahren, die wir 1945 geflüchtet sind“, erzählt er. „Aber das hier“, zeigt er auf die R 1-Freunde und Verbindung durch ganz Europa, „das macht Spaß.“
Manchmal allerdings ist es keine Freude. „Das Stück von hier bis zur Landesgrenze ist vom Zustand her mit das schlechteste. Da schäme ich mich fast dafür“, beklagt Detlef Kaden den Zustand. Seit elf Jahren ist er passionierter R 1-Erkunder, hat mehrere Bücher darüber geschrieben und verlegt. Auch der Nordrand des Harzes sei solch ein „neuralgischer Punkt“.
Wilko Verweij hat ebenfalls solche Abschnitte erlebt. Er ruft ein Foto auf, das mehrere Bäume quer über dem Radweg liegend zeigt. „Da musste ich mit dem Rad und dem ganzen Gepäck drumherum“, berichtet er von der schweißtreibenden Plackerei.
Wohin er als nächstes fährt? Der Niederländer überlegt. „Eine so lange Tour wird es nicht gleich wieder werden.“ Gehört hat er von einem Netzwerk EuroVelo, ebenfalls quer durch Europa. Vielleicht, meint er, sucht er sich da etwas Passendes aus. (mz)
