Mit dem Herzen dabei Mit dem Herzen dabei: Wie ein Kardiologe von Wittenberg aus die Medizin revolutioniert

Wittenberg - Ein Hospital der Harvard Universität in Boston, eine Herzklinik in London, die Berliner Charité... Das sind nur einige der Stationen, an denen der Kardiologe Professor Franz X. Kleber im Verlaufe seines Berufslebens Halt gemacht hat. Jetzt komplettiert das Evangelische Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Lutherstadt Wittenberg die Liste.
Seit Juli vergangenen Jahres ist der renommierte Herzspezialist hier Chefarzt der Kardiologie. Dass sich Wittenberg in der Aufzählung etwas bescheiden ausnimmt, lässt er aber nicht gelten: „Es ist doch einer der ältesten Universitätsstandorte Deutschlands.“
Eine Kooperation zwischen dem Berliner Arzt und der Wittenberger Klinik besteht dank persönlicher Kontakte schon seit einigen Jahren. Dass daraus einmal mehr wird, war nicht abzusehen. Doch als es durch den Weggang eines Mediziners „ein bisschen dünn um die Kardiologie bestellt war“, habe er diese unter seine Fittiche genommen, erzählt Kleber.
Sprich: Statt in den Ruhestand zu gehen, nahm der heute 65-Jährige das Angebot der Geschäftsführung des Paul Gerhardt Stifts an, den vakanten Chefposten in der Kardiologie zu besetzen. Er unterschrieb einen Fünfjahresvertrag und legte los. „Mein Plan ist es, in diesen fünf Jahren hier eine so stabile und handlungsfähige Kardiologie aufzubauen, dass ich dann überflüssig bin“, sagt er.
Reisepläne müssen warten - Kleber pendelt zwischen Berlin und Wittenberg
Und was ist mit den Plänen, die er eigentlich für den Ruhestand geschmiedet hatte? „Die können auch ein bisschen warten“, meint der Arzt. Reisen wollte er. Nach Malaysia, Singapur, China, Japan... Mit seiner Frau einen Teil der schönen Orte aufsuchen, in denen er zwar schon einmal gewesen ist, die er aber nie wirklich genießen konnte, „weil der Aufenthalt immer auf den beruflichen Kern konzentriert war“. Das ist nun aufgeschoben. Dafür pendelt er täglich zwischen Berlin und Wittenberg.
Die Klinikleitung freut es. „Besonders in einem großflächigen Landkreis wie Wittenberg ist eine wohnortnahe Versorgung herzkranker Patienten sehr wichtig“, sagt Geschäftsführer Dr. Henning Rosenberg. „Wir sind deshalb froh und als Klinikstandort natürlich auch stolz, dass mit Herrn Professor Kleber einer der führenden Herzspezialisten Deutschlands im Paul Gerhardt Stift in Wittenberg tätig ist“, fügt er hinzu.
Und hebt neben seinen nationalen und internationalen Erfahrungen „sein großes Engagement für die individuell bestmögliche Behandlung jedes einzelnen Patienten“ hervor. Um die zu gewährleisten, scheut Kleber keine Mühe. „Es durchzieht meine gesamte berufliche Laufbahn, dass ich für die Patienten, für die es noch keine gute Lösung gibt, eine Lösung suche“, sagt er. „Wer ein bisschen rege ist, der stößt auch auf Lösungsansätze.“
Kleber und Paul Gerhard Stift werden zu medizinischen Vorreitern
Einen solchen hat er gerade für Patienten mit schwer zu behandelnden Engstellen in den Herzkranzgefäßen gefunden. Eine Diagnose, die angesichts des steigenden Alters der Patienten, die unter Atemnot und Engegefühl in der Brust klagen und schlimmstenfalls einen Herzinfarkt erleiden, gerade auch in Sachsen-Anhalt immer häufiger gestellt wird.
„Koronare Lithotrypsie“ heißt das hochmoderne Verfahren, bei dem der Kalk in den Gefäßen mittels Ultraschallwellen zerstört wird. Es steht den Ärzten in Deutschland erst seit Mitte des vergangenen Jahres zur Verfügung. Dass das Paul Gerhardt Stift in Sachsen-Anhalt die erste Klinik ist, in der es genutzt wird, und auch darüber hinaus dabei zu den Vorreitern gehört, erwähnt der Chefarzt nicht ohne Stolz.
Doch was passiert dabei? Um Engstellen in den Herzkranzgefäßen, die durch Kalkablagerungen entstehen, zu beseitigen, wird üblicherweise ein feiner Draht - sprich: ein Katheter - unter Röntgenkontrolle über die Leiste zum Herzen geführt. Bestückt ist dieser Draht mit einem Ballon, der sich an der Engstelle öffnet. Durch den Druck, der dabei entsteht, weitet sich das Gefäß wieder.
Damit das so bleibt, setzten die Ärzte in der Regel einen Stent, also eine Gefäßstütze, ein. Allerdings, so erklärt Kleber, gebe es Engstellen, die könnten auch mit hohem Druck nicht aufgeweitet werden. Hier setzt das neue Ultraschallverfahren an. Auch dabei wird ein 0,3 Millimeter starker Führungsdraht, auf dem sich ein Ballon befindet, von der Leiste bis zum Herzen geführt.
Der mit der üblichen Mischung aus Kochsalzlösung und Kontrastmittel gefüllte Ballon ist, vereinfacht gesagt, aber zusätzlich mit einer Konsole verbunden, über die Strom geliefert wird.
Neue schonende und effektive Methode für Einsetzen von Stents
Dieser Strom wiederum bewirkt, dass sich in der Flüssigkeit winzige Bläschen bilden. Die platzen, lösen eine Schockwelle aus, durch die die Kalkspangen in viele kleine Teile zerbrechen und nach außen geschoben werden. Das normale Gewebe bleibt dabei unangetastet. „An der verengten Stelle wird so Platz geschaffen, um anschließend den Stent einsetzen zu können“, sagt der Kardiologe.
Danach werde das Herz wieder ausreichend mit Blut versorgt. Schonend und effektiv nennt er die Methode, weil dabei nicht nur der Kalk an der Innenseite des Gefäßes bearbeitet werde, sondern auch der in seinen tieferen Schichten.
Franz X. Kleber hat die Entwicklung dieser Technik durch ein US-Unternehmen seit langem verfolgt. Als dann die Zulassung für Europa vorlag, sollten seine Patienten zu den ersten gehören, die davon profitieren. Der Mediziner nahm Kontakt zu den Hersteller auf und alles ging seinen Gang.
Drei Patienten sind inzwischen mit dem neuartigen Verfahren behandelt worden. Und allen geht es gut. Sie konnten zwei bis drei Tage nach dem Eingriff die Klinik wieder verlassen und führen ein relativ normales Leben. Die Alternative wäre eine Bypass-Operation gewesen, bei der der Brustkorbe geöffnet werden muss und eine Herz-Lunge-Maschine zum Einsatz kommt.
Für einen älteren Menschen mit möglicherweise weiteren Erkrankungen bestehe dabei natürlich ein sehr viel höheres Risiko, meint Kleber. Das könne nun vermieden werden.
Der Mediziner nimmt sich viel Zeit für seine Patienten, versucht so herauszufinden, was dem Menschen vor ihm am besten hilft. „Es ist ein Unterschied, ob sie einen Patienten oder eine Krankheit behandeln“, sagt er. „Wenn sie einen Patienten behandeln wollen, dann heißt das, ihn in seiner Lebenssituation zu erfassen.
Wenn sie herausfinden wollen, welche Therapie für ihn in eben dieser Situation sinnvoll ist, müssen sie ihm zuhören. Ansonsten sind sie ein Klempner.“ Das habe er nie sein wollen, sagt der Mann, der seinen Eltern schon mit viereinhalb Jahren mitteilte: Ich werde Doktor.
Prägung durch den Vater
Sicher, so räumt Kleber ein, in der Medizin werde die technische Leistung heute stärker honoriert als die sogenannte sprechende Medizin. Dadurch entstehe ein gewisser Druck in diese Richtung. Doch Ärzte dürften den nicht beliebig hoch werden lassen. Die Zeit, die ein intensives Patientengespräch koste, die erspare oft viele Irrwege. Und dadurch werde wieder Zeit gewonnen.
Die Betroffenen wissen das zu schätzen. Auf einem Bewertungsportal schreibt ein Patient: „Schon die Anamnese war ein besonderes Erlebnis.“ Kleber, der aus einer Arzt-Familie stammt, lächelt. Er spricht von früher Prägung. Unter anderem sein Vater habe ihm das vorgelebt.
Nun profitieren auch die Wittenberger davon. Übrigens, seine Privatpatienten stehen im Moment vor verschlossener Tür. „Die neue Aufgabe ist mir so wichtig, dass ich keine Sprechstunde in Berlin abhalte“, sagt er. „Aber wer von mir behandelt werden möchte, der kann ja hierher kommen.“ Das gelte übrigens nicht nur für Privatpatienten.
Auch wenn Professor Kleber wenig Zeit bleibt - für die Stadt Wittenberg schwärmt er regelrecht. Er nennt sie ein Juwel, dass auch durch die gute Anbindung an Berlin an Bedeutung gewinnen werde. Wie sehr er hier schon verwurzelt ist, wird deutlich, wenn er von „unserer Klinik“, von „unserer Stadt“ und von „unserem Bundesland“ spricht. (mz)
