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Medizin Medizin: Manchmal ist die eigene Weisheit nicht einzig wahre

Von KLAUS ADAM 19.05.2010, 19:23

WITTENBERG/MZ. - Sara mag sich etwas unbehaglich fühlen, da sich gerade ein Dutzend Augenpaare auf sie richten. Das Mädchen steht nun mal im Mittelpunkt. Der Wittenberger Kieferorthopäde Roland Butschat hat es gemeinsam mit seiner Mutter in den Kreis geladen. Und zwar, damit seine Kollegen aus anderen medizinischen Fachbereichen womöglich Ansätze dafür erkennen, welche Therapie ergänzend bzw. im Vorfeld oder Nachgang zur kieferorthopädischen Behandlung angeraten ist.

Gerade im Kindes- und Jugendalter lassen sich Fehlentwicklungen noch am ehesten nachhaltig in die richtige Richtung steuern. Doch es gibt Fälle, da therapiert ein Arzt zwar die Symptome, wegen derer sich ihm ein Patient vorstellt. Aber im Grunde haben diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen ganz andere Ursachen oder Begleiterscheinungen.

Therapie sehr komplex

Um denen auf die Spur zu kommen, hat sich in den vergangenen Monaten ein Arbeitskreis interdisziplinärer Zusammenarbeit gebildet. Neben Kieferorthopäde Butschat gehören ihm Zahnärzte und -techniker, Internisten, Orthopäden und Orthopädietechniker, Physio- und Psychotherapeuten, Schmerztherapeuten und Hals-Nasen-Ohren-Ärzte an. Oder kommen für eine Mitarbeit direkt in Frage. Zwei Jahre lang hat sich Butschat intensiv in die inhaltliche Vorbereitung dieses Arbeitskreises gekniet. "Letzten Endes sind alle diese Disziplinen gefragt. Weil ja die Symptome, die etwa aus einer Fehlfunktion des Kiefergelenks hervorgehen können, sehr vielfältig sind - Tinnitus, Schwindel, Schmerz. Die Therapie gestaltet sich zuweilen sehr komplex und schwierig. Da ist es gut, wenn man jemanden als Kotherapeut in der Nachbarschaft weiß, der da eine Differentialdiagnose, die eigene Feststellungen bestätigt oder eben entkräftet, und entsprechende Lösungsansätze liefern kann", begründet der Arzt seine Initiative.

Kieferorthopädie ist für ihn keineswegs nur eine Frage, schöne Gebisse zu kreieren. Vielmehr weiß er um den Stellenwert, den Kiefer und Gebiss in Bezug auf die Gesamtfunktionalität des Körpers haben. Abgesehen von psychischen Faktoren, beeinflusst es die gesamte Statik und damit das Wohlbefinden eines Menschen ganz enorm. Butschat nennt ein Beispiel: Wer aufgrund fehlender oder schiefer Zähne nur auf einer Seite kaut, wird sich im Laufe der Zeit verspannen. Mit der Folge, dass der Körper, der dann wieder sein Gleichgewicht sucht, an anderer Stelle darauf reagiert. Und schon ist unbemerkt aus der Ursache Kiefer eine Wirkung auf das gesamte Skelett eines Patienten geworden. Genauso geht es umgekehrt. Oder: Wer etwa aus mangelndem Selbstbewusstsein stets gebeugt läuft, sucht dies auf andere Weise wieder auszugleichen. "Der Mensch ist nun mal ein Individuum, das auf zwei Beinen läuft, und das geht nur im Gleichgewicht", erläutert der Kieferspezialist sein Herangehen.

Der Arbeitskreis will sich der Tatsache stellen, dass Fachmediziner häufig für sich allein arbeiten. Aber in speziellen Fällen - keineswegs in allen - die zu behandelnde Symptomatik die Mitwirkung eines oder gar mehrerer anderer Spezialisten erfordern würde. Jeder, der an den regelmäßigen Treffen teilnehmenden Fachleute wird dann stets seine Patienten mitbringen, um sie den anderen Kollegen vorzustellen.

"Diese interdisziplinäre Geschichte ist natürlich keine Allzweckwaffe", so Butschat, der in der Wittenberger Fachärztin für Orthopädie Bärbel Walter inzwischen eine engagierte Mitstreiterin gefunden hat. "Das ist keine Sache von uns, sondern eine, die sich international und jetzt auch deutschlandweit immer weiter durchsetzt", sagt er. Er beschäftige sich mit der Problematik eigentlich schon sein ganzes Arbeitsleben lang. Doch selbst vor diesem Hintergrund habe er lange gebraucht, um wirklich zu begreifen, was diese fachübergreifende Zusammenarbeit bewirken kann. "Wenn Sie Ohrenschmerzen haben, gehen Sie natürlich zuerst zum Ohrenarzt. Aber der sollte zumindest ein Verständnis dafür haben, dass er dann, wenn er die Ursache des Schmerzes nicht definitiv ausmachen kann, tatsächlich auch andere Bereiche einbezieht. Und dass er sich dann auch an uns wendet", erläutert Butschat das Prinzip der Zusammenarbeit.

Mittun des Patienten sehr wichtig

In der Diskussion konkreter Fälle müssen die Mitglieder des Arbeitskreises gar nicht immer einer Meinung sein. Wichtig ist jedoch, dass am Ende für den Patienten eine zufrieden stellende Therapie herauskommt. Und, das beteuert der Initiator des Arbeitskreises immer wieder: Es geht nichts ohne die Mitwirkung des Patienten und schon gar nichts über seinen Kopf hinweg.

Ansprechpartner für Interessenten am Arbeitskreis, dem der Kieferorthopäde den Namen "Ideal" gab, wobei die Buchstaben das interdisziplinäre verdeutlichen, ist zunächst weiterhin Roland Butschat (03491 / 40 29 67). Er arbeitet derzeit "mit Hochdruck daran, eine Internetseite zum Arbeitskreis" zu erstellen. Er werde informieren, sobald sie fertig ist.