"Luthers Hochzeit" in Wittenberg "Luthers Hochzeit" in Wittenberg: Ein Teufelskerl hängt am Stadtkirchturm

WITTENBERG - Stadtkirchenpfarrer Johannes Block ist schwer beeindruckt. „Mein Kommentar: Luther ist ein Teufelskerl“, sagt er, und das ist aus dem Munde eines Kirchenmannes ein ungewöhnliches Lob. Kurz zuvor hat er Martin Luther alias Fred Göde auf der Plattform der Stadtkirchentürme begrüßt. Und der hat in diesem Fall nicht die Treppe genommen.
Am Seil der Coswiger Höhenretter
„Lasst Luther nicht hängen“, lautet am Sonntag kurz nach Mittag das Motto auf Markt und Kirchplatz. Mit Hilfe der Höhenretter von der Freiwilligen Feuerwehr Coswig ist Fred Göde auf dem noch stehenden Gerüst an den Türmen angekommen. „Sobald das Geld im Kasten klingt, Martinus ein Stück höher schwingt“, reimt Herold Jörg Bielig von der Bühne herab und ermuntert das Volk zu Spenden. Ihm zur Seite steht Kirchmeister Bernhard Naumann. Es geht um nichts weniger als die Generalsanierung des Gotteshauses, da dürfen es auch gern große Scheine sein.
„Böse Zungen behaupten, die Leute würden nur spenden, damit ich hängen bleibe“, hatte Luther noch vor dem Aufstieg gewitzelt. Man kann es am Sonntag nicht anders sagen: Luther hängt sich dieses Jahr voll rein. Damit es wirkt, geben die Höhenretter ihr Bestes. „Wir versuchen, das Haltegeschirr unter die Kutte zu kriegen“, erklärt Chef Ingo Künne. Es gelingt tatsächlich, Luther in seiner Kutte zu belassen. Die Feuerwehrleute selbst hatten vor vier Wochen die ungewöhnliche Idee, etwas zu „Luthers Hochzeit“ beizutragen. Eigentlich sollte Luther von unten „starten“, doch da war die Befürchtung, dass er beim Aufstieg mit den Füßen im Netz der Rüstung hängen bleibt.
Also geht es von oben erst etwas nach unten, bevor er wieder Stück für Stück seiner Katharina entgegen schwebt. Die soll, bösen Gerüchten zufolge, in der Hochzeitsnacht von Luther im Stich gelassen worden sein, worauf sie auf den Kirchturm geflüchtet sei. (Was nicht stimmen kann, denn oben hat sie ihn geherzt und geküsst.) Und während Luther kurz nach 13 Uhr frei an einem Seile hängt, feuern die Moderatoren die potenziellen Geber auf dem Markt an, reichlich in die Körbchen zu tun. Kröten, Mäuse, Mücken: Egal, auch Kleinvieh macht Mist. Und die Körbe füllen sich schnell. Nach jeweils 50 bis 60 Euro winkt Bernhard Naumann mit einer Fahne, und die Engel in orange Overalls heben Luther etwas höher.
„Diesmal ist es nicht so schlimm, wenn die Wittenberger ein Volk des Scheins sind“, findet Naumann. Nach zehn Minuten konstatiert Herold Jörg: „Die Zahlen auf den Scheinen werden größer“. Tatsächlich ist sogar ein Hunderter dabei, da raunt das Volk ob des edlen und ungenannten Spenders. „Wenn wir bis halb sechs durchhalten, kommen die Tausender“, hofft er. Für Bernhard Naumann ist in jedem Fall noch Luft nach oben (nicht nur bei dem im Seil hängenden Luther). „Wenn ihr auf die Bäuche schaut und mal das Mittagessen auslasst, tut es beiden Seiten gut“, mahnt er das Publikum.
Gesammelt haben vorher auch andere. Der Heimatverein Wittenberg und das Pratauer Bauernvolk bringen Büchse und Tüte, worin es kräftig klimpert und raschelt. Naumann hat bereits beim Festumzug ebenfalls um Spenden gebeten und sie bekommen.
Spektakulärer Akt
Kurz vor halb zwei wird Luther erlöst, er erklimmt dank der Opferbereitschaft die Brüstung und fällt seiner Katharina (Maria Jana Palaschevsky) in die Arme.
„Es war mir eine große Freude“, strahlt er. „Ich habe noch versucht, mich von unterwegs dem Volke zuzuwenden.“ „Es sah von oben sehr spektakulär aus“, ist seine Angetraute angesichts von so viel Mut entzückt. Pfarrer Block fehlen da fast die Worte. Er selbst würde nämlich so eine Aktion nie machen, sagt er.