"Luther springt" "Luther springt": Traumkulisse fürs erste Stabhochsprungmeeting

Wittenberg - Man mag es kaum glauben. Geschätzte 3000 Zuschauer bevölkern den Wittenberger Marktplatz zu einem Ereignis, das am Mittwoch Deutschlandpremiere erlebt. Stabhochsprung, die wohl technisch anspruchvollste Disziplin der Leichtathletik, auf einem öffentlichen Platz, das gab es bisher noch nie.
Für knapp drei Stunden kann das Publikum des internationalen Wettkampfes „Luther springt“ hautnah verfolgen, wie Höhen jenseits der Fünf-Metermarke nahezu akrobatisch bezwungen werden. Zwölf Teilnehmer aus sechs Ländern stellen sich dieser Herausforderung bei 30 Grad Celsius im Schatten.
Meetingdirektor: „Eine öffentlichkeitswirksame Aufwertung der Leichtathletik können wir hier erleben“
„Wärme macht uns Stabhochspringern nichts aus. Die Muskulatur wird dadurch locker gehalten“, erklärt der zweifache deutsche Meister Tobias Scherbarth (32) gegenüber der MZ. Er zählt zu den Schützlingen von Trainerlegende Leszek Klima (61), der als Bundestrainer so mancher deutschen Stabhochsprunggröße zu Ruhm verhalf. Dem gebürtigen Polen selbst blieb hingegen der ganz große Erfolg (5,40 Meter) versagt.
Doch was hat eigentlich Luther mit Stabhochsprung zu tun? Immerhin lautet das Motto des sportlichen Abends „Luther spring“. Eine schlagfertige Antwort liefert prompt Bernhard „Luther“ Naumann: „Luther hätte vor 500 Jahren gesagt: Die Sportler dürfen sich heute glücklich schätzen. Sie sind dem Herrgott ein Stück näher.“
„Eine öffentlichkeitswirksame Aufwertung der Leichtathletik können wir hier erleben.“ Darüber freut sich Meetingdirektor Ralph Hirsch aus Dessau ganz besonders. Diese soll aus dem Schattendasein gegenüber den dominierenden Ballsportarten heraustreten. Dies scheint angesichts dieser Traumkulisse mit einem Publikum, das jeden Sprung mit frenetischem Applaus begleitet, zu gelingen. Die Ästhetik dieser Sportart verblüfft immer wieder. Es ist eine Augenweide und ein wunderbares Gefühl, Zeuge eines solchen Wettkampfes zu werden.
Oberbürgermeister Torsten Zugehör will sich für zweite Auflage stark machen
Sprecher Andreas Möckel (Erfurt) versteht es dabei, sachkundig über diese Sportart zu informieren. Noch bis in die 60er Jahre wurde mit einem Bambusstab gesprungen. Inzwischen sind es hochelastische, glasfaserverstärkte 4,90 Meter lange Stäbe, die individuell auf Körpergröße und Gewicht des Athleten zugeschnitten sind.
Manch einer unter den Älteren erinnert sich dabei gern an große Leichtathletikereignisse in Wittenberg (Olympiaqualifikation im Marathon 1976 oder den Vierländerkampf im Gehen Frankreich, Italien, Schweden, DDR). „Wir waren damals dabei und freuen uns heute über diesen tollen Zuspruch“, begeistern sich denn auch Rolf Krause (72) und Ehefrau aus Zahna.
Inzwischen hat sich der nächste Springer auf dem 57,5 Meter langen Anlaufsteg in Positur gebracht. Es ist Hussein Al-Hizan (Saudi Arabien), der im dritten Versuch 5,20 Meter meistert. Er gilt eher als Exot unter den Springern und wird mit viel Beifall für seine Leistung belohnt.
Oberbürgermeister Torsten Zugehör ist sich angesichts der Resonanz sicher: „Wir setzen uns als Stadt dafür ein, dass es eine zweite Auflage geben wird.“ Diese Meinung teilt er mit dem Kreissportbund-Präsidenten Uwe Loos und Cheforganisator Ralph Hirsch.
Doch wer wird bei dieser Premiere Sieger? Die Spannung ist kaum noch zu steigern. In Wittenberg gelten nach dem Ausscheiden der vier deutschen Teilnehmer alle Sympathien dem Polen Piotr Lisek (Vizeweltmeister von 2017), aber auch Robert Sobera (Polen) besitzt als Europameister 2016 reale Chancen.
Erkenntnis: Wittenberg eignet sich gut als Rekordpflaster
„Sie müssen rhythmisch klatschen“, animiert der Sprecher das Publikum. Dass so etwas die Springer motiviert, das bestätigen Altmeister Scherbarth, der leider verletzt auf der Tribüne Platz nehmen musste, und sein Trainer Klima.
Die Aufmerksamkeit richtet sich wieder voll auf den nächsten Sprung. Wird Wittenberg gerade Zeuge einen neuen polnischen Rekordes? Der alte lag bisher bei 5,93 Meter. Das sportliche Drehbuch und das „Spannungsbarometer“ erreichen ihren Höhepunkt. Da überspringt Piotr Lisek die Latte bei 5,94 Metern. Das Wittenberger Publikum bricht in Jubel aus - Jubel, den es mit dem sympathischen Sieger teilt.
Am Ende steht für Lisek Platz 3 der Jahresweltbestenliste in den Protokollen, erzielt am 1. August 2018 in Wittenberg! Da wagt Sprecher Andreas Möckel schon mal eine vorsichtige Prognose für die in der kommenden Woche in Berlin stattfindende Leichtathletik-Europameisterschaft. „Sie dürfen sich alle glücklich schätzen. Ich glaube, wir haben gemeinsam heute den künftigen Europameister gesehen und erleben dürfen.“
Was bleibt? Die Erkenntnis: Wittenberg eignet sich gut als Rekordpflaster. Die TSG Wittenberg, der KSB, die Stadt Dessau und Grün-Weiß Pretzsch „schrieben“ an diesem erfolgreichen Drehbuch mit. Das weckt Appetit auf mehr. Eine Zusage für die Lutherstadt gibt es an dem Abend vor dem faszinierten Publikum allerdings nicht. Aber für Sachsen-Anhalt und wahrscheinlich zumindest die hiesige Region. (mz)