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Logistik zum Kirchentag Logistik zum Kirchentag: Das Superhirn von der Elbwiese

Von Ralf Böhme 26.05.2017, 18:01
Wolfgang Nebel ist auf dem Posten. Bei ihm laufen alle Fäden für das Festwochenende zusammen. 
Wolfgang Nebel ist auf dem Posten. Bei ihm laufen alle Fäden für das Festwochenende zusammen.  Thomas Klitzsch

Wittenberg - Er ist der Mann hinter den Kulissen, ohne den auf dem Platz und auf den Bühnen nichts läuft: Wolfgang Nebel, Cheforganisator auf der Elbwiese beim Kirchentag am Wochenende in Wittenberg.

Wenn alles klappt, dann haben der Diakon aus Stuttgart und sein Team in den zurückliegenden beiden Jahren alles richtig gemacht. Die Herausforderung: Zehntausende Menschen, manche rechnen mit bis zu 150.000 Gästen aus der ganzen Welt, wollen und sollen mit dem Blick auf das Heilige Kreuz feiern.

Kirchentag 2017 in Wittenberg: 18 Meter hohes Symbol der Christenheit

Dass das 18 Meter hohe Symbol der Christenheit dort steht, wo es jetzt steht, ist eine der frühen Ideen des 60-jährigen gewesen. „Gedacht als Orientierung für alle, ist der Standort natürlich mitten in der Gemeinde - und stets mit dem Blick auf die Kirchtürme von Wittenberg.“

Doch schon allein mit dieser einen grundsätzlichen Entscheidung sind, wie sich herausstellt, eine Unmenge von Detailfragen verbunden. So soll nichts und niemand das Kreuz umwerfen können, eine nahezu erdbebensichere Verankerung ist dafür notwendig. „An der Sicherheit darf jedenfalls nicht gespart werden.“ Und so erklärt sich, dass Nebel selbst für den Blitzschutz des Geländes rund 80.000 Euro investiert.

Religiöser Höhepunkt ist der Festgottesdienst unter dem Motto „Von Angesicht zu Angesicht“. International, bunt, vielsprachig und hoffnungsvoll: Immer wieder spielt Nebel den Auftritt des südafrikanischen Star-Bischofs Thabo Makgoba durch. Da dreht es sich schon mal darum, wie viele Schritte es bis zum Mikrofon sind. U

nd auch das Licht muss stimmen, sollen doch die Fernsehbilder die Botschaft von Wittenberg in hoher Qualität weltweit verbreiten. Neben öffentlich-rechtlichen Anstalten ringen private Sender sowie Bibel-TV und eine Station des Vatikan um die besten Kameraplätze auf dem Gelände, das so groß wie 40 Fußballfelder ist.

Jeder Theater- oder Filmregisseur würde vermutlich verzweifeln. Eines der drei oder vier Mobiltelefone von Wolfgang Nebel klingelt nämlich fast immer. Er lächelt dabei. Der Mann, der jeden Morgen zehn Kilometer über den Elbdeich joggt, bleibt immer die Ruhe selbst. Umsicht und fröhliche Gelassenheit sind erlebbar seine Markenzeichen.

"So einen Kirchentag feiert man nur einmal in 500 Jahren"

„Für mich ist das ein großes Glück, so einen Kirchentag feiert man nur einmal in 500 Jahren.“ Einmalig: Rund 6.000 Bläser zählt der Posaunenchor, der die Generalprobe auf der Leipziger Messe absolviert. Unter den exakt 4.024 Gästen, die unmittelbar an der Bühne ihre Plätze haben werden, findet sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein.

Auf der anderen Seite: Abgesandte aus 132 Kirchengemeinden unterstützen das gemeinsame Abendmahl für alle auf der Elbwiese. „Wenn so viel in Bewegung ist,“ meint Nebel, „tauchen immer wieder neue Probleme auf. Das ist aufregend normal.“

Was das im Einzelnen mitunter bedeuten kann, zeigt diese ungewöhnliche Beobachtung aus der Lutherstadt: Hygienetücher waren in dieser Woche für kurze Zeit in Wittenberg richtiggehend eine Mangelware. Nebel hatte nämlich alle verfügbaren Bestände in diversen Drogerien und Märkten kurzfristig aufkaufen lassen.

Wie es dazu kam, daraus macht er kein Geheimnis und entkräftet damit den Ruf eines Superhirns, der ihm auf der Elbwiese manchmal voraus eilt. „Nein, wenn beim Abendmahl viele Leute gemeinsam einen Kelch leeren, sind Hygienetücher zum Abwischen einfach ein Muss.“ Und genau daran habe man im Vorfeld leider nicht gedacht. Nun musste schnell gehandelt werden.

In meisten Punkten läuft jedoch alles nach Plan. Die angekündigte Hitze kann kommen: Gut und gerne 350.000 Flaschen mit Mineralwasser sind kühl und sicher deponiert.

Judy Bailey, Bell Book & Candle, Konstantin Wecker und City in Wittenberg

Kaum ist das eine abgehakt, warten die Bühnentechniker auf Absprachen. Damit im Ablauf keine allzu langen Pausen entstehen, muss klar sein, wer, wann, was auf- oder abbaut. So unterschiedlich die Wünsche von Judy Bailey, Bell Book & Candle, Konstantin Wecker und City sind, so vielfältig ist ihr Angebot.

Vom Liedermacher bis zur Rockband, von Indie-Pop bis zu karibischen Gute-Laune-Sound, gerade diese Gegensätzlichkeit machen wohl den Reiz aus. Langeweile wäre das Schlimmste, meint Nebel, der im Umgang mit Menschen und Aufgaben von langjähriger Erfahrung aus der kirchlichen Jugend- und Sozialarbeit in Baden-Württemberg profitiert. Im Kern geht es ihm darum: „Niemand soll leer ausgehen.“

Das ist zugleich das Stichwort für den nächsten Punkt, der die Veranstalter wohl bis zur letzten Minute beschäftigen dürfte: das Reformationspicknick. Essen und Trinken wird da sein, liest man im Programmheft. Doch was dahinter steht, ist zehntausendfache Initiative.

Denn es sind 150 Kirchengemeinden, die zur Kaffeezeit am Sonntagnachmittag ihnen bis dahin wildfremde Menschen einladen. Wie viele Kuchen da vorab gebacken werden, das wissen nur Nebel, seine Mitstreiter und ihre Computerprogramme.

Möglich ist vieles, nur eins nicht: Alkohol. Geht es um Hochprozentiges, herrscht auf der Elbwiese ein striktes Verbot. „Das ist gut und richtig und bestätigt alle Erfahrung“, sagt Hartwig Bodmann, 36 Jahre bei Kirchentagen dabei.

Als einer der Geschäftsführer des Vereins, der das Ereignis in Wittenberg auf die Beine stellt, gilt er unter den 1.600 Helfern vor Ort als der große Visionär und Stratege. Lange vor dem 500. Reformationsjubiläum, schon im Jahr 2009, prüft der ausgewiesene Logistiker die Chancen von Wittenberg als Veranstaltungsort.

„Am Anfang war die Skepsis überall groß, mindestens so groß wie der Reiz, ins Ursprungsland der Reformation zu gehen.“ Fakt ist: Die Lutherstadt an der Elbe ist der mit Abstand kleinste Ort, der je Schauplatz eines bundesweiten Kirchentages gewesen ist.

Kunstgriff eröffnet neue Möglichkeiten

Erst der folgenreiche Kunstgriff, den Kern des Ereignisses vor die Stadtmauern zu verlagern, überzeugt und eröffnet neue Möglichkeiten. „Die Wiese ist schon eine sexy Idee.“ Ihr Charme überzeugt. Offenkundig. Dass am Ende auch die Bahn mitspielt, Shuttle-Züge im Zehn-Minuten-Abstand fahren lässt, nennt der Mann der Superlative in diesem Zusammenhang fantastisch.

Aber wie weiter? Antworten gibt das ausgeklügelte Verkehrskonzept des Kirchentages, das die Handschrift Bodmanns trägt. Der 63-Jährige kennt alle Details, weil er es in Absprache mit Behörden und Sicherheitsexperten letztlich selbst entwickelt hat: Da sind nicht nur die drei Übergänge zum Gottesdienst-Gelände: über die Elbbrücke, über eine zusätzliche Pontonbrücke der Bundeswehr und aus Richtung der Ortschaft Pratau kommend.

Es geht immer auch um Routen und Reserven, beispielsweise bei den Parkplätzen für Reisebusse. 1.400 Stellflächen sind dafür in der Stadt reserviert. Von den Pkw-Parkplätzen aus verkehren zudem rund 100 Shuttle-Busse im ständigen Pendelverkehr in Richtung Elbufer, so von Ferropolis und Klein Marzehns aus.

Und schließlich beschafft Ordnungsfanatiker Bodmann, wie er sich selbst nennt, sogar noch 6.000 Fahrradständer. Keine Frage, dass er nach dem Fest selbstverständlich weiter auf Ordnung dringt. Innerhalb kürzester Zeit sollen die Schotterwege von der Wiese wieder verschwinden und 500 neue Bäume heranwachsen. „Auch da überlassen wir nichts dem Zufall, sind auf dem Posten.“  (mz)