Landrat Jürgen Dannenberg im Interview Landrat Jürgen Dannenberg im Interview: Unterkünfte für Asylbewerber sind gefragt

Wittenberg - Die Zahl der Flüchtlinge, die ihre Heimat verlassen und in Europa um Asyl bitten, nimmt zu.
Das hat insbesondere mit militärischen Konflikten zu tun - zum Beispiel mit dem Bürgerkrieg in Syrien oder den Gewaltorgien des so genannten Islamischen Staates im Irak und in Syrien. Deutschland gehört zu den begehrten Ländern, die Zahl der Asylanträge steigt - in der Republik ebenso wie im Kreis Wittenberg. Das ist in den Städten nicht zu übersehen. Die Aufnahme der Flüchtlinge stellt Behörden wie die gesamte Gesellschaft vor erhebliche Herausforderungen, was die Unterbringung betrifft, was die Integration betrifft. MZ-Redakteur Marcel Duclaud sprach darüber mit Landrat Jürgen Dannenberg (Linke).
Dass mehr und mehr Asylbewerber auch zu uns in die Region Wittenberg kommen, ist nicht zu übersehen. Wie viele sind es genau?
Dannenberg: Die Zahl der Asylanträge in der Bundesrepublik ist von 2013 auf 2014 um rund 60 Prozent gestiegen, ähnlich bei uns: Der Anstieg liegt bei 58 Prozent. Derzeit leben im Kreis Wittenberg genau 553 Asylbewerber aus 19 Nationen. Alles in allem ist das eine vergleichsweise geringe Größe. In Sachsen-Anhalt liegt die Zahl der Migranten bei unter drei Prozent der Bevölkerung.
Bleibt das so, wie ist der Trend?
Dannenberg: Wir wissen, dass sich die Zahl der Asylbewerber im Kreis Wittenberg in diesem Jahr noch einmal um 300 bis 350 erhöhen wird. Sie alle unterzubringen und zu betreuen, ist eine Aufgabe. Mit dem Haushalt haben wir die Weichen für zusätzliche Stellen bis hin zum Hausmeister gestellt, damit das gelingen kann. Auch zusätzliche Sozialbetreuer braucht es, man rechnet für rund hundert Asylbewerber einen Betreuer.
Wo sind die Flüchtlinge denn überall untergebracht?
Dannenberg: Gegenwärtig in sieben Städten: in Annaburg, Bad Schmiedeberg, Coswig, Gräfenhainichen, Wittenberg, Oranienbaum-Wörlitz und Zahna-Elster. Die Wohnblöcke in Vockerode sind ausgelastet, da leben knapp 200 Asylbewerber. Und wir haben zugesagt, dass dort keine weiteren Blöcke, in denen Flüchtlinge untergebracht werden, hinzukommen.
Es fehlt an Wohnungen für Asylbewerber, ist es leicht, welche zu finden? Leerstand gibt es doch?
Dannenberg: Leicht ist das nicht, es bereitet uns Probleme. Im Amtsblatt vom Dezember hatten wir um Vorschläge gebeten. Die werden jetzt geprüft. Aber reichen dürfte das nicht. Ende Februar, Anfang März wird es eine Runde mit den Wohnungsgesellschaften geben.
Was funktioniert besser, verstreute Wohnungen oder mehrere Flüchtlingsunterkünfte in einem Haus?
Dannenberg: Für die Integration ist die kleine Gemeinschaft sicher die bessere Variante. Wir rechnen pro Wohnung mit vier Asylbewerbern. Für unsere Sozialbetreuung ist es aber natürlich leichter, wenn sich vielleicht sechs von Flüchtlingen belegte Wohnungen in einem Block befinden.
Sperren sich Vermieter gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in ihren Häusern?
Dannenberg: Nicht generell. Aber es gibt bisweilen schon die eine oder andere Erklärung, warum das alles nicht geht. Insgesamt läuft es aber ruhig und sachlich.
Es heißt, Sie wünschen zusätzlich zu den angemieteten Wohnungen eine Gemeinschaftsunterkunft im Kreis. Ist schon eine Entscheidung über den Standort gefallen?
Dannenberg: Nein, wir prüfen das gegenwärtig. Offen ist auch noch, in welcher Stadt eine solche Unterkunft mit zwischen 70 und 100 Plätzen angesiedelt wird. Wichtig ist die, um einen Puffer zu haben. Wir wissen doch oft nicht, wie viele Flüchtlinge uns aus Halberstadt zugewiesen werden. Zwei Mal im Monat kommen Asylbewerber mit dem Bus zu uns und wir müssen sie verteilen. Nicht unwichtig ist außerdem, dass das passgenau erfolgt. Dass also jene, die zusammen in einer Wohnung leben sollen, miteinander klarkommen. Aus dem Bus heraus ist so etwas schwer zu entscheiden.
Sind die Behörden überfordert mit der Situation?
Dannenberg: Es ist eine komplizierte Aufgabe, der wir uns stellen. Und bisher haben wir alles bewältigt. Mit den zusätzlichen Stellen werden wir das auch weiterhin schaffen. Wir leisten hier ein Stück Solidarität. Viele, gerade die Menschen, die aus den Kriegsgebieten kommen, verlassen ihr Land doch nicht freiwillig. Nach 1989 hat man schließlich auch uns geholfen.
Unterbringung ist das eine, Integration das andere. Gibt es Hilfe, die über die Behörden hinausreicht?
Dannenberg: Aber sicher. In Coswig kümmert sich eine ehemalige Lehrerin um Deutschunterricht. In Annaburg und Oranienbaum spielen Asylbewerber in Vereinen Fußball. Weihnachten gab es Einladungen an Flüchtlingsfamilien. Es gibt punktuelle Angebote. Dass es mehr werden können, ist keine Frage.
Wie sieht es mit der Integration in Kindergärten oder Schulen aus?
Dannenberg: Vereinzelt werden Kinder in Kindertagesstätten geschickt, aber eher selten, weil die Mütter meist zu Hause sind. Bei den Schulen ist das anders. Es besteht ja Schulpflicht. Zusätzlichen Deutsch-Unterricht gibt es leider erst, wenn fünf Asylbewerber-Kinder in eine Schule gehen. Aber in den Klassen, gemeinsam mit den anderen Schülern, lernen die Kinder vermutlich sowieso schneller die deutsche Sprache.
Sind die Asylbewerber mehr Belastung oder mehr Chance?
Dannenberg: Sicher ist die steigende Zahl der Asylbewerber zunächst eine Belastung, das kann man nicht leugnen. Aber angesichts von über hundert unbesetzten Lehrstellen im Kreis ist der Zuzug auch eine Chance. Da gibt
es sicherlich Probleme. Fehlende Zeugnisse zum Beispiel. Darüber muss man reden. Erste Gespräche mit den Europaschulen oder mit der Kreishandwerkerschaft wurden geführt. (mz)