Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Schüler sind geschockt über Bilder von Straßenkindern
BAD SCHMIEDEBERG/MZ. - Kimberly Günther, Ludowika Dolge, Penelopé Klemens, Justine Wilhelm, Vanessa Schubert und Vanessa Neuber haben ein Zuhause, das mehr ist als ein Dach über dem Kopf. Dass dies beileibe nicht selbstverständlich ist, wissen die Siebtklässlerinnen der Sekundarschule Bad Schmiedeberg seit sie vor den Herbstferien eine Fotoausstellung im Soziokulturellen Jugendzentrum Pferdestall in Wittenberg besucht haben.
Die Bilder des Fotografen Jim Rakete von Berliner Straßenkindern haben einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und die sechs Mädchen angeregt, sich intensiver mit dem Thema auseinander zu setzen. Sie wollten ihr Wissen und das, was die Fotos bei ihnen auslösten, weitergeben. "Dass das so schlimm ist, hätte ich vorher nicht gedacht", bekennt Justine Wilhelm, schließlich sei man ja vor Ort nicht direkt mit dem Phänomen konfrontiert. "Hier in Bad Schmiedeberg selbst gibt es ja keine Kinder, die auf der Straße leben", sagt Ludowika Dolge, "höchsten vielleicht in Wittenberg oder sonst in großen Städten".
In den sechsten und siebten Klassen ihrer Schule haben sie durch ihre Vorträge dafür gesorgt, dass auch ihre Mitschüler eine Vorstellung davon bekommen, was das Leben auf der Straße für Kinder und Jugendliche bedeutet, die kaum älter als sie selbst sind.
Vorstellen könne man sich das vielleicht, bekennen allesamt mit nachdenklichem Kopfnicken, dem ein energisches Kopfschütteln folgt: "Nein, selbst so leben will man nicht", unterstreicht Vanessa Schubert. "Das ist keine Lösung, selbst wenn man zu Hause auch mal Stress hat."
Bei ihrem Ausstellungsbesuch haben sie angefangen zu vergleichen, ihren Tagesablauf rekapituliert und ihn dem Alltag der Straßenkinder gegenübergestellt. Sie haben versucht, sich in sie hineinzuversetzen. Die Fotos haben dabei ebenso geholfen, wie ergänzende Informationen von den Sozialarbeitern im Wittenberger "Pferdestall". Die Bilder seien "sehr gefühlvoll" findet Penelopé Klemens und bei allem Schrecken strahlten sie auch Positives aus. "Die Straßenkinder haben fast alle Hunde", erinnert sich Ludowika, "das ist für die so eine Art Familienersatz." Zugleich hätten sie zumeist mit Drogenabhängigkeit und Alkoholmissbrauch zu kämpfen, mit Kälte und Gleichgültigkeit. Die Mädchen erzählen lebhaft und anschaulich, ruhig und emotional zugleich. Die Mitschüler hören aufmerksam zu, im Ethikunterricht der siebten Klasse entwickelt sich eine rege Diskussion darüber, was eigentlich Zuhause ist, was es bedeutet, einen Platz zu haben, an dem man sich heimisch fühlt.
Michael Winkler ist zufrieden: "Das war eine richtig tolle Stunde", findet der Ethiklehrer. Auch die Schulsozialarbeiterin des Internationalen Bundes freut sich über das Ergebnis des Ausstellungsbesuches. Zum einen, weil es gelungen sei, mit Vorurteilen und Klischees aufzuräumen, zum anderen, weil die Schülerinnen ihre Erkenntnisse so anschaulich wie anrührend vermittelt und über andere wie auch über sich selbst einiges gelernt hätten. "Zuhause ist, wo ich ich bin und doch nicht allein", so hatte es Jenny in einem Gedicht formuliert. Die Gedanken der Berlinerin zu ihrem Leben auf der Straße, sie kommen aus einer anderen Welt, und haben in Bad Schmiedeberg Spuren hinterlassen.