Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Schönitzer See ufert aus
SCHÖNITZ/MZ. - Bei Familie Schulze aus Schönitz rollen die Autos der Nachbarn, Transporter von Post und Kurierdiensten mitten über den Hof. Anders ist etwa das Grundstück von Elisabeth Schmidt nicht erreichbar. Der Schönitzer See steigt und steigt. An der Dammbrücke kurz hinter Riesigk schwappt das Wasser über die Straße, die Strömung schwemmt durchtränkte Heuhaufen an. Die einzige Zufahrt zum Ort ist dicht, die einzige öffentliche Straße in der Siedlung in einer braunen Brühe versunken. Den 15 Schönitzern bleibt offiziell nur der Deichverteidigungsweg für An- und Abfahrt.
"Unsere Tiere sind sicher, das Hab und Gut ist es momentan auch", sagt Bärbel Schulze. Die Häuser wurden zum Glück und in weiser Voraussicht früher höher gebaut. Das gibt den Familien ein Stück Sicherheit. Vor ein paar Tagen war die 59-Jährige bei einem Besuch der MZ gelassen, jetzt wirkt sie nervös. "Ich habe Albträume, denke an 2002. Da stand das Wasser bis auf den Hof", erzählt sie. Nachbarin Elisabeth Schmidt wohnt seit 50 Jahren auf ihrem Gehöft in der kleinen Siedlung. Wie eine Insel ragt das rote Backsteinhaus auf einer kleinen Anhöhe aus der gefluteten Landschaft. "Mit Wasser kennen wir uns aus", winkt die 77-Jährige am Fenster ab.
Aber auch sie kann sich nicht an eine ähnlich prekäre Lage, abgesehen vom Jahrhunderthochwasser, erinnern. Deshalb fotografiert die Seniorin jedes Detail und zeigt auch gleich einen Schnappschuss von 2002. Damals legten Boote direkt an der Hausfassade an. Das Hochwasser von heute ist zwar deutlich niedriger, aber dennoch tückisch. Den Teich auf dem Grundstück hat der See geschluckt, "unsere Fische haben wir tot auf dem überfluteten Feld gefunden".
Karsten Hempel von der TUG Oranienbaum, die sich im Auftrag des Unterhaltungsverbandes "Untere Mulde" um die Pflege der Gewässer kümmert, versteht die Sorgen der Betroffenen. Den ganzen Tag ist Hempel die Entwässerungssysteme im Wörlitzer Winkel abgefahren. "Die Gräben sind alle geräumt, allerdings ist der Wasserstand enorm hoch." Brücken und Durchlässe würden wie Stauanlagen wirken. "An manchen Stellen sind die Rohre beispielsweise zur Querung von Wegen schlicht unterdimensioniert." Und der Hohenbreitgraben aus Richtung Selbitz sorgt für kräftig Nachschub. Die Flur bei Schönitz, von Deichen umgeben, läuft wie eine Wanne voll. Hempel warnt dennoch vor Panikmache. Die außergewöhnliche Wetterlage mit den ergiebigen Regenfällen Ende vergangenen Jahres und dem monatelangen Hochwasser der Elbe habe niemand vorhersehen können. "Wir müssen jetzt nur die richtigen Schlüsse daraus ziehen", sagt er. Der Wörlitzer Winkel habe durchaus ein gut entwickeltes Meliorationssystem. "Es muss nur dort in Ordnung gebracht werden, wo es durch verschiedene Bauprojekte gestört worden ist".
Bürgermeister Uwe Zimmermann (Linke) sieht jedenfalls keine Möglichkeit, durch kurzfristige Eingriffe eine rasche Entspannung erzielen zu können. Hauptproblem sei das Grundwasser. "Das Hochwasser der Elbe saugt es nach oben." Zimmermann hofft vielmehr auf konstruktive Vorschläge nach einem Treffen am Dienstag mit der Kulturstiftung, dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz, Behörden und Verbänden. Gemeinsam will die Runde einen Aktionsplan erstellen und der Landesregierung zuarbeiten.
Bärbel Schulze geht das nicht schnell genug. Sie appelliert an die Kulturstiftung, das Wehr zum Wörlitzer Park komplett zu öffnen, "bevor wir hier ertrinken". Doch Stiftungsdirektor Thomas Weiss bleibt hart. Mehr Wasser als derzeit könne das Welterbe nicht vertragen. Die Schulzes haben ihren Nachbarn daher erlaubt, so lange über den Hof zu fahren, bis die Straße in der Siedlung wieder frei ist.