Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Gotteshaus für einen Euro
Wahlsdorf/MZ. - Der Mauerputz bröckelt, Risse sind zu sehen, vom Garten bis an die Eingangstür herrscht Wildwuchs. Auch ein Blick in den Innenraum ändert nichts am Eindruck von Verfall. Seit Ende 2005 wird die Kapelle der Neuapostolischen Kirche in Wahlsdorf nicht mehr genutzt. Sie steht zum Verkauf.
Gemeinde mit Tradition
Die Finanzen wiegen bei alledem schwerer als die lange Tradition der Wahlsdorfer Gemeinschaft: Etwas älter als einhundert Jahre ist der Bau an der Dorfstraße. Das Baujahr 1910 ist noch über dem Eingang zu lesen. Ausgehend von Coswig fand der neue Glaube um die Jahrhundertwende mehr und mehr Anhänger in der Region: "Es gab massive Austritte aus den evangelischen Kirchen und sie kamen in die neuapostolische Kirche", erzählt Gerald Müller, Gemeindevorsteher der neuapostolischen Kirche in Coswig. "Die Menschen haben sich für das Neue interessiert." Die Wahlsdorfer Gemeindemitglieder gehörten zunächst zu Coswig. Mit der wachsenden Anzahl an Gläubigen wurde der Drang nach einer eigenen Gemeinde jedoch größer und so war 1895 die neuapostolische Gemeinde in Wahlsdorf gegründet worden.
Um 1900 sind in Wahlsdorf unter 82 Einwohnern neben 68 evangelischen und einem katholischen auch "13 andere Christen", also neuapostolische Christen verzeichnet. Die Neuapostolische Kirche war damit die zweitstärkste Religion im Ort. Carl Knape war das bekannteste Mitglied. 1911 wurde er Gemeinde- und Bezirksvorsteher, später Bischof und damit Nachfolger von Franz Hübner, mit dem der neuapostolische Glauben nach Coswig gekommen war. Durch weiteren Zuwachs an "Geschwistern" wurde auch eine eigene Kapelle notwendig, die im September 1910 eingeweiht wurde.
"Die Kapelle in Wahlsdorf wurde seit 1910 aber nicht verändert und entsprach irgendwann nicht mehr den modernen Bedürfnissen einer Gemeinde", erzählt Müller. Bis zuletzt hatte das Gebäude weder Wasseranschluss noch Heizung. Als es hier 2005 nur noch rund 30 Mitglieder gab, fielen vor allem Kosten und demografische Aussichten bei der Entscheidung ins Gewicht, Coswig zum zentralen Standort - mit heute rund 190 Mitgliedern - zu machen: "Dort gibt es eine richtige Kirche mit allem, was man braucht und die meisten müssen so oder so mit dem Auto fahren." Die Schließung der Kapelle ist dennoch alles andere als einfach, erklärt Müller, während er in dem nur durch Tageslicht beleuchteten Raum steht und sein Blick von einer schimmligen Wand über eine Ansammlung ausgemusterter Bänke wandert. "Hier wurden Leute getauft, haben hier geheiratet. Das ist auch emotional schwierig." Genauso schwierig wie die Entscheidung für den Verkauf: "In einer Großstadt oder da, wo Finanzkraft ist, würden Wohnungen daraus gemacht oder ein Veranstaltungszentrum. Aber hier?" Schulterzucken, ein ratloser Blick über alte Bücherstapel und kaputten Fußbodenbelag.
Geringe Kosten, großer Aufwand
Für einen Käufer wären die Anschaffungskosten die geringste Investition, die Kosten für Überschreibung und Grundbucheintrag und einen symbolischen Euro müsste er aufbringen. "Wir sind froh, wenn sich jemand findet und etwas daraus macht, aber der Aufwand ist hoch", sagt Müller. Über einen Abriss möchte er nicht nachdenken.