Klassentreffen in Gräfenhainichen Klassentreffen in Gräfenhainichen: Zeitreise auf dem Schulhof

Gräfenhainichen/MZ - Klinker und Backstein prägen die Fassade. Auf dem Hof stehen Bäume von stattlicher Größe. Gepflastert sind nur wenige Wege. „Das sieht äußerlich alles noch so aus wie damals“, meint Birgit Kindler. Als die Wahl-Hamburgerin noch Genserowski hieß, ist sie oft über den Hof marschiert. Sie war einst in Gräfenhainichen in der Erweiterten Oberschule (EOS) und hat in der Heidestadt ihr Abitur gemacht. Vor 50 Jahren hat sie mit 22 Klassenkameraden das Abschlusszeugnis überreicht bekommen.
„Lange her. Wir haben uns seitdem in großer Runde nicht gesehen“, erzählt Harry Kaczmarczyk. Auch er hat eine weite Anreise zum Klassentreffen gehabt. „Ich lebe jetzt in der Schweiz.“ Nach Gräfenhainichen sei er jedoch gern gekommen. Die Neugier wurde zur treibenden Kraft. Man interessiere sich doch einfach dafür, was aus den Leuten von damals geworden sei. 23 Schüler machten vor einem halben Jahrhundert in der Heide ihr Abitur. „20 Mädchen, drei Jungs“, weiß die Radiserin Evelin Erdmann. Die A-Klasse mit sprachlicher Ausrichtung war eine Mädchendomäne. Das Wiedersehen nach so langer Zeit hat allerdings ein Mann auf den Weg gebracht. Hilmar Müller hat nach Adressen gesucht und ist fündig geworden. Lob für den Eifer ist ihm sicher. „Einer musste sich vor den Karren spannen und alles organisieren“, sind Kaczmarczyk und Co. überzeugt. Dass Müller mit seiner Arbeit den Grundstein für ein großes Rätselraten gelegt hatte, war schnell klar.
Das Leben hat Spuren hinterlassen. Die Abiturienten von einst sind jetzt zumeist im Rentenstand. Ärzte und Lehrer sind unter ihnen. „Wir sind alle was geworden“, sind sich die Frauen und Männer einig. Jeder habe seinen Weg gemacht. Die Erinnerung an die Schulzeit in Gräfenhainichen ist dennoch da. „Komisch“, sagen die einstigen Schüler geradeheraus. Schließlich hätten sie die EOS gerade einmal vier Jahre lang besucht.
Egal. Geschichten machen die Runde. Etwa die vom 12. April 1962. Damals drehte Juri Gagarin als erster Mensch im Weltall seine Runden. „Wir haben alle in den Himmel geguckt.“ Ob er hoffte, Gagarins Raumschiff zu sehen, weiß Harry Kaczmarczyk nicht mehr. An den Tag erinnert er sich dennoch. Evelin Erdmann und Birgit Kindler haben eine andere Begebenheit im Sinn. Beim Fahnenappell wurde ein junger Mann vor die versammelte Schülerschaft zitiert. Er trug eine Jeans aus westlicher Produktion und war damit ein Musterbeispiel für die Verwerflichkeit des kapitalistischen Systems. „Die Zeiten waren so“, erklären die Abiturienten von einst. Die Schule hat sie geprägt. Es wurde im Chor gesungen, in der Rezitatoren-AG mitgemacht. „Einmal haben wir in der LPG in Griesen ein Programm aufgeführt. Da haben wir auf Bierdeckel geschrieben, dass wir Kultur aufs Land bringen.“ Eine durchaus gewagte Botschaft, meint Kaczmarczyk. Die Zeitreise ist auf dem Schulhof nicht vorbei. Die Abiturienten von einst erobern noch einmal ihre Stadt. Sie schauen ins Rathaus, laufen über den Boulevard und erzählen. Themen gehen ihnen nicht aus.