Kita in Wittenberg Kita in Wittenberg: Waldkindergarten scheut kein Wetter

Wittenberg - Es gab und gibt in diesen Tagen viele Weihnachtsfeiern, zu den außergewöhnlichsten darf die des Waldkindergartens in Wittenberg gerechnet werden. Da steht auf dem Nabu-Gelände im Stadtwald eine Gruppe Personen, es ist früher Morgen und, tata!, es regnet. Doch niemanden ficht das an. Waldkindergarten-Begründerin Tina Kraatz - Funktionsjacke, Stiefel, Mütze - sagt: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung.“ Eine Binse, klar. Nur dass diese von vielen gern ignoriert wird.
Der Waldkindergarten befindet sich im Wittenberger Stadtwald neben dem Nabu-Zentrum. Zum Konzept gehört die spielerische Aneignung von Naturkenntnissen, es sind keine Legokisten da, um die es sich zu streiten lohnt, wiewohl auch im Wald etwas Gebautes „mal absichtlich“ zerstört wird, nur erleben die Kinder dort direkter „die wechselseitige Abhängigkeit voneinander“, so die Chefin der Einrichtung Tina Kraatz. Auch die Lust am Sprechen wird gesteigert. Und die Kinder entwickeln im Wald eine gute körperliche Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer. „Die Strecke von ein bis zwei Kilometern pro Tag schaffen sie meist spielend, sie sind sicher im Klettern und lernen, ihre Kräfte und Grenzen einzuschätzen.“ Dass es auch Schutzräume im Waldkindergarten gibt, versteht sich. Dazu gehören ein Wohnwagen und ein Container.
Natur schärft die Sinne
Nun wäre es falsch, einen Waldkindergarten allein auf seinen entspannten Umgang mit Witterungserscheinungen zu reduzieren. Das Konzept greift weiter und wer die drei- bis fünfjährigen Mädchen und Jungen samt ihrer Erzieher und Gäste an diesem Tag im Stadtwald sieht, ahnt, dass sie Stubenhockern manches voraus haben. Abgesehen davon, dass sie sich, um ein Beispiel zu nennen, schon ein bisschen auskennen mit Flora und Fauna, haben sie sichtlich Freude daran, sich zu bewegen - und sie können es. Das ist nicht mehr selbstverständlich, längst beklagen nicht nur Kinderärzte einen zunehmenden Mangel an Bewegung - motorische Defizite und Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen sind sichtbare Folgen.
Den Waldkindergarten in Wittenberg gibt es seit Sommer 2014. Ausgelegt ist er für 15 Kinder, sieben besuchen ihn gegenwärtig. Sie kommen aus Wittenberg, eins aus Coswig. Die Gründung der Einrichtung war seinerzeit nicht ganz einfach. Im August erhielt Kraatz, Geschäftsführerin des Trägervereins „Kunterbunt gUG“ (heute „Sternenstaub gUG“), die Betriebserlaubnis. Die monatliche Gebühr für Eltern betrage 95 Euro. Mit Nicole Zimmermann und Markus Taday sind zwei ausgebildete Erzieher beschäftigt. Taday kommt aus Dessau, dort hat er auch schon im Waldkindergarten gearbeitet.
Kürzlich sei er mal wieder in einer „normalen Kita“ gewesen. „Da habe ich gemerkt, wie geräuschempfindlich ich geworden bin“, sagt er. Es sei nicht so, dass die lieben Kleinen aus dem Waldkindergarten nicht auch mal laut sind. Aber in der Natur „verläuft sich das“. Taday nennt weitere Vorzüge: Es gibt kein „Edelspielzeug“ (gespielt wird vor allem mit dem, was der Wald hergibt) und die Bekleidung ist funktional, so dass auch in dieser Hinsicht keine Konkurrenz entsteht. Dass in der Natur die Sinne geschärft werden, sagt Zimmermann. „Auch das soziale Verhalten wird gefördert und das Miteinander“, bekräftigt sie.
Es sei, so Zimmermann, „familiärer“. Zur Familie, um in diesem Bild zu bleiben, gehören seit einiger Zeit auch Schüler der Wittenberger Friedrichstadtschule. Im Rahmen projekt- sowie praxisorientierter Lerntage sind die Jugendlichen einmal wöchentlich, je nach Projektzugehörigkeit, im Waldkindergarten oder im Nabu-Zentrum mit seinen Tieren. Für den Kindergarten entschieden hat sich Janis Mientus, der selbst im Kinderheim Kropstädt lebt und im Stadtwald bei der Betreuung der Drei- bis Fünfjährigen hilft. „Ich liebe es, draußen zu sein. Man erkennt sich selbst wieder“, sagt der Achtklässler, der, was für eine Frage, einmal Erzieher werden möchte, am Rande der kleinen Weihnachtsfeier.
Und die spielt sich dann doch - zumindest beim Frühstück - im Schutz der Unterstände und der Wärme von Feuerkörben vor dem Nabu-Zentrum ab. Mit dabei ist auch dessen Leiterin Petra Henkelmann. Mit ihren Mitarbeitern und ehrenamtlichen Helfern betreut sie etwa 100 Tiere, zu denen auch die Kinder des Waldkindergartens Kontakt haben. Besser geht’s eigentlich nicht.
Wurzeln in Skandinavien
Der Waldkindergarten in Wittenberg ist der vierte in Sachsen-Anhalt. Ihre Wurzeln hat die Initiative in den 1950er Jahren in Skandinavien. Der erste anerkannte Waldkindergarten in Deutschland öffnete 1993 in Flensburg. Es gibt ihn immer noch.