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Kandidaten im Gespräch Kandidaten im Gespräch: Jörg Schindler (Die Linke) - Sicherung der Grundbedürfnisse

08.09.2017, 11:19
Jurist Jörg Schindler will Menschen nicht nur juristisch, sondern auch politisch vertreten.
Jurist Jörg Schindler will Menschen nicht nur juristisch, sondern auch politisch vertreten. Thomas Klitzsch

wittenberg - Jörg Schindler will in den Bundestag. Nach 2009 und 2013 tritt der 45-jährige Jurist aus Wittenberg zum dritten Mal für die Linke an, um Menschen künftig nicht nur juristisch, sondern auch politisch in Berlin zu vertreten.

MZ-Redakteurin Sabine Wesner sprach mit ihm über seine Motivation, seine Ziele und das, was ihn umtreibt.

2017 ist Ihr dritter Anlauf, um in den Bundestag einzuziehen. Wie sehen Sie Ihre Chancen?
Schindler: Natürlich will ich in den Bundestag, dafür bin ich ja angetreten. Und mir ist klar, ob jemand gewählt wird oder nicht, hängt nicht von der Genialität des Einzelnen ab, sondern auch von der politischen Großwetterlage und den Parteien.

Ich bin bereits zweimal angetreten und habe jeweils den zweiten Platz hinter der CDU belegt. Ich schätze die Mitbewerber, auch Sepp Müller, den ich durch die Arbeit im Kreistag kenne und mit dem ich mich gut verstehe. Allerdings gibt es zwischen uns in der Frage des Sozialstaates evidente Unterschiede.

Als Anwalt mit Schwerpunkt Arbeits- und Sozialrecht trifft Jörg Schindler oft auf Betroffene der Sozialpolitik

Welche Unterschiede sind das? Und wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Schindler: Sepp Müller steht für den konservativen Ansatz, nach dem jeder für sich selbst sorgt, und wenn das nicht reicht, wird karitativ geholfen. Ich vertrete den Anspruch, dass die Grundbedürfnisse - also genug zu essen, zu trinken und zu wohnen - für alle erfüllt sein müssen.

Wenn das unterschritten wird, verstößt das für mich gegen die Grundsätze der Humanität. Wie soll jemand an der Gesellschaft teilhaben, wenn er schon am dritten Tag des Monats nichts mehr zu essen hat?

Als Anwalt mit Schwerpunkt Arbeits- und Sozialrecht erfahre ich in erschreckendem Ausmaß, wie es den Betroffenen wirklich geht. Und ich spreche nicht von einer Handvoll „Penner“, sondern von ganz normalen Leuten, die unverschuldet arbeitslos geworden sind, von Alleinerziehenden und Rentnern, die als Sozialhilfeempfänger in eine katastrophale Situation abrutschen, und dann auch noch behandelt werden wie der letzte Dreck.

Das ist für mich die praktisch sichtbare Spaltung unserer Gesellschaft, in der Egoismus und Verrohung immer mehr zunehmen.

Was wollen Sie dagegen tun?
Schindler: Um eine grundlegende soziale Existenz für alle Menschen im Sozialstaat abzusichern, müssen Gesetze geändert werden. Vor 2004 und Hartz IV gab es solche sozialen Abstürze nicht. Und es kommt noch eine Riesenwelle auf uns zu, wenn alle, die sich in den vergangenen 27 Jahren irgendwie durchgeschlagen haben, in Rente gehen.

Deshalb mache ich mich für die Rente mit 65 Jahren mit einer Mindestrente von 1.050 Euro und die Angleichung der Ost- an die West-Renten stark. Die Leiharbeit muss minimiert und die sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge abgeschafft werden. Dafür steht die Linke.

Wenn der Christdemokrat Sepp Müller die Befristung von Hartz IV fordert, und ein Teil der Bevölkerung plötzlich völlig mittellos dastünde, hätten wir bald Zustände wie in der Bronx. Vielleicht nicht in Dörfern wie Selbitz. Aber die Städte und auch Wohngebiete in Wittenberg wären betroffen. Das sind die Unterschiede. Da muss der Wähler entscheiden, welchen Interessen er folgt.

Man muss wissen, dass jeder Mensch auch Politiker ist

Was macht für Sie einen guten Politiker aus?
Schindler: Man darf, auch mit Mandat, nicht meinen, ein Politiker zu sein - weil man wichtig ist und im „Raumschiff Bundestag“ sitzt. Die besten Politiker sind ganz normale Menschen mit einem Engagement - nichts Besonderes. Und man muss wissen, dass jeder Mensch auch Politiker ist.

Wie denken Sie über das Demokratieverständnis im Land?
Schindler: Viele Diskussionen über die Demokratie sind hohl. Die Leute wissen ganz genau, entweder sie können mitmachen, dann tun sie das auch. Oder sie spüren, dass sie verschaukelt werden. Und dazu sind sie nicht bereit.

Wenn der kleine Mann wegen Mietrückständen aus seiner Wohnung fliegt, aber die Autoindustrie angesichts des gigantischen Betrugs rund um den Dieselskandal ungeschoren davonkommt, dann haben die Leute keinen Bock mehr und verlieren das Vertrauen in politische Entscheidungen.

Was machen sie in ihrer Freizeit? Haben sie Hobbys?
Schindler: Ja klar, ich jogge gern. Lese Zeitschriften, treffe mich mit Freunden. Ganz wichtig ist mir auch, Zeit mit meinem Sohn Theo zu verbringen, auf Spielplätze zu gehen, zu shoppen und Ausflüge zu machen. Deshalb liegen derzeit auch viele Hobbys auf Eis. (mz)

Jörg Schindler ist 45 Jahre alt, verheiratet und Vater eines fünfjährigen Sohnes. Seit 18 Jahren lebt der in Borna geborene Sachse in Wittenberg. Schindler, der in Erlangen Jura und in Duisburg einige Semester Sozialwissenschaften studierte, ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Arbeitsrecht. Seine Kanzlei in Wittenberg hat Sitze in Berlin und Dessau.

Zur Politik kam Schindler als 17-Jähriger in der Wendezeit. Erst bei den jungen Linken in Borna, dann während des Studiums im Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta).

Erst 2005, mit Blick auf die Fusion von PDS und WASG, trat Schindler der Linken bei. Seit 2007 sitzt er im Kreistag, ist Sprecher seiner Fraktion, Orts- und seit 2011 stellvertretender Landesvorsitzender.