500 Jahre Reformation Jubiläum 500 Jahre Reformation: Ein Stadtrundgang durch Wittenberg
Wittenberg - Die Sonne brennt, obwohl es noch früh ist. Von den Spiegeln auf dem Wittenberger Bunkerberg werden je nach Blickwinkel der Himmel, die Bäume oder die Beine der Menschen reflektiert, die an diesem Morgen bereits die erste Attraktion der Weltausstellung Reformation bestiegen haben.
Es ist 9.45 Uhr, eine alte Glocke läutet. Mit ihrem Signal beginnt Fritz Baltruweit die Morgenandacht auf dem Berg. Der Pfarrer aus Hildesheim ist zurzeit jeden Morgen hier. Dazu hält er Mittagsandachten und das Abendgebet auf dem Marktplatz. Trotzdem wirkt er nicht ermüdet, sondern strahlt, als er seine Gitarre um den Hals hängt und die 30 Besucher begrüßt.
Reformationsjubiläum: Lage der Weltausstellung ist Fluch und Segen zugleich
„Das hat schon was, auf dem Berg“, sagt er. Der Bunkerberg mit seinen verspiegelten Wegen und Stegen ist die zentrale Installation im Torraum „Spiritualität“. Insgesamt sieben dieser Torräume gibt es, die sich jeweils einem Thema widmen und sich durch die Wallanlagen rund um die Innenstadt ziehen.
Die Lage der Weltausstellung zum 500-jährigen Reformationsjubiläum ist Fluch und Segen zugleich. Es ist idyllisch dort, wegen der Teiche und vielen Bäume. Doch die meisten Tagestouristen gelangen kaum in die Ausstellung. Denn bei all den Sehenswürdigkeiten, die das Stadtzentrum bietet, bleibt für einen Abstecher in die Wallanlagen selten Zeit.
Lähmendes Überangebot in Wittenberg
Zwischen dem Lutherhaus und der Schlosskirche wuseln viele Reisegruppen hin und her. In der Weltausstellung sind unter der Woche nur wenige Spaziergänger unterwegs. Die dutzenden Pavillons, Cafés und Veranstaltungen sind oft kaum besucht. In der offiziellen App sind für den Tag 131 Programmpunkte vermerkt: Führungen, Konzerte, Lesungen, dazwischen immer wieder Andachten. Allein um 12 Uhr wird an sieben Orten zum Beten eingeladen. Zur Mittagsandacht des Cafés #Friedenswege sind nur vier Leute gekommen. „Es gibt ein Überangebot. Wir sind hier nicht in Berlin“, sagt Gaby Weber, die das Café der Evangelischen Friedensarbeit leitet. Und, es ist eine atheistische Gegend, in der jahrzehntelang die Kirche marginalisiert war. Dass sie sich mehr Besucher wünschen würden, sagen viele Aussteller.
Die Veranstalter vom Verein r2017 zeigten sich dagegen zuletzt zufrieden mit den Besucherzahlen. Seit Ende Mai seien 70 000 Ein-, Zwei-, und Drei-Tageskarten sowie 5 000 Saisontickets verkauft worden, sagt Geschäftsführer Ulrich Schneider. Inklusive der Einzeltickets, die nur für das Asisi-Panorama, den Bibelturm, Konzerte und die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ verkauft wurden, komme man auf 200 000 zahlende Besucher.
Wo sind die Hinweisschilder für die Weltausstellung?
Aber es gibt Luft nach oben. Anders als es etwa bei Bauhaus-Ausstellungen in Dessau gemacht wird, fehlen an der A9 an der Ausfahrt Wittenberg Hinweisschilder für die Weltausstellung. Das bisherige Werbekonzept ist vielen zu unkonkret. Die bundesweit aufgestellten Werbeplakate mit Sprüchen wie „Wie kommt mehr Himmelblau ins Alltagsgrau?“ helfen kaum, Inhalt und Angebote der Schau zu verstehen.
Ganz anders das Asisi-Panorama Luther 1517. Das ist selbsterklärend. Das Panorama hat bereits Ende Oktober 2016 als Teil der Weltausstellung eröffnet und die 250 000 Besucher, die seither da waren, sprechen für sich. Geschäftsführer Schneider gibt zu, dass die anfängliche Werbung bei manchen wohl nicht „als Einladung“ ankam. Aber es sei „nachjustiert“ worden: Neue Plakate, Radiospots, Promotion-Teams in Wittenberg. Dass die Werbung viele Leute erreicht, ist wichtig. Immerhin soll die 25-Millionen-teure Ausstellung, neben den staatlichen und kirchlichen Geldern, auch zu einem Drittel durch Sponsoren- und Ticketeinnahmen finanziert werden.
„So vielfältige Angebote gibt es in Wittenberg sicherlich nicht alle Tage“
Auch das Café #Friedenswege macht nun mehr Werbung. Die Mitarbeiter haben bunte Postkarten entworfen und in Wittenberg verteilt, um mehr Menschen zu erreichen. Und Gaby Weber betont auch: „So vielfältige Angebote gibt es in Wittenberg sicherlich nicht alle Tage.“
Auf dem Marktplatz tritt am Nachmittag die Musikgruppe einer Evangelischen Kirche aus Chile auf. Im Schatten der Melanchthon-Skulptur vor der Bühne sitzen drei Nonnen von der Communität Christusbruderschaft Selbitz. Schwester Therese gefallen die Konzerte und das Zusammenkommen von Menschen aus aller Welt. Sie sagt aber auch: „Luther hätte nicht gewollt, dass er so im Mittelpunkt steht.“ Ihm sei es darum gegangen, Gott den Menschen näher zu bringen. Nun gebe es Luther-Kekse und in den Restaurants Reformationsteller. „Ich glaube nicht, dass Luther das gefallen hätte.“
Wittenberg: Heute Zentrum des Atheismus
Die Frage, wie religiös eine Ausstellung zum Reformationsjubiläum sein darf, in einem Bundesland, in dem rund 80 Prozent der Menschen nicht konfessionell gebunden sind, spaltet. „Es gibt viele Leute, die das Wort Kirche hören und sofort dicht machen“, sagt eine Wittenbergerin. Nachdem bereits zehn Jahre lang die Luther-Dekade gefeiert wurde, dürften einige vom Thema Reformation übersättigt sein, sich fragen, was beim Gedenken an ein 500 Jahre zurückliegendes Ereignis noch Neues kommen soll.
Dabei kann man auf der Weltausstellung durchaus mehr erleben, als Religion und eine Rekapitulation der Geschichte. Zwar spielt der Glaube eine zentrale Rolle. An den Ständen hängen Segenswünsche und es werden Zitate aus der Bibel verteilt. Aber es gibt auch kulturelle und künstlerische Angebote, mit internationalen Ausstellern und Besuchern.
Von Schuhen und Schiffen
Im Schweizer Pavillon „Prophezey“ kann man sich eine extra für die Weltausstellung angefertigte Druckerpresse von einer Helferin aus Uganda zeigen lassen. Eine Gruppe Amerikaner ist begeistert, vor allem als sie selbst Seiten bedrucken kann. „Es gibt so viele Details hier“, sagt Monica Eppinger. „Die Ausstellung ist ein schöner Mix aus Geschichte und den Herausforderungen, die wir heute haben.“
Ein Stück weiter befindet sich der Pavillon „Briefe an die Welt“, durch den eine Nigerianerin Besucher führt. Er ist das Projekt eines äthiopischen Künstlers und aus 2 000 Schuhboxen gebaut, mit denen zuvor junge Äthiopier auf die Straße gegangen sind, um Schuhe zu putzen und Geld zu verdienen. Wenn man zwischen den Holzboxen steht, ist über einen Lautsprecher eine Stimme zu hören. Sie liest Briefe vor, in denen die Schuhputzer von ihren Träumen erzählen. Von außen haben Gäste mit Kreide ihre Wünsche an die Wände geschrieben. Sie klingen gar nicht so anders: Bildung, Gerechtigkeit, Frieden.
Auch die Flüchtlingskrise ist ein Thema
Frieden und Gerechtigkeit stehen auch im nächsten Torraum im Mittelpunkt. Neben dem Schwanenteich steht ein Boot, mit dem 244 Flüchtlinge aus Afrika nach Italien gelangt sind. Auf dem Teich schwimmen geflochtene Boote, einige sind kurz vorm Sinken. Auch sie sollen die Flucht übers Mittelmeer symbolisieren.
Das Konzept stammt von der Fachhochschule Salzburg, an deren Holzhaus ein Spruch steht: „Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich.“ Er könnte kaum passender sein. Denn der Besuch der Weltausstellung braucht Zeit. Dafür, alles abzulaufen. Aber auch für Erklärungen und Fragen.
Die Ausstellung lebt von Gesprächen. Pfarrer Fritz Baltruweit erzählt, dass er oft mit Menschen spricht, die nichts mit der Kirche zu tun haben, aber sich auf die Ausstellung einlassen. Etwa ein Wittenberger, der das Abendgebet erst aus der Ferne beobachtet hat und dann jeden Tag ein Stück näher gekommen ist. „Das“, sagt Baltruweit, „gibt mir unheimlich viel.“ (mz)