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MZ-Serie Teil 3 Johanna Dannenberg in Nicaragua: Leben in einer liebevoller Großfamilie

Von Johanna Dannenberg 29.11.2016, 15:56
Die Gastmutter von Johanna Dannenberg hat mehrere Geschwister, die regelmäßig zu Besuch kommen. Wenn die ihre ganze Familie im Schlepptau haben, wird es eng im Haus.
Die Gastmutter von Johanna Dannenberg hat mehrere Geschwister, die regelmäßig zu Besuch kommen. Wenn die ihre ganze Familie im Schlepptau haben, wird es eng im Haus. Dannenberg

Ocotal - Je länger ich hier im Haus von Dona Maura wohne, desto unsicherer werde ich, was ich unter der Bezeichnung „meine Gastfamilie“ verstehe. Es ist ja nicht nur Ansichtssache, was diese Bezeichnung alles zusammenfasst. Ich habe das Problem, dass ich nicht einmal die Chance haben werde, meine Gastfamilie komplett kennen zu lernen. Das ist mir besonders bewusst geworden, als ich am „Dia de los muertos“ (Tag der Toten) mittags von der Arbeit nach Hause kam

Großfamilie in Ocotal zu Besuch

Ich hatte Mühe einen Platz im Haus zu finden, überall waren Familienangehörige, die das Grab des Vaters meiner Gastmutter besucht hatten. Bevor alle wieder fuhren, machte ich ein Gruppenfoto aller Gäste, um eine Erinnerung an die „Groß-Gastfamilie“ zu haben. Die Mutter meiner Gastmutter Dona Maura blieb anschließend noch einige Tage.

Als sie abgeholt wurde, erlebte ich zu meiner noch größeren Überraschung fast das gleiche noch einmal. Es kamen wieder so viele Gäste zu uns zum Mittag, welche auch alle zur Familie gehören sollten. Da verstand ich dann die Welt nicht mehr.

Meine Gastmama erklärte mir, dass beim letzten Mal nur einer ihrer Brüder mit Kindern und Enkelkindern bei uns gewesen war. Diesmal sei eine ihrer Schwestern mit Anhang gekommen. Insgesamt seien sie wohl acht Geschwister. Daraufhin war mir klar, dass mein Gruppenfoto, auf welches ich so stolz war, weil es nicht so einfach gewesen war, all die Leute zu versammeln, nur einen kleinen Teil des Begriffes zeigt, was ich als „Gastfamilie“ bezeichnen kann.

Komplizierte Verhältnisse in Nicaragua

Der engste Kreis meiner Familie, mit dem ich zusammenwohne, besteht aus meinen Gasteltern Dona Maura und Don Pedro sowie meinen beiden kleinen Gastgeschwistern Joel (8) und Veronica (13). Aber wenn etwas nicaraguanische Familien auszeichnet, dann die Tatsache, dass die Familienverhältnisse sehr kompliziert sind.

Veronica und Joel sind zwar Geschwister, doch Veronica nennt Dona Maura „mamá“, Joel jedoch „abuela“ (Oma). Dona Maura und Don Pedro haben drei Töchter, wovon zwei je ein Kind haben und mit ihren Männern zusammenwohnen. Die dritte Tochter ist die Mutter von Veronica und Joel, die zwischenzeitlich auch mal wieder bei uns gewohnt hat, jedoch dann wieder weg war.

In unserem Haus wohnt dann noch ein 15-jähriger Junge, manchmal auch noch sein großer Bruder, sie sind die Söhne von einem Patenkind Dona Mauras. Die Mutter der Patenkinder ist seit fast zwei Monaten in den USA und kommt vielleicht im April wieder. Ich glaube, weitere Ausführungen sind nicht nötig, um zu zeigen, dass „Familie“ hier ein etwas undurchsichtiger Begriff ist. Ich habe drei Monate gebraucht, um herauszufinden, wer mit wem wie zusammenhängt.

Unser Haus befindet sich im Westen Ocotals im Stadtteil („barrio“) Anexo Laura Sofía Olivas. Die Häuser sind hier alle in „cuadras“ angeordnet, was so viel wie Häuserquadrat bedeutet. Die Straßen verlaufen entweder von Nord nach Süd, oder von West nach Ost, wodurch dazwischen die Quadrate entstehen, welche mit Häusern bebaut sind.

Die Adressen werden hier auch in „cuadras“ angegeben. Meine Adresse ist beispielsweise übersetzt: Wo die Tankstelle mal war, zwei „cuadras“ nach Westen, ½ „cuadra“ nach Norden. Straßennamen und Hausnummern gibt es nicht. Ehrlich gesagt, hat es mich da gewundert, dass der Brief meiner Familie aus Deutschland angekommen ist, weil es ja in Höhe der Hälfte unseres Häuserquadrates nicht nur unser Haus gibt.

Von unserem Haus brauche ich zu Fuß etwa 15 Minuten ins Zentrum, wo auch meine Arbeitsstelle ist. Die Häuser in Nicaragua sind normalerweise einstöckig. Ausnahmen stellen Häuser von einigen reicheren Familien dar. Anfangs habe ich die Häuser eher als Hütten wahrgenommen, weil sie meist klein und sehr schlicht sind. Ein Gemäuer mit Dach und einigen Einrichtungsgegenständen, die man braucht zum Leben, viel mehr ist es nicht.

Straßen in Ocotal nur teilweise gepflastert

Wer es sich leisten kann, hat einen befestigten Fußboden. Die viel befahrenen Straßen sind meist gepflastert. Unsere ist eher ein Sandweg, über den meist ein Rinnsal mit Abwaschwasser läuft. Typisch für die Viertel hier sind die vielen Stromleitungen, die an den Straßen langgehen und sich an manchen Stellen zu verknoten scheinen. Aber auch die vielen frei herumlaufenden Straßenhunde prägen das alltägliche Bild.

Unser Haus hat einen gefliesten Boden, trotzdem lebe ich gefühlt immer auf etwas sandigem Boden. Dadurch, dass meine „Fenster“ im Zimmer nur zwei Löcher in der Wand mit Stahlgittern sind, gibt es immer viel Staub. Leider ist es aber kompliziert unseren Wischer so sauber zu machen, dass er auf dem Boden keine Matschspuren hinterlässt. Deswegen kehre ich ab und zu, habe mich aber damit abgefunden, dass der Boden aus deutscher Sicht einfach nie richtig „sauber“ sein kann.

Nicht immer fließendes Wasser in Ocotal

Das Wort sauber hat hier sowieso eine ganz andere Bedeutung. Im Haus gibt es einen sehr breiten Flur, was sehr untypisch ist, da in den meisten Häusern alles, was es an Platz gibt, ausgenutzt wird. Vom Flur gehen vier Zimmer ab, wozu das der Kinder, das meiner Gasteltern, das des 15-jährigen Jungen und mein Zimmer gehören.

Weiterhin gibt es eine Waschecke, wo hinter Vorhängen eine Dusche und eine Toilette sind, dann gibt es noch den Waschtisch und wir haben das große Privileg, eine Waschmaschine zu besitzen. Meine Sachen kommen nur leider manchmal schmutziger aus der Wäsche, als ich sie abgegeben habe.

Der kleine Küchentrakt schließt sich noch einmal extra an das Haus an, mit direktem Zugang zu dem kleinen Garten daneben. Der „Garten“ ist Hunde- und Hühnerauslauf, Werkstatt, Lagerstätte und Anbaufläche für einige Gemüsesorten gleichzeitig.

In Nicaragua ist es normal, dass es nur an einigen Tagen in der Woche fließendes Wasser gibt. Dafür haben viele einen großen Tank am Haus angeschlossen, wo Wasser gespeichert wird. Doch manchmal ist der Tank auf einmal doch leer, oder das Wasser wurde abgestellt und kommt auch an den Tagen, wo es normalerweise kommen soll, nicht. Das geschieht sehr gerne, wenn es draußen viel regnet.

Im vergangenen Monat hatten wir jede Woche entweder einmal Stromausfall, oder es gab kein Wasser an einigen Tagen. Einmal hatten wir sogar von Donnerstag bis zur folgenden Woche Dienstag kein Wasser. Man kann sich ja dann denken, wie das mit der Toilettenspülung funktioniert.

Gemein finde ich es, wenn wir Stromausfall und gleichzeitig kein fließendes Wasser haben. Im fahlen Kerzenschein ist das Waschen mit einer Schüssel besonders spannend. Ich habe es auch schon öfter erlebt, dass in allen Straßen wie immer ganz normal die Straßenlaternen leuchteten, nur als ich in meine Straße einbog, war es auf einmal dunkel.

Zuhause ist bei uns also immer etwas los, egal ob der Alltag dank Stromausfall und fehlendem Wasser abenteuerlich wird, oder jede Menge Besuch da ist. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir keinen Besuch haben. Mir gefällt das sehr gut, da ich so immer viele nette Gesprächspartner habe. Wenn ich das Kartenspiel „Uno“ hole, bin ich im nächsten Moment von einer begeisterten Schar Kinder umzingelt.

Ich habe hier eine ganz tolle Gastfamilie, in der ich mich sehr wohl fühle und welche mir jeden Tag das Gefühl gibt, dass ich zu ihr gehöre und schon jetzt ein Teil von ihr bin. (mz)