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Hochwasser 2002 Hochwasser 2002: Die Flut in Wittenberg war «wie ein böser Traum»

Von Ute Otto 14.08.2012, 17:37

Wittenberg/MZ. - "Ich bin damals ins kalte Wasser geschmissen worden", erzählt Deddo Lehmann. Als ihn Landrat Hartmut Dammer am 15. August 2002 in den Katastrophenstab holte, war er gerade sieben Monate in der Kreisverwaltung Wittenberg und bis dato noch nicht in den Katastrophenschutz eingebunden. Um 12.20 Uhr war am Mittwoch vor genau zehn Jahren Katastrophenalarm ausgerufen worden. Der Elbepegel hatte die Sechs-Meter-Marke schnell überschritten, die Lage änderte sich binnen Minuten, Ereignisse überschlugen sich, Informationen darüber widersprachen sich. "Man konnte nur reagieren, nicht agieren", so Lehmann.

Entscheidung am Tisch

Die Katastrophe sei nicht beherrschbar gewesen, und auch nicht so vorherzusehen, "weil sich niemand in den finstersten Träumen ausgemalt hätte, dass so etwas kommt". Lehmann macht das an einem Beispiel fest: Die erste Bestellung belief sich auf 50 000 Sandsäcke. Am Ende hatte der Kreis 1,8 Millionen davon auf der Rechnung.

Katastrophenstab ist weitgehend Innendienst. Anhand der Lagemeldungen muss man schnelle Entscheidungen treffen. Im Zwölfstundentakt haben sie sich abgelöst, Dammer und er. "Wir waren ein gutes Team." Dammer habe den Stab immer in großer Besonnenheit geführt. Soweit das möglich ist, wenn die Kommunikation nicht funktioniert, auch weil Handy und Stromnetze versagen; wenn Zuständigkeiten zwischen Regierungspräsidium und Landkreis nicht eindeutig geregelt sind. Dinge, von denen Lehmann sich sicher ist, dass sie heute viel besser laufen würden. Das habe sich schon im Winter 2003 und 2005 gezeigt, als sich das Hochwasser erneut einer kritischen Marke näherte.

Ständig unter Strom

Immer "auf Adrenalin" sei für ihn, so Lehmann, nach "Feierabend" an Schlaf nicht gleich zu denken gewesen. Meist sei er nochmal rausgefahren an die Brennpunkte. Einmal hatte ihn der Landrat nach Dabrun geschickt, weil Gerüchte die Runde machten, dass der Deich dort geöffnet werden soll. "Ich musste da durch ein Spalier völlig aufgebrachter Menschen. Die Stimmung war fürchterlich", so Lehmann. Die persönlichen Angriffe habe er niemandem nachgetragen. "Wenn man gesehen hat, wie die Leute gekämpft haben, wie sie im Matsch standen, physisch und psychisch völlig erschöpft - das war wie ein böser Traum."

Als Dammer am 28. August den Katastrophenfall aufgehoben hatte, war das vielen zu früh. Lehmann weiß aber, dass der Landrat das so lange wie möglich herausgezögert hatte, um die Kommunen von Kosten zu entlasten. Um die Soforthilfe aus öffentlichem Geld in die richtigen Bahnen zu lenken, wurde am 5. September der Flutopferstab "aus dem Nichts gestampft". In der Kreisverwaltung Beeskow bei den Betroffenen der Oderflut fünf Jahre zuvor hatten sich Wittenberger beraten lassen. Als Lehmann damals hörte, dass es den Stab dort noch gab, sei ihm noch einmal klar geworden, dass die Elbeflut lange nachwirken würde. Er hält den Flutopferstab bis heute hoch. "Das war schon was Besonderes. Es hat sich ein unwahrscheinlich gutes Team entwickelt. Jeder wusste, worum es geht." Mancher, der zu nahe dran war am Leid der Betroffenen, habe bis zur Erschöpfung gearbeitet. Auf die Idee, den Mitarbeitern psychologischen Beistand anzubieten, sei auch er damals nicht gekommen, gesteht Lehmann. "Man hätte auch das ins Kalkül ziehen müssen." Die Katastrophe habe auch ihn geprägt. "Ich habe meine eigenen Kapazitäten und Grenzen kennen gelernt, aber auch die vieler Mitarbeiter." Er habe gelernt, Distanz zu wahren, nicht alles persönlich zu nehmen. Vorwürfe und Schuldzuweisungen jener Zeit schreibt er dem Umstand zu, dass die Nerven blank lagen bei den Menschen. "Die haben schließlich ihr Leben davonschwimmen sehen."