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Lost Place in Braunsdorf Haus mit Turm zu haben

In Braunsdorf steht ein leerstehendes Gebäude zum Verkauf. Einst gehörte es einem Martin Dorn, Erben unbekannt. Was der Bau mal werden sollte und was er nach dem Krieg stattdessen wurde.

Von Irina Steinmann 12.07.2021, 09:11
Kein Märchenschloss, ein Problemfall. Dieses Objekt in Braunsdorf steht derzeit zum Verkauf.
Kein Märchenschloss, ein Problemfall. Dieses Objekt in Braunsdorf steht derzeit zum Verkauf. (Foto: Thomas Klitzsch)

Braunsdorf - Dem flüchtigen Betrachter könnte die Fantasie durchgehen. Was ist das, ein Schlösschen? Ein Kirchbau? In Wahrheit ist es, ungewöhnlich genug, ein Wohnhaus mit Turm. Die Immobilie in zentraler Lage von Braunsdorf hat freilich schon bessere Tage gesehen und selbst das ist eine leichte Untertreibung: Wäre dies Kern-Wittenberg, würde man von einem „städtebaulichen Missstand“ sprechen, sagt Reinsdorfs Ortsbürgermeister Reinhard Rauschning (SPD) und man vermeint sein Grinsen bei der Nutzung dieses bürokratischen Begriffs förmlich zu sehen am Telefon. Schlicht „Ruine“ nennt Nachbar Hans-Georg Fahl das Objekt, mit dem er früher mehrfach zu tun hatte.

Sieben Wohnungen

Der städtebauliche Missstand/die Ruine steht derzeit zum Verkauf. Die Interessenten scheinen nicht gerade Schlange zu stehen - zum zweiten Mal binnen weniger Monate findet sich das Angebot an prominenter Stelle auf der Homepage der Kreisverwaltung. Es handelt sich um den Nachlass eines Martin Dorn, Erben unbekannt. Dorn selbst muss schon lange unter der Erde ruhen, Rauschning nennt als Geburtsdatum eine Jahreszahl vor der Gründung des Deutschen Reiches. Als Rauschning selbst geboren wurde, 1953, da wurde das merkwürdige Haus mit Turm, heute Schmilkendorfer Straße 1 a, gerade einer neuen Bestimmung zugeführt, wie sich der 80-jährige Fahl erinnert: Es kamen Wohnungen hinein, sieben Stück, ein neues Zuhause „zum Teil für Umsiedler“, also jene, die kriegsbedingt ihre alte Heimat verlassen mussten, vertrieben wurden.

Schlichtwohnungen waren das, sagt Ortsbürgermeister Rauschning, und mit Ofenheizung sowieso. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends seien die letzten Bewohner ausgezogen, seither steht das Haus mit Turm, in dessen Erdgeschoss sich früher auch mal das Gemeindebüro befand, leer und lockt allenfalls unternehmungslustige Kinder und Jugendliche an. Der offizielle Spielplatz befindet sich direkt nebenan. Rauschning macht keinen Hehl daraus, dass er froh wäre, wenn der städtebauliche Missstand aus Braunsdorf verschwindet.

Ein Abriss wäre wohl das Beste, sagt er, denn das Haus gilt als „verbaut“, was zuletzt auf dem Höhepunkt der neuzeitlichen Flüchtlingswelle 2015/2016 amtlich bestätigt worden war: Damals, erinnert sich Rauschning, gab es Überlegungen, das Objekt als Zuhause für Asylbewerber herzurichten - was sich in Anbetracht des horrenden Investitionsbedarfs dann aber rasch als nicht realisierbar herausgestellt hatte. Wollte ein neuer Eigentümer das Gebäude erhalten, so müsste dieses wohl komplett entkernt werden, vermutet der Ortsbürgermeister. Die Wohnungen seien so geschnitten, dass man von einem Zimmer direkt ins nächste gelangt, es gibt also keinen Flur.

Der verbaute und hoch investitionsbedürftige Zustand des Objekts, das gegenwärtig für 60.000 Euro zum Verkauf steht, führt geradewegs in dessen interessante Historie vor der Nutzung als Wohnhaus nach dem Krieg. Eigentlich hatte es nämlich eine Feuerwehr werden sollen. Und das hat mit der Wasag zu tun, der nicht weit entfernten Sprengstofffabrik. In den 1930er Jahren wurden die umliegenden Dörfer für den Fall der Fälle mit Feuerwehren aufgerüstet, berichtet Rauschning, und so wurde auch für das damals als Gemeinde noch selbstständige Braunsdorf ein Feuerwehrhaus gebaut. Allerdings wurde es kriegsbedingt nicht zu Ende gebaut, berichten Rauschning und Fahl.

Sirene auf dem Dach

Was freilich stand, war der Turm. Und der, erzählen die beiden Feuerwehrleute, wurde von der örtlichen Wehr auch nach der Wende in den 90ern weiter genutzt, zur Schlauchtrocknung. Fahl war über ein halbes Jahrhundert bei der Feuerwehr, Rauschning von 1983 bis 2010 deren stellvertretender Leiter, und das erklärt ein bisschen die leichte Bitternis, mit der sie im Rückblick vom Aus für den Schlauchturm sprechen und dem Abschalten der Sirene auf dem Dach. „Leider“ habe Reinsdorf seither gar keine Sirene mehr, so Rauschning. „Die Wiwog hat uns rausgeschmissen“, sagt Fahl. Lange her.

Insofern ist es auch ein Stück Feuerwehrgeschichte, die da nun in Braunsdorf zum Verkauf steht. (mz)