Gespräch in Wittenberg Gespräch in Wittenberg: Das Trauma bleibt

Wittenberg - Wer solche Erlebnisse wie Sayed aus Afghanistan hinter sich hat, dem sind die Härten einer Flucht für immer in die Seele eingemeißelt. 18 Monate Odyssee von Afghanistan hatte er hinter sich, als er 2011 im „gelobten Deutschland“ ankam. Doch die Illusionen wichen rasch der Realität. Es folgten zwei Jahre im Möhlauer Heim - zum „Nichtstun verurteilt“, ohne die Chance, diesen Ort verlassen zu können und Kontakte zu knüpfen. Dann keimte Hoffnung. Endlich kam die Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr in Deutschland. Doch ein neues Problem folgte. Sayed wurde von heute auf morgen obdachlos. Als „die erste große elementare Herausforderung“ beschreibt Doreen Hummel vom Jugendmigrationsdienst der Arbeiterwohlfahrt, die sich fortan dem Schicksal von Sayed annimmt, diese Situation.
Große Resonanz
In ihrem Vortrag in der Salus-Tagesklinik Wittenberg schildert sie am Mittwochabend den Alltag mit minderjährigen Flüchtlingen, die von der Flucht traumatisiert ihren Weg ins normale Leben wieder finden müssen. Joachim Perlberg, ärztlicher Leiter der Salus-Klinik, moderiert diesen Gesprächsabend „Kinder auf der Flucht“, die auf eine große Resonanz stößt.
Sayed ist nun bereits 20 Jahre alt und hat die ersten Integrationshürden bewältigt. Gestartet ohne Sprachkenntnisse, nur drei Jahre Grundschule in Afghanistan, dann Sprach- und Alphabetisierungskurs in Deutschland, hat er nun seit 1. Juli 2015 eine feste Anstellung. „Learning by doing“ lautete ein Motto und dies war richtig. Das Glück blitzt aus seinen Augen. Einsamkeit, Zukunftsangst, körperliche Beschwerden – all das hat ihn jahrelang begleitet. Nun hat sich das Bild gewandelt. Seitdem er einen Job hat und Sport treibt (Schwimmen und Fußball), sind die Beschwerden fast vergessen.
Sensibler Umgang gefragt
Nicht allen gelang dies auf ähnliche Weise. Zu unterschiedlich sind die Biografien, zu unterschiedlich die Fluchterlebnisse. Dustin Herzka vom Fachdienst Jugend und Schule beim Landkreis weiß von seinen Erfahrungen zu berichten. „Ein sensibler Umgang mit den Flüchtlingen ist für uns ein ungeschriebenes Gesetz. Wir bedrängen die Jugendlichen nicht mit Fragen: wie war beispielsweise die Flucht. Da würde alles wieder hoch kommen. Sie müssen sich selbst öffnen“, erklärt Herzka. Das Trauma ist allgegenwärtig. „Sie können nur bei Licht und geöffneten Türen schlafen.“ – berichtet Herzka. Von Albträumen ist oft die Rede. Sie alle haben noch immer die geschlossenen Container der Schlepper vor Augen oder die manövrierunfähigen Schlauchboote.
Schulbesuch ist gewünscht
„Wann geht es endlich los mit Schule?“ – laute eine der ersten Fragen bei den Neuankömmlingen. „Ja, der Wunsch nach einem Schulbesuch war und ist groß. Bildung wird bei allen ethnischen Gruppen, ob Syrer, Afghanen oder Marokkanern gewünscht“, beschreibt Herzka das Anliegen der Flüchtlinge, die genau wissen, dass nur dies der „Schlüssel“ für eine Integration bedeutet. Die Erfahrungen zeigen inzwischen: Das Bildungsniveau der Syrer ist weitaus höher als das der Afghanen, was immer wieder bei Deutschkursen deutlich wird.
Doch warum fliehen gerade die Kinder? Die Eltern haben es bis zum Iran oder die Türkei geschafft. „Als Vorhut für eine Familienzusammenführung sollen die minderjährigen Jugendlichen nach Europa geschickt werden“, lautet die einleuchtende Schlussfolgerung. Schließlich ist Familienzusammenführung oberstes Gut. „Doch damit verbunden ist der meist fehlende Identitätsnachweis, was für uns immer wieder einen bürokratischen Albtraum darstellt“, schildert Herzka die Situation. (mz)