Geburts- und Sterbeort Eisleben Geburts- und Sterbeort Eisleben: Wo Martin Luther zu Hause war

Eisleben/MZ - Hier gibt es eine besondere Aura. Eisleben, Lutherstadt wie Wittenberg, hat von jeher eine feste Beziehung zu diesem großen Deutschen. Und die wiederum liegt in der lebenslangen Nähe des Reformators zu seinem Geburtsort begründet, der auch sein Sterbeort werden sollte. Eigentlich ein Grund für Mystifikationen, zu denen freilich die Mansfelder Bergleute heute noch weniger neigen als die Protestanten. Deren Kirche ist aus Martin Luthers Rebellion wider den päpstlich abgesegneten, profitablen Handel mit Ablassbriefen hervorgegangen, kraft derer sich ein Schuldbeladener angeblich von seinen Sünden freikaufen konnte.
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Wo also ist Luthers Heimat? In Wittenberg, wo er die längste Zeit seines Lebens gewohnt und eine Arbeit getan hat, die nicht nur die Kirche, sondern die Welt verändern sollte? Oder in Eisleben, wo er geboren wurde, und in Mansfeld, wo er aufgewachsen ist? „Seine Heimat ist das Mansfelder Land, in einem tiefen Sinne“, ist Stefan Rhein, der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt, überzeugt.
Der tiefe Sinn ist einfach zu erklären: Er liegt in der Verbundenheit Luthers zur Landschaft und den Menschen hier, die bis in die jüngere Vergangenheit vom Bergbau geprägt worden sind. So, wie Luther von seinem Herkommen aus dieser Region geprägt wurde.
Reformationspflege von unten
Im Mansfelder Land, sagt Rhein, werde Luther deshalb vielleicht weniger als der große Reformator, dafür vor allem auch als Teil der Bergbaugeschichte begriffen und geehrt. Was naheliegt, schließlich kommt Luther aus einer Bergmannsfamilie. Oder, genauer gesagt, aus einer Bergbau-Unternehmerfamilie. Der Vater war ins Mansfeldische gekommen, um sich und seiner Familie hier, in einer damals boomenden Region, eine Existenz aufzubauen. Mit Erfolg.
Diesen Umstand hat Luther selber nicht so deutlich herausgestellt - wohl deshalb, weil er seinen eigenen sozialen Aufstieg gern dramatisiert hat, wie Stefan Rhein es beschreibt. Will heißen: Wenn einer es als Sohn armer oder jedenfalls einfacher Leute zum Doktor der Theologie und gar zum Professor gebracht hat, wirkt das natürlich noch eindrucksvoller als die Karriere eines Mannes aus quasi gutbürgerlichen Verhältnissen.
Diese Legendenbildung gehört zu den Schwächen, an denen es Luther nicht gefehlt hat. Die meisten Menschen befinden sich in ähnlicher Lage, allein: Dem Berühmten kreidet man es gerne an. Dabei ist Luthers Stolz auf seinen Aufstieg, der zugleich von Selbstzweifeln und auch Teufels-Ängsten umstellt war, doch nur zu verständlich.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der 500. Jahrestag ist kein Stadtfest, sondern Weltereignis
Die Mansfelder, so scheint es, haben das auf ihre pragmatisch-herzhafte Art immer besser verstanden als andere. Er ist halt einer von ihnen, der Luther. Das heißt auch, „in Eisleben findet die Reformationspflege von unten statt, in Wittenberg von oben“, sagt Stefan Rhein: „In Wittenberg kam der Kaiser.“
Nach Eisleben wollte der Kaiser nicht, wegen der aufmüpfigen Arbeiterschaft. Keinen Fuß wolle er auf den Boden dieser Stadt setzen, soll er gesagt haben. Und doch ist Wilhelm II. dort gewesen, im Jahr 1900 waren 700 Jahre Bergbau zu feiern. Bei solchen Anlässen müssen auch Kaiser und Bundespräsidenten ran. „Wilhelm zwo“ hat es geschickt gelöst, erzählt Stefan Rhein: Bis Helfta fuhr er mit der Bahn, von dort ging es zu Pferde nach Eisleben. Aus dem Sattel sind Majestät dort indes nicht gestiegen, den Boden haben seine Füße also nicht berührt.
500. Jahrestag des Thesenanschlags
Diese Anekdote hat durchaus etwas Verbindendes zum Umgang mit Luther in seinem Revier: Man muss sich die Achtung der Leute verdienen. Wer sie aber hat, der wird eben auch geehrt. Fast jeder, den man in Eisleben nach dem Weg zum Geburts- oder zum Sterbehaus des Reformators fragt, wird ihn korrekt beschreiben. Das ist schon eine Geste des Respekts für sich.
„Die ganze Stadt ist Teil der Lutherpflege“, sagt Stefan Rhein, dessen Dienstsitz in Wittenberg liegt, der aber so oft in Eisleben und Mansfeld unterwegs ist, dass ihm kein Mensch eine Geringschätzung von Luthers Herkunftsland unterstellen könnte.
Überhaupt gehen sich Wittenberg und Eisleben auf das Freundlichste aus dem Weg, was ihren Luther angeht. Gerauft wird nicht, weshalb auch: Der Reformator ist groß genug, und beide Orte haben ihren Vorteil von der Aufmerksamkeit, die der Mann nun im Sog des herannahenden Jubiläums zunehmend gewinnt.
Wenn 2017 der 500. Jahrestag des Thesenanschlags an die Tür der Wittenberger Schlosskirche gefeiert wird, ist dies schließlich kein Stadtfest, sondern ein Weltereignis. Eines, bei dem man natürlich den ganzen Luther in den Blick nehmen muss.
Hier sind die Eisleber gut dabei, über Jahrhunderte schon haben sie ihren Sohn gebührend gefeiert. Wenn jährlich am letzten Sonntag im August der traditionelle Luther-Spaziergang durch Eisleben stattfindet, sind mittlerweile bis zu 500 Menschen auf den Beinen. „Eine solche Veranstaltung ist einmalig“, schwärmt Stefan Rhein. Einmalig ist freilich auch, was die von ihm geführte Stiftung in den zurückliegenden Jahren hier auf die Beine gestellt hat, in gleich zwei großzügig und modern gestalteten Museen.
Und bald, am 14. Juni, kommt mit Luthers Elternhaus in Mansfeld das überfällige dritte hinzu. Denn dort ist der Knabe zum Jugendlichen herangewachsen und hat die Prägungen erfahren, die sein Denken und Tun ebenso bestimmt haben wie die spirituellen Erfahrungen, die er später als Student, Ordensbruder und Theologe gemacht hat.
Große Verehrung für den Reformator
Wie stark Luthers Bindung an seine Heimat im Mansfeldischen war, beschreibt allein schon ein Ausspruch Luthers, den Stefan Rhein vergnügt zitiert: In Wittenberg sei der Wein verpanscht, in Eisleben hingegen sei er rein. Überhöht oder nicht, es mag durchaus so gewesen sein. Denn auf Essen und Trinken ließ der Reformator nichts kommen, es schmeckte ihm, was ihm wohl auch anzusehen war - und worin schließlich ein Teil seiner körperlichen Leiden seine Ursache gehabt haben wird.
Auch hatte Luther aus seiner Erfahrung mit dem Land, von dem er kam, Verständnis für das Leben der hart arbeitenden Menschen dort - bis hin zu den verzweifelten Saufereien, in denen sie ein Fluchttürchen aus dem harten Alltag erkannt haben mochten.
Entsprechend groß ist die Verehrung für Luther in Eisleben schon früh gewesen, erzählt Stefan Rhein. In dem Haus, in dem der Reformator am 10. November 1483 geboren worden ist, ist bereits Ende des 17. Jahrhunderts ein öffentliches Museum errichtet worden.
Nach dem Stadtbrand von 1689 bekam das Haus seine heutige Gestalt, ist inzwischen allerdings umfassend saniert und erweitert worden, wofür es Anerkennung und Preise förmlich gehagelt hat.
Dies alles, auch der Ausbau des Sterbehauses, das genau genommen nicht das Sterbehaus ist, gewinnt seinen Charme indessen aus dem Stolz, den die Bürger für ihren Martin empfinden. Früher, im 17. Jahrhundert, ist die Verehrung für ihn so groß gewesen, dass sie auch seltsame Formen annahm.
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So seien damals immer wieder Holzspäne vom Sterbebett Luthers gebrochen worden, die als Heilmittel gegen Zahnschmerzen dienen sollten, erzählt Stefan Rhein. Das ging so lange gut, bis hallesche Theologen 1707 das Bett in heiligem Zorn verbrannten, um dem Aberglauben ein Ende zu setzen.
Die Geschichte des Sterbehauses ist ohnehin ein Fall für sich - wie es schon das Sterben Luthers ausgerechnet in seiner Geburtsstadt gewesen ist. Hingereist war er im Jahr 1546 trotz angegriffener Gesundheit ja nicht in Erwartung des Todes, sondern, um einen Streit zwischen den Mansfelder Grafen zu schlichten. Auch das gehörte zum Job des vielbeschäftigten Reformators und unterstreicht, welch hohe Autorität er auch in weltlichen Dingen genoss.
Das heikle Unternehmen glückte, Luther hat es in die wunderbare Metapher gefasst, das stachligste aller Stachelschweine sei erlegt. Und, was ebenso wunderbar ist: Im Museum, das als Luthers Sterbehaus angesehen und besucht wird, hat man bei der Neukonzeption der Ausstellung eben dieses kraftvolle Bild beim Wort genommen und ein prächtiges, ausgestopftes Stachelschwein in eine Vitrine gestellt.
Nirgendwo ist Luther gegenwärtiger
Dass man nach seinem Tode den Luther wieder hergeben musste, hat die Mansfelder geschmerzt. Aber die Grafen mussten sich der Order des Kurfürsten beugen, so begleiteten sie den Leichnam immerhin auf seinem Weg nach Wittenberg. Das Sterbehaus wenigstens konnte den Eislebern ja keiner nehmen - nur hat es die fehlerhafte Interpretation einer Chronik vom Markt aus ein paar Schritte zu weit nach oben, an den Andreaskirchplatz, versetzt. Dort, wo heute das Hotel „Graf von Mansfeld“ ansässig ist (und früher die SED-Leitung des Mansfeld-Kombinates residierte) ist Luther wirklich gestorben.
Das Museum aber, das an seine letzte Reise erinnert, ist großartig. Mit teils unkonventionellen Mitteln wird hier die Tür zur Welt Luthers aufgestoßen - auch dank provozierender Fragen an unsere Zeit. Wer etwa nach der Verdammnis fragt, wird ein Hamsterrad entdecken. Mag sein, dass strengen Protestanten das Quäntchen Humor fehlt, um dies zu mögen. Dem Erinnern an Luthers und unsere Sterblichkeit tut es jedenfalls keinen Abbruch. Und überhaupt: Nirgendwo, so scheint es, ist Luther gegenwärtiger als hier. Im Mansfelder Land.


