Evangelischer Kirchentag Evangelischer Kirchentag : Von der Hitze und den Herzen in Wittenberg

Wittenberg - Wenn es des Beweises denn noch bedurft hätte: Die Christen können auf ihren Gott vertrauen. Beinahe schon zu prachtvolles Wetter hat es am Sonntag zum Finale des Evangelischen Kirchentages in Berlin und Wittenberg gegeben, die Sonne brannte bereits am Morgen heiß vom blauen Himmel. Schon von weitem waren Bläserklänge zu hören, während sich die anschwellende Menge in Richtung der Festwiese an der Elbe bewegte.
Unter dem Motto „Von Angesicht zu Angesicht“ fand am Sonntag auf den Elbwiesen bei Wittenberg der Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentages statt. Er hatte am Mittwoch in Berlin begonnen und war von den Kirchentagen auf dem Weg in der mitteldeutschen Region, darunter in Halle, Eisleben und Dessau-Roßlau, begleitet worden.
Den Veranstaltern zufolge wurden zum Wittenberger Gottesdienst am Sonntagmittag 120.000 Besucher gezählt, 6.000 Blechbläser aus ganz Deutschland waren aufgeboten worden.
Das weiße Kreuz mitten auf der 40 Hektar großen Festwiese maß 18 Meter in der Höhe, die Bühne hatte einen Durchmesser von 30 Metern.
20.000 Lunchboxen für jeweils zwei Personen wurden ausgegeben, 320.000 Flaschen Mineralwasser standen zur Linderung der großen Hitze zur Verfügung. (mz)
Wie nicht anders zu erwarten bei einem großen Christentreffen - die Freundlichkeit bestimmt den Ton, man grüßt einander herzlich, auch die Polizisten, Sanitäter, Bundeswehrsoldaten und Security-Mitarbeiter. Mancher von ihnen mag sich vielleicht im Stillen darüber gewundert haben, aber solch ein Kirchentagsgottesdienst ist bei aller äußeren Ähnlichkeit eben doch kein Fußballspiel oder Popkonzert.
Evangelischer Kirchentag in Wittenberg: Spiritueller Auftakt am Abend
Schon am Samstagabend, als weit mehr als 10.000 überwiegend junge Menschen zur Nacht der Lichter gepilgert waren, ist die Stimmung großartig gewesen - vielleicht, mit einsetzender Nacht und bei spirituellem Gesang der Brüder von Taizé, noch beseelter als der Abschlussgottesdienst am glutheißen Sonntagmittag.
Nicht alle, aber viele der Gäste haben die Nacht der Lichter bis zum Morgen verlängert. Dieser Teil des Programms war besonders anrührend, während der Abschlussgottesdienst natürlich vorhersehbarer ausgefallen ist. Mit einem wesentlichen Unterschied aus traurigem, aktuellem Anlass allerdings: So viel Sicherheitsaufwand hat es nie bei einem Evangelischen Kirchentag gegeben, um der Terrorgefahr zu begegnen.
Den Verantwortlichen, die auf den verschiedenen Ebenen von Stadt, Land und Bund offensichtlich hervorragend zusammengearbeitet haben, gebührt große Anerkennung dafür. Andererseits bringt die Verwandlung eines Kirchentagsgeländes in einen Hochsicherheitstrakt eben auch irritierende Momente mit sich. Das ist nicht den Beamten geschuldet, die ihren Dienst im Interesse der Besucher versahen, sondern einer Gefahr, die man nicht greifen, nicht vorhersehen kann - und die gerade deshalb so perfide ist.
Evangelischer Kirchentag in Wittenberg: Taschen werden kontrolliert
Es fängt schon am Morgen (und auch am Abend des Samstag war es so) mit Taschenkontrollen an, immer wieder schieben sich Polizeifahrzeuge an der Schlange der Kirchentagsbesucher vorbei in Richtung Festgelände. Hubschrauber kreisen, eine Reiterstaffel ist unterwegs, Hunde werden in Käfigwagen herangebracht und sind bei der Hitze ebenso wenig zu beneiden wie die Beamten, die in schwarzen, schusssicheren Westen patrouillieren.
Gleichwohl fällt das größtmögliche Bemühen auf, alles in Ruhe abzuwickeln, immer wieder bittet das Moderatoren-Duo auf der Bühne die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, aufeinander zu achten - der Hitze wie der Sicherheit wegen. Hinzu kommt eine demonstrative Fröhlichkeit, die den Eindruck einer Pop-Veranstaltung wiederum stärkt.
Julian Sengelmann aus Hamburg packt gegen halb zwölf, 30 Minuten vor Beginn des Gottesdienstes, seine Gitarre aus und singt das Lied „Ich bring dich nach Haus“. Beifall wird eingefordert und auch gespendet, die Gemeinde reckt anschließend folgsam die Arme nach oben dabei.
Und, wenn auch weit hinten auf dem Festgelände, hat der Automobilkonzern Volkswagen, einer der Hauptsponsoren, Stände aufgebaut. Ein Auto kann man wohl zwar nicht kaufen, Werbeerzeugnisse gibt es allerdings schon.
Aber das weiße Kreuz mitten auf der Wiese, stolze 18 Meter hoch, überragt zum Glück doch alles, und dann beginnt endlich auch der Gottesdienst, während noch immer breite Ströme von Menschen auf das Festgelände kommen. Überfüllt ist es längst nicht, die offiziell auf 120.000 bezifferten Besucher hätten noch einmal auf der Wiese Platz.
Evangelischer Kirchentag in Wittenberg: „Ein feste Burg ist unser Gott“
Die Stimmung ist gut, auch wenn nicht nur die Älteren nach Schatten suchen, den es aber nicht gibt. Wasser dafür zur Genüge, das ebenfalls gesponsert worden ist, und breite, von freundlichen Ordnern aufmerksam frei gehaltene Flucht- und Rettungswege. Alles passt - wenn dann das Spirituelle noch stimmt.
So kommt es dann auch. Glockengeläut, das von tausenden Blechbläsern aufgenommen wird, deren Instrumente wie goldene Lichtpunkte in der Sonne aufscheinen. Und Streicher sind auch dabei. „Ein feste Burg ist unser Gott“ wird gespielt, sehr innig. Der Erlös der gesammelten Kollekte, in jedem Gottesdienst Brauch, ist Helfern bestimmt, die Flüchtlinge aus Seenot im Mittelmeer retten.
Evangelischer Kirchentag in Wittenberg: Mitreißende Predigt von Erzbischof Thabo Makgoba
Und dann spricht Erzbischof Thabo Makgoba, Primas der Anglikanischen Kirche in Südafrika. Er ist es, der die Gemeinde dann wirklich mitreißt, so träge die Hitze einen auch gemacht haben mag. Er nimmt Martin Luther Kings berühmtes „I have a Dream“ auf, jene Rede, die der schwarze amerikanische Bürgerrechtler und Prediger 1963 in Washington hielt: Makgoba träumt den Traum von einer gerechteren Welt weiter, er sieht ihn als direkte Fortsetzung der Reformation. „Sie ist unser GPS für die nächsten 500 Jahre“ sagt er.
Der Bischof erinnert an die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und jene der Apartheid in Südafrika, er prangert heutige Ungerechtigkeit und Ungleichheit an, namentlich in Afrika. Und er gibt den jungen Besuchern einen Auftrag: „Seid radikal im Verschenken eurer Liebe“, fordert er. Jeder solle wenigstens eine Sache tun, so groß die Aufgabe insgesamt erscheint.
Dann wird das Abendmahl gespendet - was Christen auch am hellen Tage tun. Dabei sind sie ganz von dieser Welt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bescheinigt ihnen in seinem Grußwort, mit ihrem Engagement einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Und er ruft zur Gemeinsamkeit von Protestanten und Katholiken auf. Die war auf diesem Evangelischen Kirchentag ständig sichtbar präsent, viele Katholiken haben mitgetan. Auch dies ein gutes Zeichen. (mz)


