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Ende des Zweiten Weltkriegs Ende des Zweiten Weltkriegs: Zeichen setzen in Wittenberg und Prettin

Von corinna nitz 03.05.2015, 18:57
Sowjetischer Ehrenfriedhof in Wittenberg: Am 8. Mai gibt es dort eine Mahn- und Gedenkveranstaltung anlässlich des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren.
Sowjetischer Ehrenfriedhof in Wittenberg: Am 8. Mai gibt es dort eine Mahn- und Gedenkveranstaltung anlässlich des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren. alexander baumbach Lizenz

wittenberg/MZ - 1940 geriet der französische Komponist und Organist Olivier Messiaen in deutsche Kriegsgefangenschaft. Neun Monate war er mit anderen Musikern im Stammlager VIII A der Wehrmacht im Görlitzer Stadtteil Moys inhaftiert. Lagerkommandant Franzpeter Goebels, der selbst Pianist war, schmuggelte Notenpapier zu Messiaen - dieser komponierte in Görlitz „Das Quartett auf das Ende der Zeit“. Die Uraufführung fand im Waschraum (!) des Lagers statt.

Blick auf „aktuelle Diskussionen zum Gedenken“

Jetzt wird das Werk in Wittenberg gespielt: Anlässlich des Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren und der Befreiung vom Nationalsozialismus bringt ein vierköpfiges Ensemble Messiaens Quartett am 8. Mai um 18 Uhr in der Stadtkirche zu Gehör. Am Donnerstag informierte Kantorin Heike Mross-Lamberti darüber, als Wittenbergs Oberbürgermeister Eckhard Naumann (SPD) seine wöchentliche Pressekonferenz nutzte, allen beteiligten Akteuren Raum zu bieten. Jedenfalls gebe er „nur das Dach“, das Gedenken nämlich „ist von unten vielfältig gewachsen“. Offenbar mit Blick auf „aktuelle Diskussionen zum Gedenken“ sprach Naumann von einem „bemerkenswerten Zeichen politischer Sensibilität“. Es werde keine „Siegerpose“ geben, und niemand hüllt sich in „Sack und Asche“. Stattdessen werde es vielfältig, „und Wittenberg setzt hier ein schönes Zeichen“. Die Mitteldeutsche Zeitung gibt eine Überblick zu Gedenkmöglichkeiten in Wittenberg und Prettin.

Um 15 Uhr soll in Apollensdorf ein Mahnmal zum ehemaligen Strafgefangenenlager „Elberegulierung“ Griebo eingeweiht werden. Wie Ortsbürgermeisterin Angela Menzel (CDU) beim Gespräch im Neuen Rathaus informierte, grenzt das Mal an den Elberadweg an, weshalb man offenbar eine große Öffentlichkeitswirkung erhofft. „Aus einer kleinen Schülerarbeit zum Abitur wird jetzt ein Denkmal“, freute sich die Absolventin des Lucas-Cranach-Gymnasiums, Johanna Keller, die sich intensiv mit dem Strafgefangenenlager befasst hat, in dem 1 500 Menschen verwahrt und zu Zwangsarbeit missbraucht wurden. Keller berichtete, dass die Resonanz auf das Mahnmal bei Überlebenden und Nachfahren groß ist. Sie selbst hatte erst vor kurzem einen der letzten Überlebenden in Tschechien getroffen. Zur Einweihung am 8. Mai (hinter dem Sportplatz am Haldengelände in Apollensdorf) wird Keller über die Geschichte des Lagers berichten. Das Programm steuern Schüler des Lucas-Cranach-Gymnasiums bei.

Chronik zum Ehrenfriedhof

Für eine Veranstaltung auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof am Schlossplatz in Wittenberg (Beginn 16 Uhr) gehen Evangelische Akademie, Deutsch-Russländische Gesellschaft, die Stadtratsfraktion der Linken, Lutherstadt und Landkreis Wittenberg eine Kooperation ein. Horst Dübner (Linke) erklärte am Donnerstag, dass für eine Erinnerungstafel an der Gedenkstätte ein Genehmigungsverfahren laufe. Am 8. Mai soll es ein Provisorium geben. Vorgestellt wird eine neue Chronik zum Ehrenfriedhof durch Peter Zollner. Man erwartet Botschaftsvertreter der Russischen Föderation, der Ukraine und Weißrusslands. Akademiedirektor Friedrich Kramer betonte (Stichwort: Ukrainekrise), „es ist wichtig, gemeinsam zu gedenken“.

Wittenbergs Ehrenbürger Richard Wiener wird zur Eröffnung der Sonderausstellung „Die Juden in der Lutherstadt Wittenberg im Dritten Reich“ im Museum der Städtischen Sammlungen ein Grußwort halten (Veranstaltungsbeginn ist 17 Uhr). Als Kind war er 1939 vor Hitlers Schergen nach England und später in die USA entkommen. Der pensionierte Jurist besucht seit vielen Jahren seine alte Heimat(-Stadt) und setzt sich für Versöhnung ein. Die Exposition selbst ist bekanntlich von Ronny Kabus: Nach Auskunft von Andreas Wurda, Leiter der Städtischen Sammlungen, ergaben jüngere Recherchen auch neue Informationen, die in die Ausstellung eingearbeitet wurden. Vorstellen wird Kabus, ehemaliger Leiter der Lutherhalle, auch die vierte neu bearbeitete und erweiterte Auflage des Buches zur 1988 erstmals vorgestellten, 2003 neu konzipierten und 2015 abermals überarbeiteten Schau, die neben Deutschland auch in den USA und in Israel präsentiert wurde. Sie zeigt die Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Wittenberger Juden mit Blick auf die Besonderheiten in der Lutherstadt und der NS-Lutherrezeption.

Lesung am 9. Mai

Nach seiner Aufführung am 8. Mai in der Wittenberger Stadtkirche ist Olivier Messiaens „Quartett auf das Ende der Zeit“ am 9. Mai, 15 Uhr, in der Gedenkstätte KZ Lichtenburg in Prettin zu hören. Dort, in Prettin, wurde vor einem Jahr auch die Idee geboren, 2015 diese Schöpfung Messiaens zu Gehör zu bringen. Wittenbergs Stadtkirchenkantorin Heike Mross-Lamberti erinnert sich noch an die Umstände, als sich Kirchenmitarbeiter in der „heruntergekommenen, kahlen, entweihten Kirche des ehemaligen KZ“ trafen. In dieser beklemmenden Atmosphäre flatterten plötzlich singende Rotschwänzchen durch den Raum: „Singvögel, eines der sinnfälligsten Symbole für Freiheit, in diesem Raum der Unfreiheit.“ Beim anschließenden Gespräch in der Gedenkstätte kam die Rede auf Messiaens Quartett, u. a. weil dort auch Vogelstimmen erklingen. Für die Konzerte in Wittenberg und Prettin hat die Kantorin neben Thomas Fleck (Violine) und Susanne Raßbach (Violoncello) auch Matthias Kreher, Soloklarinettist am Gewandhaus Leipzig, gewonnen. Außerdem Ehemann Ulrich Lamberti, der nicht nur Kirchenmusiker ist, sondern auch ein brillanter Pianist - und der wie seine Frau einst bei der Messiaen-Expertin Almut Rößler studierte. Zur Veranstaltung in Prettin wird es unter dem Titel „Der Höllenmarsch“ überdies eine szenische Lesung von Schülern der Sekundarschule Jessen-Nord geben.

Bliebe eine Lesung am 9. Mai um 11 Uhr in der Evangelischen Akademie in Wittenberg. Im Rahmen der Tagung „Literatur als demokratisches Angebot“ über den politischen Schriftsteller und Zeitkritiker Siegfried Lenz, die vom 8. bis 10. Mai stattfindet, präsentiert der Schriftsteller Jochen Missfeld sein Buch „Steilküste. Ein See- und Nachtstück - Mai 1945 oder: Wann endet der Krieg?“. (mz)