Pilger Ein Mann, ein Weg: Christian Adeler wandert auch durch Wittenberg
Christian Adeler ist auf einer Mission. Er wandert durch das Land, um die Botschaft der Menschen nach Berlin zu tragen.
Waldshut/Wittenberg - Er hat frohe Feste mit Imamen gefeiert, fand sich nachts von Kakerlaken umzingelt, ließ sich von bald gar nicht mehr so Fremden auf eine Kartoffelsuppe einladen oder flüchtete im türkischen Polizeiwagen vor angriffsbereiten Sinti. Ach ja, und in Wittenberg war er auch schon. Christian Adeler ist Extremwanderer.
Oder Pilger? „Mir geht es um das Meditative beim Laufen, nicht um steile Berge. Ich bin schon eher Pilger. Mir ist noch ein Begriff zu Ohren gekommen: ,Through-hiker’, also ,Durchwanderer’. Den finde ich passend“, sagt der 38-Jährige.
Botschafter per pedes
Seit Mitte August vagabundiert der ehemalige PR-Berater durch Deutschland, etwa 30 Kilometer legt er am Tag zurück. Insgesamt 1.100 Kilometer sollen seine Beine ihn getragen haben, wenn der Waldshuter in Berlin angelangt. Sein Ziel dabei ist nicht die bloße körperliche Ertüchtigung. Er möchte Botschaften der Bundesbürger einsammeln und sie pünktlich vor der Wahl der Hauptstadt überbringen. Die Idee sei ihm gekommen, weil der diesjährige Bundestagswahlkampf ihm zufolge so wenig fruchtbaren politischen Boden biete.
„Viele wünschen sich einfach eine höhere Transparenz in der Kommunikation“, erzählt er. In den Gesprächen auf seiner Reise habe er ebenfalls wahrgenommen, dass die Deutschen von einem größeren Miteinander träumen, und kaum jemand in den Kategorien Regierung und Opposition oder in Koalitionen denkt. „Die jungen Menschen hingegen haben vor allem zwei Anliegen: das Klima und Europa“, sagt er.
Eindruck hat bei Adeler das noch immer spürbare Ost-West-Gefälle hinterlassen: „Man fühlt sich in Ostdeutschland benachteiligt, weil viele Problematiken 30 Jahre nach der Wende nicht gelöst sind. Städte sind herabgewirtschaftet, in manchen Ortschaften habe ich mich gefragt, ob da überhaupt noch jemand lebt.“ Die Leute, denen er auf seinem Weg begegnete, hätten über die vielen Führungspositionen im Osten geklagt, die von Menschen aus den alten Bundesländern besetzt sind.
Auch sei ihm eine andere Haltung gegenüber Corona aufgefallen. Die Menschen im Osten würden seltener Masken tragen. „Und sie erzählen einem schnell, ob sie geimpft sind oder nicht - ich schätze, das ist hier echt ein politisches Statement“, mutmaßt er.
Apropos politisch. Adeler, früher bei der CDU, jetzt bei den Freien Wählern engagiert, sucht gern das Gespräch. In Wittenberg traf er sich kurzerhand mit Leonard Schneider, Bundestagskandidat der SPD im Wahlkreis. „Das ist ein interessanter junger Kandidat, ein kecker Typ mit guten Gedanken“, resümiert er.
Auch die Kultur durfte für den Weitgereisten in Wittenberg nicht zu kurz kommen. Er nutzte die Zeit für eine Stadtführung. „Martin Luther kannte ich natürlich. Spannend fand ich daher vor allem Melanchthon und den ... wie hieß er ... den Künstler mit seinen Hinterhöfen“, berichtet Adeler und meint ganz sicher unseren Lucas Cranach.
Nun trägt er sich und seinen Sechs-Kilo-Rucksack, in dem sich unter anderem Zelt und Miniküche befinden, weiter gen Berlin. Aber warum eigentlich der ganze Aufwand? „Auf den Reisen nehme ich Abstand zu meinem bisherigen Denken, kann meine Glaubenssätze und Prinzipien infrage stellen“, sagt er. Nicht zuletzt gehe es ihm zudem um den Kontakt zu den Menschen: „Wenn sich zwei Fremde begegnen, sind sie in den meisten Fällen ausgesprochen transparent, sie haben keine Vorbehalte.“
Spaziergang nach Berlin
„Am zweiten August hatte ich die Idee zu meiner Deutschlandreise, am 16. bin ich schon aufgebrochen“, lacht Adeler über seine eigene Spontanität. Sein Weg nach Berlin ist im Vergleich zu seinen bisherigen Reisen aber auch nur ein kurzer Spaziergang. Im Jahr 2005 lief er 5.000 Kilometer durch Deutschland. Den Jakobsweg absolvierte er 2017 und vor zwei Jahren begab er sich auf seine bisher ambitionierteste Mammutreise. Er machte sich auf den Weg in das 16.000 Kilometer entfernte Tokio. Leider hielt ihn das zwischenzeitlich ausgebrochene Coronavirus an der chinesischen Grenze auf. (mz)