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Corona und die Reisebüros Corona und die Reisebüros: ID Reisewelt meldet Insolvenz an

Von Irina Steinmann 27.04.2020, 11:27
Fast ein Vierteljahrhundert war das 1997 von André Chmilewski gegründete Reiseunternehmen eine Anlaufstelle insbesondere für Asien-Fans.
Fast ein Vierteljahrhundert war das 1997 von André Chmilewski gegründete Reiseunternehmen eine Anlaufstelle insbesondere für Asien-Fans. Thomas Klitzsch

Wittenberg - In der Lutherstadt ist ein erstes Reisebüro der Corona-Krise zum Opfer gefallen. Das Unternehmen ID Reisewelt GmbH mit Sitz in der Bürgermeisterstraße hat Insolvenz angemeldet. Wie der Asien-Spezialist, der auch Reiseveranstalter ist, auf seiner Homepage mitteilt, habe man sich zu diesem Schritt gezwungen gesehen „auf Grund der unsicheren Zukunftsaussichten, fehlender, tragfähiger Lösungen für den Mittelstand“.

Derzeit könne „überhaupt nicht prognostiziert werden, wie lange diese Situation andauert und welche Langzeitfolgen hieraus für die Reisebranche erwachsen“, schreibt Geschäftsführerin Jacqueline Knispel. Kunden werden gebeten, keine Zahlungen mehr zu leisten und gleichzeitig ausführlich darüber informiert, wie sie bereits gezahltes Geld - vielleicht - zurückbekommen.

Kritik an Regierung

André Chmilewski hat das Unternehmen 1997 gegründet und leitet dort den Bereich Marketing und Kommunikation. Im Auftrag von Geschäftsführerin Knispel erläuterte er der MZ die Gründe für die Insolvenz. Demnach ist dafür „ausschließlich“ der „Zusammenbruch des internationalen Linienflugverkehrs“ verantwortlich: Als Veranstalter habe man Flüge vorfinanzieren müssen, bekomme diese aber nicht von den Airlines erstattet, gleichzeitig müsse ID Reisewelt seinen „Gästen“ aber die bereits geleisteten Zahlungen zurückerstatten, da die angestrebte Gutscheinregelung noch nicht gelte. Kritik übte Chmilewski an der Bundesregierung: „Der Mittelstand kriegt gar nichts“, sagte er mit Blick auf die Soforthilfen in Milliardenhöhe für die ganz kleinen und die ganz großen Firmen.

Mag die Situation bei ID Reisewelt speziell sein, so steht auch anderen Reisebüros eigenen Angaben zufolge das Wasser bis zum Hals. In offenen Briefen an die Bundesregierung, der sie komplette Ignoranz in Sachen Reisebüros vorwirft, fordert die Branche mit deutlichen Worten Unterstützung seitens des Staates, die Situation sei flächendeckend existenzbedrohend.

Der finanzielle Forderungskatalog reicht von einer Erhöhung des Kurzarbeitergelds auf 80 Prozent bis zur Zahlung eines Grundeinkommens für Unternehmer in Höhe von 1.000 Euro für zwölf Monate. Unterzeichnet hat am Mittwoch, als die MZ sie anruft, auch die Wittenbergerin Manuela Paul, sie betreibt das Reisebüro im Obergeschoss des Einkaufszentrums „Arsenal“.

Das Reise-Center Paul beschäftigt üblicherweise drei Mitarbeiter, die befinden sich gegenwärtig freilich sämtlich in Kurzarbeit, geöffnet werde erst am 4. Mai wieder, so Paul. Über mangelnde Beschäftigung muss die Chefin freilich nicht klagen, ganz im Gegenteil. Am Telefon beantwortet sie Fragen beunruhigter Kunden, die ihr Geld zurückhaben wollen, und muss Reisen absagen. Allein 80 seien es bis Ende dieses Monats, für Juni, Juli würden es erfahrungsgemäß deutlich mehr.

Während sie also arbeite, ohne dafür von irgendjemandem bezahlt zu werden, und mangels Vermittlungen auch kein frisches Geld hereinkommt, würden ihresgleichen auch noch bereits erwirtschaftete Mittel entzogen: Die Veranstalter forderten Provisionen zurück für die Reisen, die ja nicht stattfinden. „Wir sind die letzten in der Kette“, sagt Manuela Paul über die Hackordnung zwischen Anbietern, Veranstaltern und Reisebüros.

Und für die von ihr - am 30. März - beantragte Soforthilfe des Landes habe sie noch nicht mal eine Eingangsbestätigung bekommen, geschweige denn das Geld selbst; 9.000 Euro könnte sie als kleineres Unternehmen bekommen und mehr als gut gebrauchen.

Zwecks Illustration ihrer Situation hat Manuela Paul der MZ noch ein Foto hinterhergeschickt, es zeigt einen Grabstein mit dem Kreuzzeichen und der Inschrift „Reisebüro 18. März 2020“ - so weit aber ist es zum Glück in ihrem Fall noch nicht. Doch erst im Januar hofft sie, zum normalen Geschäft zurückkehren zu können. Wenn alles gut geht.

20 Beschäftigte betroffen

Das Schicksal der ID Reisewelt befindet sich unterdessen in den Händen des Insolvenzverwalters. Betroffen sind laut Chmilewski mehr als 20 Arbeitsplätze, überwiegend von Frauen. Ob und in welcher möglicherweise „neuen Konstellation“ es für einen „Teil der Kollegen“ weitergehen kann, sei „derzeit alles Spekulation“, zumal die Bedingungen in der Reisebranche allgemein schlechter nicht sein könnten.

„Wir tun derzeit alles, um einen Neubeginn zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht wahr werden zu lassen“, heißt es im Zusammenhang mit der Insolvenz-Nachricht auf der Homepage ID Reisewelt. 2005 war deren damaliger Chef André Chmilewski auch unter Nichtreisenden stadtweit bekannt geworden - mit einer privaten Hilfsaktion für die Opfer der Tsunami-

Katastrophe vom Weihnachtstag 2004. Fast 50.000 Euro kamen damals zusammen für den Wiederaufbau einer Schule in Indonesien. Jetzt braucht das Unternehmen selbst Hilfe. (mz)

An der geschlossenen Ladentür informiert ein Aushang der Geschäftsführerin der ID Reisewelt GmbH über den Gang in die Insolvenz.
An der geschlossenen Ladentür informiert ein Aushang der Geschäftsführerin der ID Reisewelt GmbH über den Gang in die Insolvenz.
Klitzsch