Clack-Theater in Wittenberg Clack-Theater in Wittenberg: Die Schnäppchen-Republik

WITTENBERG - Die deutsche Einheit wird im Herbst 25. Wir feiern sozusagen Silberhochzeit, da ist der Lack der vielleicht übereilten deutsch-deutschen Ehe ab. Es gibt also kaum Aktuelleres für die „Reißzwecken“, als sich beim 11. Sommerkabarettfestival dem Thema zu widmen. „Auf Schlimmer und Ewig - Ein Einheizprogramm“ soll bis Mitte August die schlimmsten Folgen aufarbeiten. Auf dass wir mal „gucken, ob wir uns immer noch lieb haben“.
Seriöse Umfrage
Einer hat garantiert niemanden lieb: Ralph Richter von den „Reißzwecken“. „60 Prozent wollen die Mauer wieder haben. 40 Prozent würden sich mit einem Elektrozaun begnügen“, zitiert der Kabarettist eine „seriöse Umfrage des ADAC“. Was wiederum beweist: Die Öffnung der Mauer ruft noch heute gespaltene Gefühle hervor. Das Volk oder die Völker waren wie im Schnäppchenrausch. Man braucht nichts, nimmt aber trotzdem was mit. „Das ist genau das, was sich der Westen vor 25 Jahren gesagt hat“, weiß Barbara Schüler.
Gefeiert wird das Jubiläum einer „Feierabendrevolution“. „In der DDR wurde schon immer mehr nach Feierabend gearbeitet“, erinnert sich Ralph Richter, nachdem die Nationalhymnen verklungen sind. Bei den zarten Klängen der DDR-Hymne wäre sogar fast jemand aufgestanden, bei der bundesdeutschen hingegen bleiben alle sitzen. Das sagt schon alles. Dann kommt Wehmut auf. Mario Welker, Barbara Schüler und Stefan Schneegaß zelebrieren genüsslich die letzte Fahrt des Trabants, auf den mal über zehn Jahre gewartet werden musste (das Wort Verschrottung wäre hier fehl am Platze). Nein, sie setzen das Teil wie andere einfach am Straßenrand aus, nachdem das abendliche Offen-stehen-lassen mit einer Kiste Bier drin als Zugabe nicht mal Diebe angelockt hat. Und was tut der arbeitslose ehemalige DDR-Bürger dann? Er bewirbt sich beim BND oder geht in den Westen, weil er im Osten entweder gar keine Arbeit oder nur schlecht bezahlte findet. Da wäre reichlich Stoff für einen bitterbösen Kabarettabend, aber die im Clack-Theater beheimateten „Reißzwecken“ mögen es im Sommer leicht. Sie tippen mit dem Finger an, wo andere mit der Faust draufhauen würden.
Allerdings: Ist überhaupt Sommer? Und was heißt hier „Einheizprogramm“? Selten haben Premierenbesucher im Cranachhof am Markt so gefroren wie am Donnerstag. Einige ordern in der Pause Sitzkissen nach, mit denen sie die Nieren wärmen, andere holen warme Decken aus ihren Autos. Es ist eben eine Freiluftveranstaltung. Wenn es nicht regnet, wird draußen gelacht. Ein Gutes hat die Kühle: Es gibt keine Mücken.
Dafür ist als erster Überraschungsgast der Saison Sebastian 23 da, einer der bekanntesten Poetry Slammer (siehe „Noch viele Gäste“). Ein wenig irritierend ist es schon, dass der aus dem Ruhrgebiet stammende Comedian auf der Bühne über seine Gags lacht, noch bevor er sie unters Volk gebracht hat. Andere Länder, andere Sitten, nimmt der Wittenberger dies relativ gelassen zur Kenntnis. Und staunt weniger über den Brachialhumor des Gastes (über Bochum und Körperwinde), sondern vielmehr über lyrische Zeilen wie „Bäume sind Büsche auf Balken“ oder „Mauern sind sehr grade Haufen“. Der wiederum wundert sich, dass die Jugendsprache für Wittenberg kein passendes Wort gefunden hat. „Double-U Upper Valley“ für Wuppertal oder „Saarbrooklyn“ für Saarbrücken gibt es angeblich schon. Soso.
Körper und Geist und Bier
Zurück zu den „Reißzwecken“. Die packen das beliebte Duo Harry und Horst aus, die beim Biertrinken Körper und Geist zusammenführen und über Intelligenz philosophieren. Ost- und Westdeutsche mit Frustrationshintergrund kommen bei der abschließenden Talkrunde zur Sprache. „Musste es unbedingt die DDR sein?“, kommentiert ein genervter (West-)Mann die Wiedervereinigung. „Es gibt doch andere schöne Länder.“ Was Harry grinsen lässt: „Die drei mächtigsten Leute des Landes sind Ossis: Merkel, Gauck und der Chef der Lokführer.“ Auch Schnäppchen sind eben nicht umsonst zu haben. (mz)