Bedürfnisse und Geschäfte
Wittenberg/MZ. - Wie sieht es anderswo aus und wie wird es benutzt, ist es ein Ort für einsame Minuten oder zur gemeinsamen Verrichtung der Geschäfte?
Den Anstoß gab, das ist nicht verwunderlich, Luthers Lokus. Doch Anstoß nahm von den knapp 50 Zuhörern niemand an dem, wie unsere Vorfahren mit ihren "Hinterlassenschaften" umgingen. Natürlich entsprach vieles nicht unseren heutigen hygienischen Vorschriften, auch das Schamgefühl war im Gegensatz zur Gegenwart ein ganz anderes. Nicht dass es ein Problem wäre, wie die alten Römer in einer Reihe oder im Rondell zu sitzen ohne Trennwände. Aber das Säubern der hinteren Körperöffnungen mit dem Stielschwamm, der zuvor in der Wasserrinne angefeuchtet und nach Gebrauch vom Nachbarn genutzt wird, muss wirklich nicht unbedingt in heutige Erlebniskultur-Angebote umgesetzt werden.
Noch heute an Burgen und alten Häusern zu sehen sind die Toilettenerker. Das waren kleine, balkonähnliche geschlossene Anbauten mit einem Loch unten, durch die das, was jeder nun mal loswerden will, aus dem Blickfeld gelangte. Mal mit steinernem Aufsatz, welcher dem entsprechenden Körperteil passend ausgearbeitet war, mal mit Holzbrille versehen und nur selten mit Tür, war das Geschäft eine zugige Angelegenheit, und im Winter war es ordentlich kalt dort. "Wenn das im Winter anfror, dann musste ein Diener mit der Stange - aber das können Sie sich sicher vorstellen", kommentierte Jahn humorvoll seine Dias.
Um nicht zu kalt sitzen zu müssen, wenn man muss, erfanden unsere Vorfahren den Nachttopf. Der wurde einst, wie anderes, einfach zum Fenster hinaus entleert, weshalb ein Weg durch die Straßen einer Stadt nicht notwendigerweise ein Spaziergang war. Erhard Jahn hatte ein Foto eines englischen Nachttopfes dabei - mit dem Konterfei Napoleons innen. Ja, auch Politik und Religion blieben von der Toilettenkultur nicht ausgeklammert, Es gab Karikaturen, dass Luther kopfüber in eine Toilette gestürzt sei. Und ein Theologe, der zum Protestantismus und wieder zurück zum Katholizismus gewechselt war, hatte sich gar beim Gang zur Toilette das Genick gebrochen. Für vornehme Damen und Herren gab es perfekt getarnte Nachtstühle (daher auch der Begriff Stuhlgang). Sogar ein Schreibtisch beherbergte einmal solch einen Eimer samt Sitz, und eine russische Zarentochter fuhr mit einer Kutsche durchs Land, die schon einen Toilettensitz hatte. Eine (jetzt nicht mehr benutzte) Toilette in einem österreichischen Theater gab sogar die Möglichkeit, das das Geschehen auf der Bühne zu verfolgen. Doch die Mehrzahl der Menschen auf diesem Planeten, so der Wolmirstedter Erhard Jahn, lebt nach wie vor in einer "Welt der unbegrenzten Notdurft".
Ob Plumpsklo oder der osteuropäische Typ für die Hockstellung, die Toilette im Hundertwasserhaus oder das computerauswertende japanische Abort, das den Hausarzt per Internet informiert, es gibt offenbar immer noch Ideen, ein Geschäft mit dem Geschäft zu machen. "Sie haben uns erbaut", kommentierte Martin Treu vom Lutherhaus den eineinhalbstündigen Vortrag, der gern einige theologische Anmerkungen verdient hätte. Denn Luther habe gewusst, so Treu, "der Teufel artikuliert sich durch den Darm. Doch zur Theologie des Stuhlgangs - heute nicht."