Baby entführt Baby entführt: Verzweifelte Mutter sucht nach ihrem Kind

Wittenberg - Die Wohnung ist still, der Kinderwagen steht ungenutzt in einer Ecke, aus dem Zimmer für das Baby dringt kein Laut. Cordula Mahajneh sitzt vor dem großen Fernseher, schaut aber kaum auf die Bilder. Die junge Frau wirkt abwesend, wischt sich ab und zu eine Träne aus den Augenwinkeln.
Sie vermisst schmerzlich ihr Kind, ihre acht Monate alte Tochter Fatima. Die Wittenbergerin weiß nicht genau, wo Fatima jetzt lebt, sie weiß nicht, ob es ihr gut geht. Sie hofft inständig, dass das Baby hat, was es braucht. Sie hofft inständig, dass sie ihr Kind bald wieder in den Armen hält. Ob und wann das geschehen wird, weiß derzeit keiner so genau.
Ihr Mann ist mit Fatima auf und davon - und hält sich mutmaßlich irgendwo zwischen Palästina und Jordanien auf. Mohammad Mahajneh ist Anfang Mai von Berlin aus Richtung Amman geflogen, seine Frau hat ihn zum Flughafen Tegel gebracht. Da war die Welt noch in Ordnung, ziemlich.
Mutter hat Aufenthaltsbestimmungsrecht: Vater hat Flucht offenbar geplant
Klar, es gab den ein oder anderen Streit. „Ich bin manchmal zickig, habe überreagiert, er kann damit nicht gut umgehen.“ Mohammad ist sogar mal ausgezogen - in eine Wohnung im Block gegenüber, um der Tochter nahe zu sein: „Wir haben uns aber wieder zusammengerauft“, berichtet die Wittenbergerin, die keinen Job hat und von Harz IV lebt.
Seit kurzem ist sie sich sicher, dass ihr Mann nicht zurückkehren will. Er ist telefonisch nicht erreichbar, blockt sie bei Facebook und Whatsapp.
In den ersten Tagen nach seinem Abflug gab es noch Kontakt. „Er hat mir die Kleine gezeigt“, sagt die 34-Jährige und sucht auf ihrem Handy ein Foto heraus. Am 15. Mai sollte Mohammad Mahajneh, der vor drei Jahren als Flüchtling aus Palästina nach Deutschland kam, zurückkehren nach Wittenberg.
Flüchtling aus Palästina: Anzeige bei Polizei erstattet
Er kam nicht und schrieb seiner wartenden Frau, ihr Verhalten habe dazu geführt, dass er fern bleiben wird. Was genau er meint, darüber grübelt Cordula Mahajneh seither.
Sie hat mit keiner Silbe daran gedacht, dass die Reise so enden könnte, hat ihm noch eine Vollmacht mitgegeben, in der sie als Mutter bestätigt, dass Fatima mit ihrem Vater ins Ausland fliegen darf. „Ich wäre im Leben nicht darauf gekommen. Sicher, wir haben gestritten wegen Kleinigkeiten. Unsere Beziehung war nicht perfekt, aber auch nicht schlecht.“
Jetzt hadert die Wittenbergerin mit sich, naiv sei sie gewesen, sie weiß zwar, in welcher Stadt die Familie ihres Mannes lebt, nicht aber Straße und Hausnummer. „Ich habe einfach nicht genau nachgefragt.“ Auch nicht über die Gründe der Flucht des heute 28-Jährigen, der, wie sie sagt, Bank- und Finanzwesen studiert haben soll und hoffte, in der Branche einen Job in Deutschland zu finden.
Nach Fehlgeburt geheiratet: Kindesentzug in Pal#stina schlecht zu verfolgen
Er habe lediglich gesagt, nicht nach Palästina einreisen zu können, er würde dort aus politischen Gründen verhaftet. Deshalb wollte sich die Familie in Jordanien treffen.
Auch wenn Cordula Mahajneh, die ihren Mann im Internet kennen lernte und ziemlich schnell, nach einer Fehlgeburt heiratete, verstört ist, verzweifelt ist, nicht schlafen kann, immer wieder in Tränen ausbricht, sie kämpft um ihre Tochter. Die Mutter, für die das Leben bisher oft nicht leicht war, hat längst bei der Polizei vorgesprochen und Anzeige erstattet, nahm Kontakt auf zum Auswärtigen Amt und dem Vertretungsbüro in Ramallah, lässt sich von einer Anwältin in Wittenberg vertreten, die es in kurzer Zeit fertig brachte, dass Cordula Mahajneh in einem Eilverfahren vor dem Amtsgericht das so genannte Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen wurde und der Anspruch auf Herausgabe des Kindes besteht.
Auch Heirats- und Geburtsurkunde hat sie sich von den Behörden neu ausstellen lassen - beides nahm ihr Mann offenkundig mit auf seine Reise: „Das war“, weiß sie jetzt, „keine Kurzschlussreaktion. Er hat das geplant. Ich brauche nicht alle meine Zeugnisse und Unterlagen, wenn ich in den Urlaub fahre.“
Wittenbergs Kripo-Chefin Nadine Gößling bestätigt die Anzeige wegen „Entziehung Minderjähriger“. Vater und Kind seien inzwischen zur Fahndung ausgeschrieben: „Das läuft jetzt über die internationalen Schnittstellen. Wir haben hier alles gemacht, was wir tun konnten.“
Sie räumt ein: „Was in Palästina passiert, weiß ich nicht.“ Die Krisensituation dort sei bekannt: Man könne nur hoffen, dass die Behörden handeln. Im Übrigen werde der Fall in Kürze der Staatsanwaltschaft übergeben.
Fahndung läuft: mehrere hundert Kinder im Jahr werden ins Ausland entführt
Das Auswärtige Amt will aus Gründen des Datenschutzes nicht über Details reden, Sprecherin Susanne Beger-Blum erklärt aber: „Unser Vertretungsbüro in Ramallah steht in engem Kontakt mit der Kindsmutter und versucht, durch Vermittlung noch eine einvernehmliche Lösung und eine zeitnahe Rückreise des Kindes nach Deutschland zu erreichen.“
Sie sagt auch: „In jedem Jahr werden mehrere hundert Kinder Opfer einer internationalen Kindesentziehung.“ Genaue Zahlen lägen nicht vor. Das Problem mit Palästina besteht darin, dass dort das Haager Kindesentführungsübereinkommen nicht greife und damit kein unmittelbarer Kontakt zwischen den zu diesem Zweck benannten zentralen Behörden existiere.
Cordula Mahajneh will einfach ihre Tochter zurück. Sie sagt mit Nachdruck: „Er kann bleiben, wo er will, Hauptsache Fatima kommt wieder.“
(mz)