Augustinuswerk Wittenberg Augustinuswerk Wittenberg: Cranach für unterwegs

Wittenberg - Die große Plane in der Textilabteilung der Augustinuswerk-Werkstatt lässt stutzig werden. Das Motiv ist unverkennbar. Es ist jenes fünf mal acht Meter große Teil, das während der Bauarbeiten in der Wittenberger Stadtkirche vor dem Chorraum hing. Und eben jenes Altarbild von Cranach samt einigen Ausschnitten zeigt, das damals nicht im Original zu sehen war.
Bauplane wird Prestigeobjekt
Daraus werden nun Taschen. Zwei hat Marina Flemmer am Tag der Begegnung zur Ansicht ausgestellt, die Neugier ist groß. Die Plane sei der Werkstatt von der Stadtkirchengemeinde überlassen worden, die Taschen (es werden größere zum Umhängen) seien eine Auftragsarbeit und sollen 2017 verkauft werden, erzählt sie. Es werde ein Prestigeobjekt, nichts Alltägliches. „Wir stellen die Muster heute erstmals aus, das Modell muss nun durch alle Instanzen“, fügt sie hinzu. Wie viele Innentaschen es später mal geben wird, bestimmt der (nicht genannte) Kunde.
Marina Flemmer ist Handwerksmeisterin für Damenmaßschneiderei, hat aber auch einige Zeit bei einem Sattler gearbeitet. Fast vier Jahre ist die Frau aus Treuenbrietzen im Augustinuswerk, die Arbeit mit den behinderten Beschäftigten macht ihr sichtlich Freude. „Wir haben ein extra Teil an den Nähmaschinen für die Einfassung angeschafft“, zeigt sie technische Details. „Ich kann das nähen, aber andere sollen es auch können.“
Als Verein wurde das Augustinuswerk 1990 in Wittenberg gegründet. Es ist ökumenisch aufgestellt, Initiatoren waren engagierte Bürger, der evangelische Kirchenkreis und die katholische Pfarrgemeinde. „Der Verein achtet die Würde und Freiheit jedes Menschen, er fördert die Mitwirkung und Mitbestimmung. Ganzheitlichkeit ist eines der Grundprinzipien seiner Arbeit.
Das Augustinuswerk sieht nicht nur die Schwächen und Defizite von Menschen, sondern auch ihre Ressourcen und ihre Einmaligkeit. Für jeden Menschen gilt, dass er Geschöpf und Ebenbild Gottes ist“, heißt es in seinen Grundsätzen.
1991 wurde die Werkstatt für Behinderte gegründet. Neben der Hauptwerkstatt in der Gottlieb-Daimler-Straße gibt es mehrere Zweigwerkstätten in Wittenberg (zum Beispiel in Apollensdorf) sowie in Jessen, es entstanden zudem eine Werkstatt für seelisch behinderte Menschen, die Werbeagentur und Druckerei „Ideenreich“, eine Waschwerkstatt sowie eine Tischlerei. (kbl)
Genutzt wird der Tag der Begegnung traditionell für den Kauf von Adventsgestecken. Kaum ist die Werkstatt für behinderte Menschen am Sonnabend geöffnet, bildet sich gegenüber dem Eingang eine Menschentraube. Das weiß auch Matthias Monecke, Vorstand des Augustinuswerkes. „Ich werde mich kurz fassen“, sagt er und bittet die zahlreichen Besucher bei der Begrüßung lediglich darum, sich die Räume und Projekte in der Werkstatt in aller Ruhe anzusehen.
Was diese auch ausgiebig tun. Nicht nur die Hauptwerkstatt, auch alle Zweigwerkstätten stellen sich vor. Über 450 Beschäftigte mit Handicap finden hier vielseitige Arbeitsplätze, und sie sind stolz zu zeigen, was sie hier tun. Ihnen zur Seite stehen insgesamt 260 Mitarbeiter. „Ich persönlich finde die Einrichtung hervorragend“, betont Barbara Rudloff. Ihre inzwischen 50-jährige Tochter Konstanze arbeitet in einer der Werkstätten, seit 1992 hat sie eine Beschäftigung gefunden.
Barbara Rudloff ist seit 2012 Vorsitzende der Angehörigen-Vertretung mit neun Mitgliedern, die in alle Belange eingebunden ist. „Wir versuchen die Interessen der Angehörigen darzustellen und durchzusetzen“, sagt sie und fügt hinzu, dass es einen sehr guten Kontakt zu Matthias Monecke gibt und man „Hand in Hand“ arbeite. Sie selbst gehöre keiner Konfession an, durch persönliche Kontakte wurde sie nach der Wende auf die Werkstatt aufmerksam, erzählt die Wittenbergerin.
Indien genießen
Andere schauen einfach, wie eine Frau aus Brandenburg, die sich erstmals die Werkstatt in der Gottlieb-Daimler-Straße anschaut. Was sie gehört hat, habe sie neugierig gemacht, meint die Besucherin. Sie steht im Förderbereich und schaut der Theatergruppe in ihren Saris zu, die kein Stück aufführt, sondern den Gästen die indische Kultur näherbringt. Der Raum duftet nach Gewürzen, auf dem Herd kocht indische Linsensuppe. Die wird, neben Kaffee und Kuchen, zum heimlichen Star des Tages. (mz)

