1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Altes Gefängnis: Altes Gefängnis: Reizvolle Schroffheit

Altes Gefängnis Altes Gefängnis: Reizvolle Schroffheit

Von Corinna Nitz 22.03.2017, 16:05
Das Wittenberger Gefängnis wurde mit der Schlüsselübergabe zu einem Kunstraum.
Das Wittenberger Gefängnis wurde mit der Schlüsselübergabe zu einem Kunstraum. Klitzsch

Wittenberg - Vor dem alten Wittenberger Gefängnis wurde kürzlich wieder ein Wachmann gesichtet. Der Herr von einem Securitydienst bewachte aber keine Ganoven, er dürfte ein Auge auf die Kunst gehabt haben.

Denn kaum waren Anfang März die Schlüssel an Walter Smerling von der Stiftung Kunst und Kultur Bonn für den einstigen Knast übergeben worden, zog Leben ins Gemäuer.

Mit zu den ersten Künstlern, die ihre Arbeiten in den Zellen einrichten, gehörten nach Auskunft der Berliner Agentur Artpress Jörg Herold und Assaf Gruber. Vertreten sind sie in der Ausstellung „Luther und die Avantgarde“, welche die Stiftung Kunst und Kultur ab Mitte Mai in Wittenberg präsentiert.

Zwar ist der Knast in den letzten Monaten für diese Ausstellung bauseitig vom Organisationsverein r2017 vorbereitet worden, doch hat der Ort dadurch nichts von seiner Schroffheit verloren. Genau das macht ja auch den Reiz aus.

Während zur Schlüsselübergabe Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) die Anwesenden scherzhaft zum offenen Vollzug willkommen hieß, stellte Kunstmanager Smerling „das abwechslungsreichste Gefängnis in Sachsen-Anhalt“ in Aussicht.

Keine Wiederbelebung als Knast

Als Gefängnis genutzt wurde der Bau aus wilhelminischer Zeit zuletzt 1965, danach zog der Katastrophenschutz ein, noch Ende der 1990er Jahre war in einigen Räumen das Grundbuchamt untergebracht. 1998 war es auch, dass - unter Hinweis auf einen Mangel an Haftplätzen in Sachsen-Anhalt - Gerüchte von einer angeblichen Wiederbelebung des Gefängnisses die Runde machten.

Es blieb bei Gerüchten. Längst ausgezogen ist auch das Grundbuchamt.

Nach Auskunft von Gudrun Triepel vom Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt (BLSA) hat man das Gebäude 2010 vom Amtsgericht Wittenberg übernommen. Wie der Zustand bei Leerstand so war? Triepel spricht von „normalem Verfall“, das Dach sei dicht gewesen und innen war es demnach trocken.

Allerdings habe die Heizung nicht mehr funktioniert und die Elektrik war veraltet. Eigentlich, so die Teamleiterin Gebäudemanagement, soll das Haus veräußert werden. Das ist offenbar („aus Rücksicht auf die Ausstellung“) einstweilen zurückgestellt.

Beeindruckende Quellensammlung

Triepel ist eine ausgesucht hilfsbereite Person, doch trotz intensiver Recherche konnte sie nichts Nennenswertes zu den einstigen Insassen des Gefängnisses in Erfahrung bringen - wobei das ja auch nicht in ihr Ressort fällt. Ertragreicher insoweit waren die Untersuchungen der Wittenberger Historikerin Elke Strauchenbruch.

Zuletzt hat sie den Künstler Yadegar Asisi bei der Ausgestaltung seines Wittenberger Panoramas „Luther 2017“ beraten. Nun beeindruckt ihre „Chronikale Quellensammlung zur Geschichte des Gefängnisses in der Berliner Straße“.

„Bei der Besichtigung der Innenräume gelangen wir zunächst in das Kellergeschoß, wo die beiden Kessel für die Dampfheizung untergebracht sind, die das ganze Gebäude durchzieht. Außer einigen anderen Räumen befindet sich in diesem Teile auch die Dunkelzelle für widerspenstige Gefangene“, heißt es da etwa in den alten Aufzeichnungen, die sich mit der Architektur ebenso befassen wie mit den ersten Belegungen.

Später folgen „zufällige Notizen aus Wittenberger Zeitungen“, die, ein wenig sperrig, über Verhaftungen informieren. In den 1930er Jahren geht es häufiger um Luftschutzmaßnahmen, der große Krieg warf seine Schatten schon voraus.

Bis 1965, so Strauchenbruch, wurde das alte Gefängnis als Untersuchungshaftanstalt genutzt. „Die Untersuchungsgefangenen unterlagen dem Strafrecht der DDR. Für sie war es unüblich, dass sie arbeiten mussten. Anschließend wurde hier ein Zivilverteidigungslager eingerichtet“, heißt es in ihren Aufzeichnungen.

Wer heute durch die Korridore geht, vorbei an den Zellen, die Treppen hinab- und hinaufsteigt, kann - sofern man für so etwas empfänglich ist - durchaus noch etwas von diesem alten Geist spüren. Und dann taucht auch die Frage auf, ob da tatsächlich nur Menschen einsaßen, vor denen die Gesellschaft besser geschützt werden musste.

Oder ob womöglich auch Menschen dort weggesperrt waren, die ins Visier einer diktatorischen Staatsmacht geraten waren?

Ai Weiwei zieht in Zelle 210

Und wie mag sich jemand wie Ai Weiwei an diesem Ort fühlen? Der chinesische Künstler, Menschenrechtler und Dissident wurde wegen regierungskritischer Äußerungen 2011 in China inhaftiert. Jetzt bezieht er im alten Gefängnis in Wittenberg die Zelle 210, um dort eine Arbeit für „Luther und die Avantgarde“ zu installieren.

Eins ist klar: So interessant diese Ausstellung zu werden verspricht, so spannend ist auch ihr Ort - und das Gefängnis kann in Verbindung mit der zeitgenössischen Kunst durchaus als eigenständiges Ausstellungsobjekt betrachtet werden. (mz)