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12. September 12. September: Attacke in der Abendstille

Von DIRK SKRZYPCZAK 13.12.2010, 13:36

ZÖRNIGALL/MZ. - Die Idylle in der Mittelstraße mit ihren schmucken Grundstücken trügt. Nach der tödlichen Beißattacke eines Rottweilers auf den dreijährigen Dustin am Samstagabend in Zörnigall (Landkreis Wittenberg) sitzt der Schock tief. Anwohner stehen zusammen, blicken immer wieder zu dem grauen Haus herüber, hinter dessen inzwischen versiegeltem Hoftor sich die furchtbare Tragödie abspielte. "Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen", flüstert die hochschwangere Sandra Gröger mit blassem Gesicht. Elli Haseloff werkelt einige Gärten weiter zwischen den Pflanzen, ihr Münsterländer wedelt am Zaun freudig mit dem Schwanz. "Die Schreie der alten Frau sind mir durch Mark und Bein gegangen", erzählt sie. Tränen spiegeln sich in den Augen der Seniorin. "Ich sehe sie noch, wie sie mit dem zarten Jungen an der Hand spazieren gegangen ist."

Nachbar erlebt das Drama

Ein Nachbar hat das Drama am Abend miterlebt. Reden möchte er nicht darüber. "Fragen sie die Kripo", sagt er mit kraftloser Stimme, die Miene gezeichnet von ruhelosen Stunden. Dann berichtet er doch vom schrillen Schrei des Jungen, der so unnatürlich klang, und den schrecklichen Ereignissen, die folgten. "Ich habe auf dem Dach gearbeitet und gleich geschaut, was los ist. Da war aber nichts mehr zu machen." Die 76-jährige Uroma des Kindes habe zwar gebrüllt, sei mit der Situation aber überfordert gewesen. Er habe sofort die Polizei und den Rettungsdienst gerufen.

Zehn Minuten nach der Alarmierung sind die ersten Einsatzkräfte vor Ort. Weil der Rottweiler die Beamten aggressiv attackiert, wird er erschossen. Acht bis neun Schüsse wollen Anwohner gezählt haben. Medizinern und Polizei bietet sich ein schreckliches Bild. Für das Kind kommt jede Hilfe zu spät, die Uroma erhält später seelsorgerische Betreuung. Eine Boxerhündin, die sich ebenfalls auf dem Grundstück befindet, kommt ins Tierheim nach Herzberg und wird dort unter Quarantäne gestellt. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln nun, wie es zu dem Angriff kommen konnte.

Offenbar sind die Zustände in dem Haus der 76-Jährigen den Behörden aber bekannt. "Ich habe erlebt, wie gefährlich der Rottweiler sein konnte", schildert Waltraud Bratengeyer. Vor Monaten habe der Rüde mit fletschenden Zähnen auf ihrem Hof gestanden, "da wollte ich gerade in die Waschküche". Aus Angst sei sie zurück ins Haus, habe erst die Tochter und danach die Polizei angerufen. "Doch als die Polizisten kamen, war der Hund schon wieder fort." Das Veterinär- und das Ordnungsamt seien damals eingeschaltet worden. Die Behörden sollen Leinenzwang und Beißkorb angeordnet haben. Andere Bewohner in der Mittelstraße sprechen von schwierigen sozialen Verhältnissen in der Familie der 76-Jährigen. Die beiden Hunde sollen der 21-jährigen Enkelin aus Wittenberg gehören, ihr dreijähriger Sohn war zum Zeitpunkt des Unglücks bei der Uroma zur Betreuung. "Um die Tiere hat sich niemand gekümmert", sagt ein Mann. Auslauf hätten sie jedenfalls nie erhalten, obwohl der nahe Wald nur ein paar Schritte entfernt ist, "und oft waren die Hunde von früh bis spät allein".

Hündin in gutem Zustand

Zumindest die Boxerhündin macht keinen verwahrlosten Eindruck. Das Tierheim in Herzberg attestiert ihr einen guten äußeren Zustand. Sie stehe gut im Futter und benehme sich unauffällig. Vorläufig ist die Hündin in einem doppelt gesicherten Zwinger untergebracht. Aus Sicherheitsgründen haben Pfleger keinen Zutritt.

Zörnigalls Bürgermeister Rainer Pichert (CDU) zeigt sich tief betroffen. "Der Vorfall ist schrecklich. Der Familie gehört mein Mitgefühl." Ob die Behörden eine Mitschuld tragen, weil sie Hinweisen nicht konsequent nachgegangen sein sollen, wie es in der Mittelstraße heißt, will er nicht kommentieren. "Ich wusste zwar von sozialen Problemen, aber nichts von Sorgen mit den Hunden." Weder hätten Bürger noch Fachämter ihn über ein Konfliktpotenzial informiert. Vom Landkreis Wittenberg gab es gestern keine Stellungnahme.

Dorothea Karl sorgt sich nun um den Nachbarschaftsfrieden in der Mittelstraße. Einige Grundstückseigentümer halten sich große Hunde, anderen könnte das nach dem tödlichen Drama ein Dorn im Auge sein. "Ich fürchte, dass wir jetzt pauschal über einen Kamm geschoren werden." Sie selbst ist Mutter und Hundehalterin.