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Zukünftiges Abbaufeld Domsen Zukünftiges Abbaufeld Domsen: Ehemalige Grunauer verpflanzen ein Stück Heimat

Von Andrea Hamann 23.03.2015, 09:30
Gottfried Vibranz steht auf dem Berg aus geschreddertem Holz. Dort stand früher sein Elternhaus. Darauf macht der Mann mit dem Plakat aufmerksam.
Gottfried Vibranz steht auf dem Berg aus geschreddertem Holz. Dort stand früher sein Elternhaus. Darauf macht der Mann mit dem Plakat aufmerksam. Michael Thomé Lizenz

Hohenmölsen - Es ist Sonnabendvormittag und Gottfried Vibranz steht auf einem großen braunen Haufen aus geschreddertem Holz.

Das Abbaufeld Domsen im Tagebau Profen soll bis 2024 Kohle bringen. Die Vorarbeiten beginnen im kommenden Jahr. Unter anderem wird die Fläche gerodet. Im Jahr 2017 wird mit der Förderung der Kohle begonnen. Stück für Stück nähern sich die einzelnen Schnitte den schon verschwundenen Dörfern. Der Tagebau wird eine Tiefe von bis zu 70 Metern haben. Aus dem Tagebau Profen soll später eine Seenlandschaft entstehen. Dies ist bis 2060/2070 vorgesehen.

In der Hand hält der 60-Jährige ein Transparent. Darauf ist ein schwarzes Kreuz aufgebracht. „Hier stand früher unser Haus, da hinten rechts war der Konsum, links die Schmiede“, ruft er durchdringend. Dort, wo der Mann steht und sich zu diesem Zeitpunkt so viele Menschen verschiedener Generationen treffen, war früher der Ort Grunau. Von der ehemaligen 800 Seelen-Gemeinde ist nichts mehr zu erkennen. Häuser, Höfe, Gärten und Zäune, Hühner, Enten und Gänse sind verschwunden.

Aus Grunau wird ein Baggerloch

Bald gibt es auch diesen Flecken Erde nicht mehr - daher das Kreuz auf dem Schild von Vibranz. Aus Grunau wird das Abbaufeld Domsen im Tagebau der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft (Mibrag). Noch steht aber eine 200-jährige Eiche. Den Baum können die Menschen nicht retten, aber seine „Kinder“. Das sind kleine Pflänzchen, die unter der mächtigen Krone ihrer Mutter zarte Wurzeln geschlagen haben. Mit Spaten und Schippen buddeln Männer, Frauen und Kinder die kleinen Bäumchen aus. Vorsichtig stellen sie diese in Töpfchen. So sichern sie den Fortbestand der Eiche, die das Ortsbild prägte. Es ist eine Aktion, die genau deswegen von der Kulturstiftung Hohenmölsen initiiert worden ist.

Überreste des Elternhauses

Gottfried Vibranz ist vom Schredderberg heruntergeklettert und schleppt mit seiner Schwester Dorothee Berthold auch Töpfe mit Setzlingen an den Wegrand. Das reicht ihnen nicht. Der Mann, der heute in Lutherstadt Wittenberg wohnt, wuchtet Steine daneben. Aus ihnen bestand früher das Elternhaus des Geschwisterpaares.

Es macht kurz Pause. „Sechs Kinder waren wir“, erinnert sich Dorothee Berthold. Wenn sie erzählt, nimmt der verschwundene Hof wieder Form an. Sie schwärmt von dem Teich, den ihr Vater mit Nachbarn baute, von der Hohle, in der die Kinder im Winter rodelten. Sie zeigt den Kartoffelkeller, der im Ansatz sogar noch zu erkennen ist. „Es war das Paradies unserer Kindheit“, fasst sie ihr Leben in Grunau zusammen.

Immer mehr Bewohner verließen den Ort

Die heute 60-Jährige war 15 und ihr Bruder 14 Jahre, als die Familie wegzog. Im Unterschied zu den anderen Einwohnern lag das zwar daran, dass der Vater, der Grunauer Pfarrer, in Lützen einen neuen Bereich bekam. Dennoch ist es ihnen anzusehen, dass es sie berührt, was mit Grunau passierte und passiert. Sie erlebten trotz Wegzug mit, wie eine Familie nach der anderen den Ort verließ. Das war Mitte der 90er Jahre. Viele waren nicht einmal böse darüber, wissen die Geschwister. Die Familien wussten vom Abbau der Kohle. Auf ihrem Land und an ihren Gebäuden tat sich nichts mehr, was den Wert erhalten oder steigern konnte. Ihnen wurden für den Wegzug finanzielle Entschädigungen geboten. Viele nutzten das für einen Neuanfang und bauten sich beispielsweise Häuser in Hohenmölsen.

Generationen kommen nach Grunau

So auch Familie König. Drei Generationen von ihnen sind an diesem Tag nach Grunau gekommen. Das ist der 67-jährige Siegfried König, seine Schwiegertochter Annett König und die 27-jährige Enkelin Madleine König. An dem kleinen Weiher in der Mitte dieses idyllischen Fleckchens stand früher das Haus der Familie. Farbfotos zeigen Madleine König, wie sie als kleines Mädchen im Sommer auf dem Hof spielte. Elf Jahre war sie, als die Familie von Grunau wegging.

Manchmal kommen sie noch an diesen Ort. Sie schauen, was sich verändert hat und ob sie noch erkennen können, wo der Hof war. „Wir kommen nicht her, um zu trauern“, macht Madleine König klar. Ihr Großvater nickt. Ihm und seiner Frau Jutta hatte es die Möglichkeit gegeben, noch einmal ein neues Haus und das mit Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse zu bauen, sagt er. Madleine König hat der Bergbau positiv geprägt. Sie entdeckte ihr Interesse und studierte in diese Richtung. Heute arbeitet sie bei der Mibrag.

Gottfried Vibranz hat seinen Kofferraum mittlerweile voll beladen. Er schaut sich noch einmal nachdenklich um und verlässt den Ort seiner Kindheit. Stille senkt sich wieder über den Flecken, auf dem einst Grunau stand und aus dem bald Bagger die Kohle aus der Erde schaufeln. (mz)

Dorothee Berthold gräbt Setzlinge der alten Eiche aus.
Dorothee Berthold gräbt Setzlinge der alten Eiche aus.
Michael Thomé Lizenz
Die Menschen schauen, ob es sich wirklich um Eichen handelt.
Die Menschen schauen, ob es sich wirklich um Eichen handelt.
Michael Thomé Lizenz