Weißenfelser nehmen Anteil Weißenfelser nehmen Anteil: 70 Menschen trauern in Sankt Marienkirche um Opfer in Halle
Weissenfels - Gudrun Lindner hat mit 70 weiteren Menschen in der Sankt Marienkirche in Weißenfels Platz genommen. Es ist Donnerstag und sie nimmt an dem Friedensgebet teil, zu dem Pfarrer Martin Schmelzer zum Gedenken der Opfer des Anschlages am Mittwoch in Halle eingeladen hat. Gudrun Lindner erinnert sich, dass ihr ihre Mutter früher erzählte, wie die Juden in Leipzig verfolgt wurden. „Das hat sich bei mir eingebrannt“, sagt die Seniorin. Daher fühle sie mit ihnen.
Menschen in Halle haben Tag voller Schrecken erlebt
Christian Rauch ist auch gekommen. Er sagt, dass er die Synagoge in Halle, in der der Täter viele Menschen töten wollte, persönlich kenne. Das sei ganz nah dran an ihm. So hat jeder der Besucher der Kirche einen Grund, an diesem Abend dorthin zu kommen.
Die Menschen in Halle hätten einen Tag voller Schrecken erlebt, sagt Martin Schmelzer. „Solche Taten ängstigen die Menschen.“ Martin Schmelzer sagt, es gebe Tage, an die sich die Menschen immer erinnern werden und der 9. Oktober 2019 sei ab jetzt so ein Datum. Und so beten und schweigen die Besucher der Sankt Marienkirche und sind in Gedanken bei den Betroffenen in Halle.
Miteinander mit allen Menschen und Kulturen in Weißenfels weiter zu pflegen
Der Weißenfelser Stadtratsvorsitzende Jörg Freiwald (Die Linke) zeigt sich sehr erschüttert über den Anschlag. Wichtig sei es, das Miteinander mit allen Menschen und Kulturen in Weißenfels weiter zu pflegen und voranzubringen, sagt er. Nur so könne dem offensichtlichem Antisemitismus entgegengetreten werden. Es sei an diesem Tag deutlich geworden, dass dies überall passieren könne, sagt er. „Der Täter war ein Schläfer, der jetzt wach geworden ist“, sagt er.
Entsetzt zeigte sich Jörg Freiwald aber auch darüber, welche Aufmerksamkeit die von den Taten veröffentlichten Videos bekamen. „Ich frage mich, was in den Köpfen derjenigen vorgeht, die sich das ansehen“, sagte er. Die Tat zeige, dass der Terrorismus nahe gerückt sei, sagt der katholische Gemeindeassistent von Weißenfels, Martin Papke. Sonst sei immer von Berlin, München oder Köln gesprochen worden, sagt er. Und nun: Halle. „Daher ist es jetzt keine Zeit der Floskeln, sondern wir müssen jetzt die Ohnmacht aushalten“, sagt er.
Antisemitismus sei verbreiteter, als manche Menschen wissen
Papke war bei der ganzen Tragik aber über eine Sache positiv überrascht. Und zwar, wie schnell und professionell die Polizei agierte. „Das hätte ich mir nicht zu träumen gewagt“, sagt er. Er selber sei gerade auf der Bundesstraße 91 von Teuchern aus nach Weißenfels unterwegs gewesen, als ihm kurz nach 14 Uhr das Großaufgebot der Kräfte entgegen kam. Zu dieser Zeit wurde der Täter bei Werschen gefasst. „Und daher ist es auch weiter ein gutes Gefühl in Weißenfels zu wohnen“, so Papke.
Ihn habe es besonders betroffen gemacht, als er von den Geschehnissen in Halle erfuhr, sagt Enrico Kabisch, Vorsitzender des Weißenfelser Simon-Rau-Zentrums, welches sich mit der jüdischen Vergangenheit der Stadt befasst. Antisemitismus sei verbreiteter, als manche Menschen wissen und das weltweit, sagt er. „Jetzt ist es daher wichtig, dass diese Tat in Halle nicht nach 14 Tagen vergessen ist, sondern wir uns damit weiter auseinandersetzen“, sagt er. (mz)