Spurensuche in Weißenfels Weißenfels: Wie plötzlich das Licht in der Schuhfabrik ausging

Weißenfels - Nein, die Schuhstädte Weißenfels und Pirmasens (Rheinland-Pfalz) lassen sich letztlich kaum vergleichen. Wie die Soziologin Julia Gabler am Freitagabend in den Räumen des Kunstvereins Brand-Sanierung verdeutlichte: Hier an der Saale ging faktisch über Nacht das Licht aus, dort gab es schon seit Jahrzehnten einen schleichenden Tod.
Hier steht von den alten Werkhallen kaum noch etwas, dort wurden sie teilweise von einem Unternehmer gekauft, um- und ausgebaut und vermarktet. Heute kann man da auch nobel essen. Hier siechte die Region aufgrund völlig anderer Startbedingungen dahin, die Arbeitslosenzahl erhöhte sich sprunghaft und wer konnte, der ging. Dort gab es gravierende Einschnitte, doch noch leben viele von der Schuhbranche.
In Weißenfels ist die Schuhindustrie längst tot
Die 37-jährige hatte die Entwicklung von Pirmasens im Vergleich zu Wittenberge im Osten recherchiert. Erst später gab es den Gedanken, Weißenfels als vergleichbare Schuhstadt zu untersuchen. Zu dem Thema hat sie ihre Dissertation geschrieben und ist nun promovierte Soziologin.
Die Tore der Saaleschuh GmbH, die aus der Schuhfabrik „Banner des Friedens“ hervorgegangen war, schlossen sich am 14. Februar 1992 für immer. Noch im Februar 1990 war jedem ein Arbeitsplatz zugesichert worden, davon war Monate später keine Rede mehr.
Im April und Mai wurde mit der Sperrung der Saalebrücke auf die Situation aufmerksam gemacht. 1991 wurden 800 Menschen entlassen. (hz)
Die Frau stammt aus Rostock, hat in Jena studiert und lebt jetzt in Görlitz. An der Neiße lebt die Schuhindustrie noch, während in Weißenfels - niemand wusste am Freitag etwas Genaues - vielleicht noch 20 Leute in ihrem alten Beruf tätig sind.
Verfolgene Illusionen nach der Wende in Weißenfels
Julia Gabler las natürlich aus ihrer Arbeit mehr über Weißenfels, das Wildberg heißt, wie auch die Gesprächspartner ab 2010, deren Namen verändert sind, Rudi Ment und Lutz Verbinder genannt werden. Doch wer die Gegebenheiten in der Saalestadt, kennt, weiß, dass es sich um die Gastwirte vom „Saalestrand“ und dem Geleitshaus handelt.
Bei ersterem waren die Illusionen 20 Jahre nach der Wende verflogen. Wurde in den ersten Jahren oft auf die neue Zeit angestoßen, schrumpfte die Kneipenszene der Stadt und spiegelte den wirtschaftlichen Niedergang. Mit dem Geleitshaus-Pub installierte der Chef, der mal Lokführer war und die Wende als Chance zur Veränderung sah, seine Welt. Er holte Irland und seine Pub-Atmosphäre an den Saalestrand und traf den Nerv vieler Gäste.
Stunden vor der Freitag-Veranstaltung war Frau Gabler zum Fototermin dort, wo es einst die Schuhfabrik „Banner des Friedens“ in der Markwerbener Straße gab. Heute stehen noch die Ruinen des sogenannten Westflügels und das Quadrat des ehemaligen Speisesaals, das wie eine Insel auf der Brache wirkt.
Alte Schuhfabrik in Weißenfels: Erinnerungen werden wach
Man sollte aus dem Gebäude etwas machen, damit die Menschen sich an jene Zeit erinnern können, wo für sie Schuhe Arbeits- und Lebensinhalt waren, ließ Julia Gabler hören. Vielleicht könnte man auch zeigen, wie Schuhe mal hergestellt wurden. Dazu sei man damals nicht imstande gewesen, meinte Manfred Rauner, der seit der Wende in der Stadt CDU-Politik macht. „Da hatten wir andere Sorgen. Wir haben viel erreicht, aber nicht genug.“
Ein Glücksfall war, dass Dietmar Meisl (82) anwesend war. Er gehörte zur Kombinatsleitung, sprach von 40.000 Menschen in der DDR-Schuhindustrie. Er war kurz arbeitslos, nachdem sich das Geschäft mit den Russen, die kein Geld hatten, zerschlagen hatte. Kurz danach landete er in Pirmasens und verkaufte fortan im Osten Schuhkollektionen.
Der Leißlinger Udo Heilemann sagte: „Diese Chance hatten nicht viele.“ Sie landeten teilweise in sinnlosen Umschulungen und suchten krampfhaft einen Job. „Da wurden Leben zerstört.“ (mz)
