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Weißenfels Weißenfels: Visite beim Puppendoktor

Von Petra Wozny 22.03.2012, 18:25

Weissenfels/MZ. - "Notarzt" steht auf dem roten T-Shirt. Seit über einem halben Jahrhundert hilft Günter Geier in akuten Fällen. Der promovierte Puppendoktor behandelt seine "Patienten" bei Schädelbasisbruch, Augenleiden, Blinddarmentzündung, Bauchschmerzen und Sehnenentzündung.

Seit Donnerstag ist der 72-Jährige mit seinem Arztkoffer im E-Center Weißenfels auf Visite. Mit im Gepäck hat er Gummibänder, Sägen, Zangen, Feilen, Fäden, Leim und Binden. Rund 10 000 Glasaugen, 200 Perücken, etwa 200 Köpfe, Kisten voller Beine und Arme stehen um ihn herum. Eigentlich, so verrät er, arbeitet er an seinem Ruhestand. Der Bamberger habe aber für seine Praxis noch keinen Nachfolger. Puppendoktoren seien selten geworden, bedauert der Mann mit den weißen Haaren. Darum widmet er sich auf seiner sogenannten Abschiedstour durch Deutschland wie immer den kranken Puppen und Teddys.

Eine der ersten Patienten in der Saalestadt ist Anni. Die Beine sind schwer. "Typischer Fall von einem verschleppten Hüftleiden", schätzt der Puppendoktor ein. Anni hat ja auch schon ein Jahrhundert in den Knochen. "Sie ist älter als ich", schildert die Puppenmutter Doris Mühl. Die 76-Jährige hängt an diesem Erbstück und wünscht sich sehr, dass es wieder heil ist. "Die Behandlung dauert etwas länger", meint der "Arzt". Anni muss stationär aufgenommen werden, was soviel heißt, als dass die Seniorin ihren Liebling am Samstag abholen darf. Derweil packt der Puppenchirurg einen anderen Patienten auf den Behandlungstisch.

Den Grundstein für sein handwerkliches Können, so erzählt er bei der nächsten Notoperation an einem brüchig gewordenen Bauch, habe er eigentlich schon in seiner Kindheit gelegt. Da habe er die Puppen seiner Schwestern regelrecht zerlegt. "War doch interessant hineinzusehen, wie sie innen funktionieren", sagt er mit einem verschmitzten Lachen. Puppen von damals seien richtige Wunderwerke mit Klappglasaugen, Wimpern und Stimme im Bauch. Nach der Schneiderlehre absolviert er bei einem alten Puppendoktor ein neunmonatiges Praktikum und trainiert sein Geschick. 1964 promoviert er sich selbst zum "Dr.med.pupp." und wagt den Schritt in die Selbstständigkeit.

Seine Praxis betreibt er in Bamberg, zusätzlich tourt er seit vielen Jahren durch die Lande. Es seien nicht nur die Puppen, sondern die Geschichten der Besitzerinnen, die ihn sehr beschäftigen. Frauen, oft im Alter zwischen 50 und 70 kämen ohne Termin mit ihrem Spielzeug, welches aus der Kriegszeit übrig blieb. "Mitunter ist die Puppe das einzige, was den Frauen geblieben ist. Sie ist Kindheit und sie ist auch Heimat", schildert Geier. Den jüngeren Frauen, die seine Arztpraxis aufsuchen, sei daran gelegen, ein Stück von der Oma oder der Mutter zu erhalten. Die meisten der Porzellan-, Celluloid- oder Pappmacheépuppen sowie Teddybären haben ein interessantes Leben hinter sich, schildert Günter Geier während der Anamnese eines nächsten Patienten. Mancher Patient habe jahrzehntelang vergessen auf einem Speicher gelegen, mancher werde sorgsam behütet, bestrickt und artig aufs Sofa zwischen die Kissen gesetzt. An Aufträgen habe es ihm über die Jahrzehnte nie gemangelt. Tausende kleine Puppenkinder habe er kuriert. "Früher gab es gerade im Thüringischen so viele Puppenhersteller. Es ist einfach schade, dass sie alle weg sind und die Kinder mit Spielzeug aus Fernost versorgt werden", bedauert der Senior, der selbst schon Großvater ist. Auf den Medikus wartet der nächste Patient, ein ganz schlimmer Fall: Die Wirbelsäule muss erneuert werden. "Ist sie denn krankenversichert", fragt der Puppendoktor verschmitzt die Besitzerin der Käthe-Kruse-Puppe und zaubert so auch ein Lächeln in das Gesicht der besorgten Puppenmutter.

Der Puppendoktor ist am Freitag und Samstag von 9 bis 18 Uhr im E-Center (Heuweg-Center), Merseburger Straße 135, Weißenfels zu erreichen.