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Streit mit Sozialagentur Streit mit Sozialagentur: Ämter kontra Oma

Von Petra Wozny 15.05.2013, 17:54
Gwendoline nimmt in der Grundschule am Sportunterricht teil.
Gwendoline nimmt in der Grundschule am Sportunterricht teil. Peter Lisker Lizenz

Hohenmölsen/MZ - Jeden Morgen fährt Rosemarie Rockstroh von Weißenfels nach Hohenmölsen. Dort besucht die 62-Jährige die dritte Klasse der Grundschule - gemeinsam mit ihrer Enkelin Gwendoline Thurm. Das neunjährige Mädchen braucht die Hilfe seiner Oma dringend, denn es sitzt im Rollstuhl. Die Erbkrankheit spinale Muskelatrophie ist Schuld daran. Impulse vom Gehirn werden an Gwendolines Beine nicht weitergegeben. So fehlt ihr die Kraft zum Laufen, manchmal auch, um ihre Schulbücher aufzuheben und in den Rucksack zu packen. Auf die Toilette kann sie gar nicht allein. „Ich bin froh, dass mir die Omi so hilft“, sagt das zierliche Mädchen leise.

Wesentlich lauter erhebt Gwendolines Vater, Michael Thurm, seine Stimme. „Gwendolines Behinderung fordert unsere gesamte vierköpfige Familie. Doch das packen wir organisatorisch“, versichert er. Gegen die Behörden kommt er gegenwärtig nicht an. „Alle reden von Inklusion. Doch ich renne gegen Wände, um Hilfe für mein Kind zu bekommen. Nun habe ich ein Verfahren angestrengt“, erklärt der betroffene Vater. Er erklärt den Hintergrund: Es sind die gesetzlichen Regelungen zur Eingliederungshilfe, die es jedem Behinderten möglich machen sollen, am normalen Alltag teilzuhaben. Gwendoline geht in die Grundschule Hohenmölsen. Hier befinden sich ein Fahrstuhl und behindertengerechte Toiletten. „Sie hat rücksichtsvolle und verständnisvolle Lehrer“, lobt Michael Thurm. Bislang stand der Familie eine gute Freundin aus Lösau als Integrationshelferin zur Seite. Im vergangenen Herbst starb sie - seitdem kämpft Familie Thurm gegen die Bürokratie in der zum Sozialministerium gehörenden halleschen Sozialagentur.

Ist hier die Schulpflicht für Behinderte etwa nachrangig?

Zwar sprang nach dem Unglücksfall sofort Gwendolines Oma ein, damit das Kind weiterhin die Schule besuchen kann, aber die Sozialagentur in Halle verwehrte ihr bislang die entsprechende Vergütung aus dem persönlichen Budget des behinderten Kindes. Der festgelegte Satz beträgt 923 Euro brutto. Den Behinderten steht es dabei frei, wann, wie und wo sie selbstentscheidend Leistungen, in dem Fall die Betreuung während der Schulzeit, in Anspruch nehmen. „Grundsätzlich“, so heißt es in diesem Zusammenhang aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, „können diese Teilhabeleistungen auch von Familienmitgliedern erbracht und im Rahmen des persönlichen Budgets abgegolten werden.“ „In unserem Falls heißt jedoch immer: Geht nicht! Statt dessen favorisiert man einen Träger wie das DRK, der aber für Hohenmölsen gar keinen Helfer einsetzen kann“, wettert Thurm und lenkt den Blick nach Sachsen. Dort gehe das Bundesland anders an solche Sachen heran. Die Ämter, so habe er recherchiert, würden sogar das persönliche Budget bevorzugen, weil es weniger Kostern verursachen würde als einen Träger zu finanzieren. Dort gingen sogar Eltern mit ihren Kindern in die Schule, sagt Michael Thurm und versteht die Welt im Bundesland Sachsen-Anhalt nicht. Ist hier die Schulpflicht für Behinderte etwa nachrangig? hinterfragt er. „Von den Ämtern bekomme ich gesagt, dass der Grundsatz der Nachrangigkeit gelte. Das heißt, wir müssen uns im Rahmen der eigenen Kräfte und Finanzen helfen. In welchem Maße dies bei uns überhaupt geht, wurde weder in unserer Familie noch bei der helfenden Großmutter überprüft“, sagt Thurm.

Aus dem Sozialministerium hieß es am Dienstag: „Wir sehen gute Chancen für eine Verständigung zwischen Familie und Sozialamt auf der Grundlage des Gesetzes. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stehen natürlich die Bedürfnisse des Mädchens, damit eine soziale Eingliederung und Teilhabe möglich ist. Wir möchten nicht einen Vorwurf provozieren, die öffentliche Hand würde das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung missachten.“ Gwendolines Eltern sind bislang enttäuscht. Ihre Meinung steht fest: „Wir sind keinen Schritt weiter.“