Experte antwortet Sex im Alter: Das sagt ein Sexualwissenschaftler zu dem Tabuthema

Weißenfels - Sex im Alter gilt als Tabuthema. Aber warum ist das so? MZ-Mitarbeiterin Christiane Rasch sprach darüber mit Harald Stumpe, Sexualwissenschaftler an der Hochschule Merseburg.
Es entsteht der Eindruck, dass „Sexualität im Alter“ in der Gesellschaft tabuisiert wird. Woran liegt das?
Harald Stumpe: Wenn wir die öffentliche Meinungsbildung zum Thema „Sexualität und Lebensalter“ sehen, stellt man fest, dass es nach wie vor zwei Tabubereiche gibt. Das betrifft die kindliche Sexualität und den Bereich des Alters.
Sex und Alter - das passt nicht und hat nichts miteinander zu tun. Diese Vorstellung ist vom Christentum geprägt. Dort wird Sexualität nur im Zusammenhang mit Fortpflanzung gesehen. Die ist beim Kind nicht möglich und bei Frauen ab einem bestimmten Alter auch nicht mehr.
Sofern ist Sexualität tatsächlich nur bejahend im jugendlichen und erwachsenen Alter. Wenn man sich über das Thema in der Familie verständigt, stellt man fest, dass viele Kinder, die mittlerweile erwachsen sind, sich nicht mehr vorstellen können, dass ihre Eltern mit 60 oder 70 Jahren noch Sex haben. Das ist fest in den Köpfen verankert.
Also spielt Sexualität im Alter durchaus noch eine Rolle?
Stumpe: Auf alle Fälle! Es gibt aber einen klaren Trend. Alle Untersuchungen zeigen, dass im Alter das sexuelle Bedürfnis nicht mehr so groß ist wie in jüngeren Jahren.
Der sexuelle Akt als solcher spielt im höheren Alter nicht mehr die große Rolle. Stattdessen wird der Zärtlichkeitsaustausch viel wichtiger. Natürlich findet auch Sex im klassischen Sinne noch statt.
Die Frequenz sinkt mit dem Alter aber deutlich. Jedoch ist es nicht so, dass kein sexuelles Bedürfnis mehr existiert.
Glauben Sie, dass Pflegekräfte ausreichend für dieses Thema sensibilisiert sind?
Stumpe: Das sind sie noch nicht. In der Altenpflege-Ausbildung spielt dieses Thema in aller Regel eine untergeordnete Rolle. Wir hatten an unserer Hochschule Studierende, die entsprechende Fortbildungsveranstaltungen gemacht haben.
Es ist auch so, dass immer mehr Träger von Altenheimen versuchen, dieses Thema in die Fortbildung aufzunehmen. Ich habe selber schon Veranstaltungen mit Pflegekräften gemacht und weiß, dass es da bei vielen eine große Unsicherheit gibt.
Wichtig ist, dass in Zukunft mehr Fortbildungen zu diesem Thema stattfinden - und nicht nur eine Stunde. Da besteht meist zuerst einmal Redebedarf, was die Sexualität der Pflegekräfte betrifft. Jeder Mensch, der aufgeschlossen seine eigene Sexualität leben kann, dem fällt es leichter, sich mit dem Thema zu befassen. (mz)
