Merseburg Merseburg: Unmut über Strittmatter-Buch
Merseburg/MZ. - Joachim Jahns gab sich gleich zu Beginn sehr volksnah, rückte seinem Publikum in der Willi-Sitte-Galerie in Merseburg gestenreich, bewusst freundlich schon fast auf die Pelle. Vielleicht ahnte er schon, was am Ende seiner Buchlesung am Mittwoch auf ihn wartete? Denn ganz kritiklos nahmen die rund 30 Besucher das neueste Werk "Erwin Strittmatter und die SS" des Autors und Verlegers nicht hin.
"Meine Verärgerung nahm von Minute zu Minute immer mehr zu. Ich finde Jahns nimmt sich zu wichtig. Außerdem muss es doch nicht sein, auf diese Art und Weise in dem Vermächtnis Verstorbener zu forschen. Ich empfinde das als pietätlos", erboste sich Gerd Meyer aus Merseburg.
Zuvor hatte der gebürtige Querfurter Joachim Jahns, der seinen dort gegründeten Dingsda-Verlag jetzt in Leipzig führt, rund eine Stunde über die Nazi-Vergangenheit des berühmten Schriftstellers Erwin Strittmatter referiert. Dabei zeigte Jahns Beweise auf, nach denen Strittmatter unwiderruflich ab 1941 freiwillig der Ordnungspolizei im Dritten Reich beigetreten war. Die wiederum wurde später der Waffen-SS unterstellt. Der Schriftsteller soll aber, so Jahns, dieser selbst explizit nicht gedient haben. Trotzdem habe er das Zeit seines Lebens verschwiegen.
Jahns kam diesem Umstand auf die Spur, als er sich 2007 mit dem Thema Nazi-Vergangenheit beschäftigen musste. "Ich hatte gerade ein Buch verlegt, in dem der gebürtige Weißenfelser Erich Steidtmann als Nazigröße entlarvt wurde", erzählte Jahns über sein daraufhin verlegtes Buch "Der Warschauer Ghetto-König" und einem anschließenden, gewonnenen Prozess gegen Steidtmann (die MZ berichtete mehrfach). "Dadurch war ich sensibilisiert für diese Themen und als ich über Strittmatter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) entsprechend las und auf Missverständnisse bezüglich der Vergangenheit des Schriftstellers stieß, musste ich einfach recherchieren. Denn klare Beweise fehlten in dem Artikel", erklärte Jahns.
Heraus kam ein Buch, das voll an beweiskräftigen Details über Strittmatters Wirken zur Zeit des Dritten Reiches ist. Musterungskarteiblätter, Stasiunterlagen, aber keine persönlichen Akten. "Nach der Veröffentlichung kam seine Familie auf mich zu und zeigte ihren Respekt mir gegenüber, wie ich, ohne Einsicht in familiäre Unterlagen, so ein Buch schreiben konnte", freute sich Jahns über das leicht ironische Lob.
Das gab es von Zuhörer Meyer nicht, der Jahns einen "Korinthen-Sucher" nannte. "Das ärgert mich nicht", so der Kritisierte, "wenn man keine Möglichkeiten hat, in persönliche Akten zu schauen, muss man halt Korinthen suchen."
Michael Finger, ein weiterer Besucher aus Merseburg, wollte dagegen mit Jahns Aufforderung, Strittmatter müsse nun anders gelesen werden, nicht mitgehen. "Ich finde, das ist nicht nötig, Strittmatter bleibt Strittmatter. Ich frage mich allerdings, warum das Enthüllungsbuch ausgerechnet jetzt, zum 100. Geburtstag erscheinen musste", beschwerte sich Finger ebenfalls über Autor Jahns, wenngleich seine Frau das Buch trotzdem schon gekauft habe.
Finger kritisierte aber auch den Schriftsteller Strittmatter posthum: "Leider können wir ihn ja nicht mehr zu der Angelegenheit befragen. Ich finde, er hätte zu Lebzeiten durchaus offensiver mit dem Thema und seiner Vergangenheit umgehen können."