1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Weißenfels
  6. >
  7. integra Wohngemeinschaft in Weißenfels: integra Wohngemeinschaft in Weißenfels: Zu wenig Geld für Behinderte

integra Wohngemeinschaft in Weißenfels integra Wohngemeinschaft in Weißenfels: Zu wenig Geld für Behinderte

Von Heike Riedel 18.06.2016, 05:00
In der Küche übernimmt Anne Herda kleine Pflichten. Manuel Machner von der Integra hilft ihr dabei.
In der Küche übernimmt Anne Herda kleine Pflichten. Manuel Machner von der Integra hilft ihr dabei. Peter Lisker

Weißenfels - Anne Herda ist in ihrer Wohngemeinschaft (WG) glücklich. Doch dieses Glück ist getrübt von der Sorge, dass die 28-Jährige dort vielleicht wieder ausziehen muss. Denn die Sozialagentur lehnt es ab, der jungen Frau mit Behinderung das Wohnen und die dazugehörige notwendige Pflege und Betreuung zu bezahlen.

Die Eltern aller drei Teilnehmer an der Wohngemeinschaft kämpfen dafür, dass ihre Kinder, die ihr Leben lang mit schweren Handicaps zurechtkommen müssen, maximal am Leben der Gesellschaft teilhaben können. Und das geht für sie am besten in dieser WG.

Kampf um Finanzierung

Anne Herda, Robert Herrmann (26) und Barbara Adler (54) besuchen sieben Stunden täglich eine Fördergruppe, danach geht ihr Alltag in der kleinen Gemeinschaft weiter. In der Promenade in Weißenfels hat ihnen die Integra gGmbH Weißenfels, ein Träger der Behindertenhilfe, das passende Angebot des ambulant betreuten Wohnens geschaffen. „Gute Erfahrungen damit in anderen Bundesländern haben uns dazu angeregt“, sagt Integra-Chef Ralph Müller. Der Bedarf sei da und steige. Die Unterbringung in Wohnheimen sei für einige Behinderte nicht die Lebensperspektive. Und rechtlich sei die ambulant betreute Wohnform auch vorgesehen.

Doch seit dem ersten Bezug 2014 kämpfen Bewohner, deren Eltern und die Integra um die Finanzierung. Die Eltern sind zuletzt mit Rechtsanwälten gegen einen Bescheid von nur 12,48 Euro vorgegangen. Mit diesem Betrag soll nach Vorstellungen der Sozialagentur täglich die Betreuung in der WG finanziert werden. Nach der Landtagswahl hoffen nun alle auf eine Lösung. Doch es scheint klar zu sein, woran diese nun offenbar hängen bleibt.

Zur Gewährung von Chancengleichheit steht im Koalitionsvertrag der Regierung Sachsen-Anhalts: Bei der Finanzierung der Eingliederungshilfe hat das Land auf allen Ebenen erheblichen Nachholbedarf. Es gibt wenig ambulante Angebote, dafür fällt der Anteil an stationären und teilstationären Angeboten überdurchschnittlich hoch aus. Da die Ausgaben für die stationären und teilstationären Angebote im Bundesvergleich erheblich unter dem Durchschnitt liegen, sind Korrekturen nötig, wenn man nicht Gefahr laufen will, die Fachkräfte an andere Bundesländer zu verlieren. (Sprich: Pflege- und Betreuungspersonal ist besser zu bezahlen.)

Teilhabeangebote müssen die Person im Zentrum haben. Damit sie ihre Wirkung erzielen, ist eine sensible Analyse der Angebotsstrukturen vorgesehen unter Berücksichtigung von Praxislösungen, die eventuell bereits anderswo in Deutschland gefunden worden sind. Diese gilt es auf ihre Eignung für sachsen-anhaltische Verhältnisse zu überprüfen, modellhaft zu erproben und gegebenenfalls flächendeckend einzuführen. Dabei ist insbesondere eine Abkehr von der starren Logik der Leistungstypen zu prüfen. Auch Aufgaben, Struktur und Ressourcen der Sozialagentur sind zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.  HR

Die Finanzierung des ambulant betreuten Wohnens mit erhöhtem Hilfebedarf aus Mitteln der Eingliederungshilfe ist für Ralph Müller dabei nur ein Problem von vielen, die sich in der Vergangenheit so entwickelt haben, dass die Integra in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten droht. Das Unternehmen musste bereits aus seinen Rücklagen eine Lücke von 900 000 Euro schließen, weil es das Geld für seine Pflegeleistungen auch in anderen Bereichen nicht erhält. In Werkstatt, Fördergruppen, Wohnheimen, intensiv betreutem Wohnen, ambulant betreutem Wohnen sowie in der Tagesförderung entsteht das Minus. Auf die Aufforderungen zur Angleichung der Leistungsentgelte nach mehreren Tariferhöhungen für das Personal habe es bisher keine Reaktion der Sozialagentur gegeben, erklärt Müller. „Wir haben Darlehen für unser aktuelles Bauprojekt aufnehmen müssen“, spricht er von den Auswirkungen auf die Integra. Die Behinderten sollen nicht unter dem Finanzierungsstreit mit der Sozialagentur leiden, unterstreicht er.

Problem ist kein Einzelfall

Dass Pflegeleistungen nicht angemessen bezahlt werden, sei nicht nur in Weißenfels, sondern überall im Land so, weil es in den letzten Jahren keine Angleichung der Leistungsentgelte an die tatsächlichen Kosten gegeben habe. Dass mehr als 500 ungeklärte Angelegenheiten bei der Schiedsstelle des Sozialministeriums, in der auch die Liga der Wohlfahrtspflege vertreten ist, anhängig sind, ist Ausdruck dessen, dass diese Probleme kein Einzelfall sind. Deshalb wird im Koalitionsvertrag der neuen Regierung davon gesprochen, dass es nötig sei, das verloren gegangene Vertrauen zwischen der Sozialagentur (als Finanzier von Sozialleistungen) und den Leistungserbringern (wie die Integra einer ist) und deren Klienten (die Behinderten) wieder herzustellen.

Nun stimmt Müller optimistisch, dass in der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen sachbezogen mit Sozial- und Integrationsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) diskutiert wurde. Daraus schöpft er die Hoffnung, dass die Verhandlungsblockade mit der Sozialagentur durchbrochen und konstruktiv nach Lösungen für verschiedene Probleme - auch das der Wohngemeinschaft - gesucht wird. Schließlich muss das zur Durchsetzung der UN-Behindertenkonvention geschaffene Recht bezahlt werden. (mz)