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Acht Jahre auf Droge Crystal Meth: Ex-Süchtiger berichtet: So kam ich von der Droge weg

26.03.2017, 11:49
Auch das kann Chrystal Meth anrichten - die Zähne werden völlig zerstört.
Auch das kann Chrystal Meth anrichten - die Zähne werden völlig zerstört. Archiv

Weißenfels - Sebastian Caspar nahm acht Jahre die Droge Crystal Meth. Zwei Jahre dauerte es, bis er davon loskam. Heute redet der 38-Jährige vor Schülern über seine Erfahrung. Der gebürtige Weißenfelser, der heute in Leipzig lebt, hat sie auch in seinem Roman „Zone C“ veröffentlicht. Mit MZ-Mitarbeiterin Andrea Hamann-Richter sprach er über die Jahre der Sucht und über Crystal Meth.

Warum verbreitet sich Crystal Meth so sehr?
Caspar: Crystal passt in unsere Zeit, weil unsere Gesellschaft krank ist. Wir rennen allem hinterher, müssen an allem teilnehmen und dabei perfekt sein. Die inneren Werte gehen verloren. Nehmen wir mal die Jugend und Intimität. Früher lernte man sich kennen, verliebte sich, küsste sich. Heute gibt es gleich Sex. Bei vielen Mädchen gibt es noch einen anderen Grund. Mit Crystal nehmen sie schnell und rapide ab - entsprechen dem perfekten Bild. Die Gesellschaft ist schnelllebig und oberflächlich geworden.

Warum verfallen so viele Jugendliche der Droge?
Caspar: Man sagt den jungen Menschen, sie hätten alle Möglichkeiten. Das stimmt aber nicht. Sie müssen erst einmal Leistung bringen, um die Möglichkeiten in Anspruch nehmen zu können. Dadurch herrscht Druck. Wo Druck herrscht, hat Crystal Macht.

Wie wirkt es?
Caspar: Der, der es nimmt, wird zu dem, der er sein möchte. Von einem Moment auf den anderen wird er Supermann. Am Anfang ist alles top. Die Droge lässt sich gut in den Tagesablauf integrieren. Man wäscht sich, man pflegt sich, man ist top drauf. Man macht mit einem unglaublichen Engagement die banalsten Sachen.

Es heißt, Crystal gibt es in allen Reihen der Gesellschaft. Stimmt das?
Caspar: Ja. Überall werden Höchstleistungen erwartet. Das Crystal verschafft dem Körper die Power und im Kopf einen unglaublichen Durchblick. Jeder Arbeitgeber freut sich, wenn der Angestellte 70 Stunden in der Woche arbeitet und das, ohne erschöpft zu sein.

Hört sich verlockend an!
Caspar: Das geht die erste Zeit gut. Crystal wirkt aber nicht nur tausendmal intensiver, als andere Drogen. Es macht auch tausendmal mehr kaputt. Zum Schluss nimmt man es, fühlt sich zehn Minuten gut und liegt dann nur noch abgeklatscht in der Ecke. Man ist kaputt, todmüde, aber kann drei Tage hintereinander nicht schlafen.

Wann haben sie angefangen?
Caspar: Ich war 19. Wir wussten nicht, was es für Auswirkungen haben wird. Wir legten die Kristalle auf einen Spiegel oder eine CD-Hülle. Heute werden Handydisplays benutzt. Dann haben wir sie mit einer EC-Karte zerkleinert. Allein schon das Geräusch dieses Knirschens. Die Vorfreude, die dadurch aufkam, war unglaublich.

Crystal Meth: So wirkt die Teufelsdroge

Und dann?
Caspar: Haben wir es uns in die Nase gezogen. Wir lagen aber nicht zugedröhnt und sabbernd in der Ecke. Wir bekamen eine unglaubliche Klarheit und wurden viel effektiver mit einem tollen Gefühl. Ein Vergleich: Nach Sport schüttet der Körper Endorphine aus. Das macht ihn zufrieden, ausgeglichen und der Kopf ist frei. Bei Crystal geschieht das in tausendfacher Menge.

Wieso konnte Ihre Mutter Ihnen nicht helfen?
Caspar: Meine Mutter ist von Beruf Psychologin, aber für mich war sie in erster Linie meine Mutter. Sie hatte keine Chance. Ich habe sie einfach nicht an mich herangelassen.

Wie sind Sie von Crystal losgekommen?
Caspar: Ich habe eine substanzabhängige Sucht durch eine substanzunabhängige Sucht ersetzt - die Liebe. Ich hatte meine Frau kennengelernt. Aber ich habe zwei Jahre gebraucht - mit Rückfällen.

Können Sie erzählen, wie es zu diesen Rückfällen kam?
Caspar: Oft habe ich mir in dieser Zeit vorgenommen, mit dem Zeug aufzuhören. Jeder Süchtige realisiert ja, dass das was er macht, nicht gesund und gut für seine Lebensentwicklung ist. Manchmal ging das auch ein paar Wochen gut. Aber nur solange, bis ich wieder in Situationen kam, in denen Crystal verfügbar war und andere konsumieren. Da warf ich schnell alle Vorsätze über Bord.

Ich machte mir was vor, erfand unmögliche Gründe, warum es jetzt okay ist, noch einmal zu konsumieren. Doch mit dem erneuten Konsum steckte ich sofort wieder in der Spirale drin, die Sucht heißt. Die unbedingte Motivation und der Wechsel des sozialen Konsumumfeldes ist unabdingbar, um nachhaltig der Sucht etwas entgegenzusetzen.

Wie sieht denn so ein Entzug aus?
Caspar: Jedes Mal, nachdem man konsumiert hat, gibt es ja eine Art „kleinen“ Entzug - man kommt runter. Dieses Runterkommen ist so quälend, dass die Versuchung groß ist, nachzulegen. Heißt, weiter zu konsumieren. Das Runterkommen ist geprägt von einer immensen körperlichen Abgeschlagenheit und inneren Leere, die bis hin zu Selbsthass und schweren depressiven Phasen führt. Man hat sich durch die Droge auf das Level 1 000 geschossen, jetzt fällt man umso tiefer.

Was raten Sie Eltern, deren Kinder die Droge nehmen?
Caspar: Sie sollten ihr Kind fallen lassen. Und das absolut. Ich bin selbst Vater und weiß wie brutal sich das anhört. Ich kenne aber Töchter, die klauen die Kreditkarten ihrer Eltern. Familien zerbrechen und die Kinder wollen gar nicht aufhören, weil es ihnen so gut mit Crystal geht. Es läuft ja alles so, wie es soll. Da kommt niemand heran, bis sie ganz unten sind.

Sie arbeiten mit der Weißenfelser Polizei zusammen?
Caspar: Ja. Sie hat nicht nur erkannt, sondern auch zugegeben, dass es ein Crystal-Problem gibt. Das ignorieren ganz viele Kommunen. Deshalb hat sie mich kontaktiert. Wir fahren zusammen zu Schulen und halten Vorträge. Finanziert wird das durch die Stadt Weißenfels und durch die AOK.

(Anm. d. Red.: Das Drogenpräventionsprojektes heißt „klar sehen–clean bleiben“. Außerhalb der Finanzierung durch Stadt und AOK gibt es mit der Suchtberatungsstelle des DRK im Burgenlandkreis und der Polizei des Burgenlandkreise weitere Projektpartner.)

Was machen sie dort konkret?
Caspar: Ich lese aus meinem Roman, der von Jugendlichen handelt, die Crystal nehmen. Ich rede mit den Schülern. Ich sehe mich aber nicht als Ex-Drogenabhängiger, sondern als Botschafter. Ich möchte bewirken, dass sie die Finger von der Droge lassen.

Sie kritisieren, wie die Politik mit dem Problem Crystal umgeht?
Caspar: Ja. Immer noch wird das Problem totgeschwiegen. Es gibt ein paar Leute wie mich, die unten herumdümpeln. Das muss öffentlich gemacht werden. Plakate müssten an den Litfaßsäulen hängen, auf denen aufgeklärt wird. Es muss zugegeben werden, dass die Leute seit 20 Jahren wegen Crystal vor die Hunde gehen. Die Bundesrepublik müsste mindestens 20 Millionen Euro in die Hände nehmen und endlich in die Prävention investieren!

Sebastian Casper hat zwei Jahre gebraucht, um von der Sucht loszukommen. Eine große Hilfe war ihm seine Frau.
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Sebastian Casper im Interview
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Für Sebastian Casper war seine Frau eine große Hilfe.
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